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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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genöthigt, wirklich zu den alten Mythen zurückzugehen; weil sie aber diese
weder episch noch tragisch behandeln konnten, mußten sie mit ihnen die
Umkehrung vornehmen und sie durch Parodien behandeln, in welchen das,
was in jenen als ehrwürdig oder rührend war dargestellt worden, in
das Niedrige und Lächerliche gezogen wurde. Die Komödie lebt also
eigentlich von der Freiheit und der Beweglichkeit des öffentlichen Lebens.
In Griechenland hat sie sich so lang wie möglich gesträubt aus dem
öffentlichen und politischen Leben in das häusliche herabzusteigen, womit
sie auch ihre mythologische Kraft verlor. Dieß geschah in den soge-
nannten neueren Komödien, da nach den gewöhnlichen Berichten zur
Zeit Alexanders, wo die demokratische Verfassung ganz dahin war,
durch ein neues Gesetz auch noch untersagt wurde, selbst bloß den In-
halt aus öffentlichen Begebenheiten zu nehmen, und diese, unter welcher
Hülle es sey, auf das Theater zu bringen.

Daß noch einige Ausnahmen existirten, ist schon oben bemerkt
worden, und die Hinneigung zur Parodie des öffentlichen Lebens und
die Gewohnheit, alles, was in der Komödie vorgestellt wurde, darauf
zu beziehen, scheint so unüberwindlich gewesen zu seyn, daß Menander,
das Haupt der neueren Komödie, obwohl er sich selbst vor Beziehungen
auf das öffentliche Leben in Acht nahm, doch, um auch dem Argwohn
zu entgehen, anfing, die Masken in wahre Carricatur zu verwandeln.
Wir kennen zwar die Produkte der neueren Komödie nur bruchstücklich,
und aus dem, was uns durch die Uebersetzungen und Nachahmungen
des Plautus und Terenz geblieben ist. Allein es ist an sich nothwendig
und auch historisch zu beweisen, daß mit der späteren Komödie zuerst
die Intriguenstücke mit gänzlich erdichteten Charakteren und Verwick-
lungen entstanden, und die Komödie, die zuerst im Aether der öffent-
lichen Freiheit gelebt hatte, sich in die Sphäre der häuslichen Sitten
und Begegnisse herabsenkte.

Von der Komödie der Römer erwähne ich nichts, da sie niemals
die Oeffentlichkeit der griechischen gehabt und in ihrer gebildeten Zeit
vorzüglich nur von den Bruchstücken der neueren und mittleren Komödie
der Griechen gelebt hat. Ich bemerke noch: die Form der alten

genöthigt, wirklich zu den alten Mythen zurückzugehen; weil ſie aber dieſe
weder epiſch noch tragiſch behandeln konnten, mußten ſie mit ihnen die
Umkehrung vornehmen und ſie durch Parodien behandeln, in welchen das,
was in jenen als ehrwürdig oder rührend war dargeſtellt worden, in
das Niedrige und Lächerliche gezogen wurde. Die Komödie lebt alſo
eigentlich von der Freiheit und der Beweglichkeit des öffentlichen Lebens.
In Griechenland hat ſie ſich ſo lang wie möglich geſträubt aus dem
öffentlichen und politiſchen Leben in das häusliche herabzuſteigen, womit
ſie auch ihre mythologiſche Kraft verlor. Dieß geſchah in den ſoge-
nannten neueren Komödien, da nach den gewöhnlichen Berichten zur
Zeit Alexanders, wo die demokratiſche Verfaſſung ganz dahin war,
durch ein neues Geſetz auch noch unterſagt wurde, ſelbſt bloß den In-
halt aus öffentlichen Begebenheiten zu nehmen, und dieſe, unter welcher
Hülle es ſey, auf das Theater zu bringen.

