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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Epos ist die objektivste Gattung, wenn wir unter Objektivem das ab-
solut-Objektive verstehen. Es ist schlechthin objektiv, weil es die höchste
Identität der Subjektivität und Objektivität ist. Aus dieser Identität
also kann die Poesie heraustreten bloß dadurch, daß sie entweder rela-
tiv
-objektiver oder relativ-subjektiver wird. Im Epos verhält sich so-
wohl das Subjekt (der Dichter) als der Gegenstand objektiv. Diese
Identität kann nun nach zwei Seiten aufgehoben werden, a) so, daß
die Subjektivität oder die Besonderheit ins Objekt, die Objektivität oder
Allgemeingültigkeit in den Darstellenden, b) daß die Objektivität, die
Allgemeinheit in den Gegenstand, die Subjektivität in den Darstellen-
den gelegt ist. Diese zwei Pole sind in der Poesie wirklich dargestellt,
aber sie selbst differenziiren sich in sich wieder nach der subjektiven und
objektiven Seite. Die Sphäre der relativ-objektiven epischen Poesie (wo
es nämlich die Darstellung ist) ist durch die Elegie und die Idylle,
die sich unter sich wieder, jene als das Subjektive, diese als das
Objektive verhalten; die Sphäre der relativ-subjektiveren Poesie (wo
es nämlich die Darstellung ist) ist durch das Lehrgedicht und die
Satyre, wovon jenes das Subjektive, diese das Objektive ist, be-
schrieben.

Man könnte versucht seyn, gegen diese Eintheilung anzuführen, daß
es nicht einzusehen, wie die Elegie, die insgemein für eine subjektiv-lyrische
Ergießung angesehen wird, objektiver seyn könne als das Lehrgedicht,
welches man dagegen für das relativ-objektivste zu halten tentirt seyn
könnte. Es ist also zu erinnern, daß hierbei keineswegs der gewöhn-
liche Begriff der Elegie zugegeben wird, der ihr allerdings die Objek-
tivität, aber auch das Epische rauben und sie zu einem bloß lyrischen
Gedicht machen würde. Was aber das Lehrgedicht betrifft, so geht
die Poesie in ihm zu dem Wissen als der ersten Potenz zurück,
welches als Wissen immer subjektiv bleibt. Die bestimmteren Gründe
dieser Eintheilung sind folgende. Vergleichen wir Elegie und Idylle
einerseits und Lehrgedicht und Satyre von der andern Seite, so finden
wir die ersten beiden darin übereinstimmend unter sich und darin ver-
schieden von den andern beiden, daß jene ohne Zweck und Absicht sind

Epos iſt die objektivſte Gattung, wenn wir unter Objektivem das ab-
ſolut-Objektive verſtehen. Es iſt ſchlechthin objektiv, weil es die höchſte
Identität der Subjektivität und Objektivität iſt. Aus dieſer Identität
alſo kann die Poeſie heraustreten bloß dadurch, daß ſie entweder rela-
tiv
-objektiver oder relativ-ſubjektiver wird. Im Epos verhält ſich ſo-
wohl das Subjekt (der Dichter) als der Gegenſtand objektiv. Dieſe
Identität kann nun nach zwei Seiten aufgehoben werden, a) ſo, daß
die Subjektivität oder die Beſonderheit ins Objekt, die Objektivität oder
Allgemeingültigkeit in den Darſtellenden, b) daß die Objektivität, die
Allgemeinheit in den Gegenſtand, die Subjektivität in den Darſtellen-
den gelegt iſt. Dieſe zwei Pole ſind in der Poeſie wirklich dargeſtellt,
aber ſie ſelbſt differenziiren ſich in ſich wieder nach der ſubjektiven und
objektiven Seite. Die Sphäre der relativ-objektiven epiſchen Poeſie (wo
es nämlich die Darſtellung iſt) iſt durch die Elegie und die Idylle,
die ſich unter ſich wieder, jene als das Subjektive, dieſe als das
Objektive verhalten; die Sphäre der relativ-ſubjektiveren Poeſie (wo
es nämlich die Darſtellung iſt) iſt durch das Lehrgedicht und die
Satyre, wovon jenes das Subjektive, dieſe das Objektive iſt, be-
ſchrieben.

