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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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So Etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiederte Ro-
meias. Mäßiger Geifer und Zorn schafft alten Einsiedlerinnen neue
Lebenskraft; es ist ein gut Werk, zu Erregung desselben beizutragen.

Aber sie ist eine Heilige, sagte Praxedis scheu.

Da brummte Romeias in Bart. Sie soll froh sein, sprach er,
wenn sie's ist. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen.51) Aber seit ich in Konstanz meiner Mutter Schwester besucht, hab' ich
Allerhand erfahren, was mir nicht grün aussieht. Es ist dort noch
nicht vergessen, wie sie vor des Bischofs Gericht sich verantworten
mußte wegen Dem und Jenem, was mich Nichts angeht, und die
Konstanzer Kaufleute erzählen, ohne daß man sie fragt, wie ihnen die
Klausnerinnen am Münster das Almosengeld, das fromme Pilgrimme
zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen.52) Was kann ich dafür, daß
mir schon in Knabenzeit im Steinbruch ein seltsam großer Kiesel in
die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, saß eine Kröte drin
und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klaus-
nerin ist. Schnipp, schnapp -- trari, trara!

Romeias geleitete seine neue Freundin zur Pforte des außer
Klosterbann gelegenen Hauses, das zu ihrer Herbergung bestimmt war.
Dort standen die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den sie ge-
pflückt, lag auf dem Steintisch am Eingang.

Wir müssen Abschied nehmen, sagte der Wächter.

Lebt wohl, sprach Praxedis.

Da ging er. Nach dreißig Schritten schaute er scharf zurück. Aber
zweimal geht die Sonne an einem Tag nicht auf, am wenigsten für
einen Wächter am Klosterthor. Es ward ihm keine Kußhand mehr
zugeworfen. Praxedis war in's Haus gegangen.

Da wandelte Romeias langsam zurück, griff, ohne anzufragen, den
Blumenstrauß vom Steintisch und zog ab. Den Hirsch und die vier
Hasen lieferte er der Klosterküche. Dann bezog er seine Wächterstube,
nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz
dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Nase und
einen Querstrich als Mund.

Der Klosterschüler Burkard kam herauf, mit ihm zu spielen. Den
faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, stellte ihn vor
die Wand und sprach: Schreib' den Namen drunter!

3*

So Etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiederte Ro-
meias. Mäßiger Geifer und Zorn ſchafft alten Einſiedlerinnen neue
Lebenskraft; es iſt ein gut Werk, zu Erregung deſſelben beizutragen.

Aber ſie iſt eine Heilige, ſagte Praxedis ſcheu.

Da brummte Romeias in Bart. Sie ſoll froh ſein, ſprach er,
wenn ſie's iſt. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen.51) Aber ſeit ich in Konſtanz meiner Mutter Schweſter beſucht, hab' ich
Allerhand erfahren, was mir nicht grün ausſieht. Es iſt dort noch
nicht vergeſſen, wie ſie vor des Biſchofs Gericht ſich verantworten
mußte wegen Dem und Jenem, was mich Nichts angeht, und die
Konſtanzer Kaufleute erzählen, ohne daß man ſie fragt, wie ihnen die
Klausnerinnen am Münſter das Almoſengeld, das fromme Pilgrimme
zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen.52) Was kann ich dafür, daß
mir ſchon in Knabenzeit im Steinbruch ein ſeltſam großer Kieſel in
die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, ſaß eine Kröte drin
und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klaus-
nerin iſt. Schnipp, ſchnapp — trari, trara!

Romeias geleitete ſeine neue Freundin zur Pforte des außer
Kloſterbann gelegenen Hauſes, das zu ihrer Herbergung beſtimmt war.
Dort ſtanden die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den ſie ge-
pflückt, lag auf dem Steintiſch am Eingang.

Wir müſſen Abſchied nehmen, ſagte der Wächter.

Lebt wohl, ſprach Praxedis.

Da ging er. Nach dreißig Schritten ſchaute er ſcharf zurück. Aber
zweimal geht die Sonne an einem Tag nicht auf, am wenigſten für
einen Wächter am Kloſterthor. Es ward ihm keine Kußhand mehr
zugeworfen. Praxedis war in's Haus gegangen.

Da wandelte Romeias langſam zurück, griff, ohne anzufragen, den
Blumenſtrauß vom Steintiſch und zog ab. Den Hirſch und die vier
Haſen lieferte er der Kloſterküche. Dann bezog er ſeine Wächterſtube,
nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz
dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Naſe und
einen Querſtrich als Mund.

Der Kloſterſchüler Burkard kam herauf, mit ihm zu ſpielen. Den
faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, ſtellte ihn vor
die Wand und ſprach: Schreib' den Namen drunter!

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[35/0057] So Etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiederte Ro- meias. Mäßiger Geifer und Zorn ſchafft alten Einſiedlerinnen neue Lebenskraft; es iſt ein gut Werk, zu Erregung deſſelben beizutragen. Aber ſie iſt eine Heilige, ſagte Praxedis ſcheu. Da brummte Romeias in Bart. Sie ſoll froh ſein, ſprach er, wenn ſie's iſt. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen. ⁵¹⁾ Aber ſeit ich in Konſtanz meiner Mutter Schweſter beſucht, hab' ich Allerhand erfahren, was mir nicht grün ausſieht. Es iſt dort noch nicht vergeſſen, wie ſie vor des Biſchofs Gericht ſich verantworten mußte wegen Dem und Jenem, was mich Nichts angeht, und die Konſtanzer Kaufleute erzählen, ohne daß man ſie fragt, wie ihnen die Klausnerinnen am Münſter das Almoſengeld, das fromme Pilgrimme zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen. ⁵²⁾ Was kann ich dafür, daß mir ſchon in Knabenzeit im Steinbruch ein ſeltſam großer Kieſel in die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, ſaß eine Kröte drin und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klaus- nerin iſt. Schnipp, ſchnapp — trari, trara! Romeias geleitete ſeine neue Freundin zur Pforte des außer Kloſterbann gelegenen Hauſes, das zu ihrer Herbergung beſtimmt war. Dort ſtanden die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den ſie ge- pflückt, lag auf dem Steintiſch am Eingang. Wir müſſen Abſchied nehmen, ſagte der Wächter. Lebt wohl, ſprach Praxedis. Da ging er. Nach dreißig Schritten ſchaute er ſcharf zurück. Aber zweimal geht die Sonne an einem Tag nicht auf, am wenigſten für einen Wächter am Kloſterthor. Es ward ihm keine Kußhand mehr zugeworfen. Praxedis war in's Haus gegangen. Da wandelte Romeias langſam zurück, griff, ohne anzufragen, den Blumenſtrauß vom Steintiſch und zog ab. Den Hirſch und die vier Haſen lieferte er der Kloſterküche. Dann bezog er ſeine Wächterſtube, nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Naſe und einen Querſtrich als Mund. Der Kloſterſchüler Burkard kam herauf, mit ihm zu ſpielen. Den faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, ſtellte ihn vor die Wand und ſprach: Schreib' den Namen drunter! 3*

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/57>, abgerufen am 29.03.2024.