Daß noch einige Ausnahmen exiſtirten, iſt ſchon oben bemerkt
worden, und die Hinneigung zur Parodie des öffentlichen Lebens und
die Gewohnheit, alles, was in der Komödie vorgeſtellt wurde, darauf
zu beziehen, ſcheint ſo unüberwindlich geweſen zu ſeyn, daß Menander,
das Haupt der neueren Komödie, obwohl er ſich ſelbſt vor Beziehungen
auf das öffentliche Leben in Acht nahm, doch, um auch dem Argwohn
zu entgehen, anfing, die Masken in wahre Carricatur zu verwandeln.
Wir kennen zwar die Produkte der neueren Komödie nur bruchſtücklich,
und aus dem, was uns durch die Ueberſetzungen und Nachahmungen
des Plautus und Terenz geblieben iſt. Allein es iſt an ſich nothwendig
und auch hiſtoriſch zu beweiſen, daß mit der ſpäteren Komödie zuerſt
die Intriguenſtücke mit gänzlich erdichteten Charakteren und Verwick-
lungen entſtanden, und die Komödie, die zuerſt im Aether der öffent-
lichen Freiheit gelebt hatte, ſich in die Sphäre der häuslichen Sitten
und Begegniſſe herabſenkte.

Von der Komödie der Römer erwähne ich nichts, da ſie niemals
die Oeffentlichkeit der griechiſchen gehabt und in ihrer gebildeten Zeit
vorzüglich nur von den Bruchſtücken der neueren und mittleren Komödie
der Griechen gelebt hat. Ich bemerke noch: die Form der alten

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[717/0393] genöthigt, wirklich zu den alten Mythen zurückzugehen; weil ſie aber dieſe weder epiſch noch tragiſch behandeln konnten, mußten ſie mit ihnen die Umkehrung vornehmen und ſie durch Parodien behandeln, in welchen das, was in jenen als ehrwürdig oder rührend war dargeſtellt worden, in das Niedrige und Lächerliche gezogen wurde. Die Komödie lebt alſo eigentlich von der Freiheit und der Beweglichkeit des öffentlichen Lebens. In Griechenland hat ſie ſich ſo lang wie möglich geſträubt aus dem öffentlichen und politiſchen Leben in das häusliche herabzuſteigen, womit ſie auch ihre mythologiſche Kraft verlor. Dieß geſchah in den ſoge- nannten neueren Komödien, da nach den gewöhnlichen Berichten zur Zeit Alexanders, wo die demokratiſche Verfaſſung ganz dahin war, durch ein neues Geſetz auch noch unterſagt wurde, ſelbſt bloß den In- halt aus öffentlichen Begebenheiten zu nehmen, und dieſe, unter welcher Hülle es ſey, auf das Theater zu bringen. Daß noch einige Ausnahmen exiſtirten, iſt ſchon oben bemerkt worden, und die Hinneigung zur Parodie des öffentlichen Lebens und die Gewohnheit, alles, was in der Komödie vorgeſtellt wurde, darauf zu beziehen, ſcheint ſo unüberwindlich geweſen zu ſeyn, daß Menander, das Haupt der neueren Komödie, obwohl er ſich ſelbſt vor Beziehungen auf das öffentliche Leben in Acht nahm, doch, um auch dem Argwohn zu entgehen, anfing, die Masken in wahre Carricatur zu verwandeln. Wir kennen zwar die Produkte der neueren Komödie nur bruchſtücklich, und aus dem, was uns durch die Ueberſetzungen und Nachahmungen des Plautus und Terenz geblieben iſt. Allein es iſt an ſich nothwendig und auch hiſtoriſch zu beweiſen, daß mit der ſpäteren Komödie zuerſt die Intriguenſtücke mit gänzlich erdichteten Charakteren und Verwick- lungen entſtanden, und die Komödie, die zuerſt im Aether der öffent- lichen Freiheit gelebt hatte, ſich in die Sphäre der häuslichen Sitten und Begegniſſe herabſenkte. Von der Komödie der Römer erwähne ich nichts, da ſie niemals die Oeffentlichkeit der griechiſchen gehabt und in ihrer gebildeten Zeit vorzüglich nur von den Bruchſtücken der neueren und mittleren Komödie der Griechen gelebt hat. Ich bemerke noch: die Form der alten

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/393>, abgerufen am 25.04.2024.