Man könnte verſucht ſeyn, gegen dieſe Eintheilung anzuführen, daß
es nicht einzuſehen, wie die Elegie, die insgemein für eine ſubjektiv-lyriſche
Ergießung angeſehen wird, objektiver ſeyn könne als das Lehrgedicht,
welches man dagegen für das relativ-objektivſte zu halten tentirt ſeyn
könnte. Es iſt alſo zu erinnern, daß hierbei keineswegs der gewöhn-
liche Begriff der Elegie zugegeben wird, der ihr allerdings die Objek-
tivität, aber auch das Epiſche rauben und ſie zu einem bloß lyriſchen
Gedicht machen würde. Was aber das Lehrgedicht betrifft, ſo geht
die Poeſie in ihm zu dem Wiſſen als der erſten Potenz zurück,
welches als Wiſſen immer ſubjektiv bleibt. Die beſtimmteren Gründe
dieſer Eintheilung ſind folgende. Vergleichen wir Elegie und Idylle
einerſeits und Lehrgedicht und Satyre von der andern Seite, ſo finden
wir die erſten beiden darin übereinſtimmend unter ſich und darin ver-
ſchieden von den andern beiden, daß jene ohne Zweck und Abſicht ſind

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[658/0334] Epos iſt die objektivſte Gattung, wenn wir unter Objektivem das ab- ſolut-Objektive verſtehen. Es iſt ſchlechthin objektiv, weil es die höchſte Identität der Subjektivität und Objektivität iſt. Aus dieſer Identität alſo kann die Poeſie heraustreten bloß dadurch, daß ſie entweder rela- tiv-objektiver oder relativ-ſubjektiver wird. Im Epos verhält ſich ſo- wohl das Subjekt (der Dichter) als der Gegenſtand objektiv. Dieſe Identität kann nun nach zwei Seiten aufgehoben werden, a) ſo, daß die Subjektivität oder die Beſonderheit ins Objekt, die Objektivität oder Allgemeingültigkeit in den Darſtellenden, b) daß die Objektivität, die Allgemeinheit in den Gegenſtand, die Subjektivität in den Darſtellen- den gelegt iſt. Dieſe zwei Pole ſind in der Poeſie wirklich dargeſtellt, aber ſie ſelbſt differenziiren ſich in ſich wieder nach der ſubjektiven und objektiven Seite. Die Sphäre der relativ-objektiven epiſchen Poeſie (wo es nämlich die Darſtellung iſt) iſt durch die Elegie und die Idylle, die ſich unter ſich wieder, jene als das Subjektive, dieſe als das Objektive verhalten; die Sphäre der relativ-ſubjektiveren Poeſie (wo es nämlich die Darſtellung iſt) iſt durch das Lehrgedicht und die Satyre, wovon jenes das Subjektive, dieſe das Objektive iſt, be- ſchrieben. Man könnte verſucht ſeyn, gegen dieſe Eintheilung anzuführen, daß es nicht einzuſehen, wie die Elegie, die insgemein für eine ſubjektiv-lyriſche Ergießung angeſehen wird, objektiver ſeyn könne als das Lehrgedicht, welches man dagegen für das relativ-objektivſte zu halten tentirt ſeyn könnte. Es iſt alſo zu erinnern, daß hierbei keineswegs der gewöhn- liche Begriff der Elegie zugegeben wird, der ihr allerdings die Objek- tivität, aber auch das Epiſche rauben und ſie zu einem bloß lyriſchen Gedicht machen würde. Was aber das Lehrgedicht betrifft, ſo geht die Poeſie in ihm zu dem Wiſſen als der erſten Potenz zurück, welches als Wiſſen immer ſubjektiv bleibt. Die beſtimmteren Gründe dieſer Eintheilung ſind folgende. Vergleichen wir Elegie und Idylle einerſeits und Lehrgedicht und Satyre von der andern Seite, ſo finden wir die erſten beiden darin übereinſtimmend unter ſich und darin ver- ſchieden von den andern beiden, daß jene ohne Zweck und Abſicht ſind

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/334>, abgerufen am 24.04.2024.