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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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Spelmann leget in seinem Glossario das wort Risina auch auß/ als ob es
ein Lauwin bedeutete/ aber falsch. Diß Wort ist gleich vilen alt teutschen
Worten annoch im Schweitzerland gebräuchlich/ und bedeutet eine Risin/
Risene/ Lavinaer in Pündtnerischer Sprach/ die gächstotzigkeit der Ber-
gen/ durch welche nicht nur die Lauwinen/ sondern auch Steine/ Felsen/ Er-
den leicht abreisset. Villeicht hat Spellmann durch seine Risinas anzeigen
wollen die Rufinen/ von denen auch zu seiner zeit sol geschriben werden.
Von denen Lauwinen ist auch zuunterscheiden ein Windwehen/ zusa-
mengewäheter Schnee/ Schneegeweheten.
Nix cumulata vento.
bey Curtio Lib. V. c. 4. Casus Nivium Olao Magno Gent. Sept. Lib. I.
c. 20.
welche die Berg Reisenden auch etwan bedekt/ wie diß auf dem Albu-
len Berg in Pündten begegnet A. 1673. im Monat April 4. starken Män-
neren/ welche unter einem solchen Schneefall ihr Leben lassen müssen. Ein
solcher Schnee fallet senkelrecht von denen Bäumen oder Felsen/ oder Tä-
cheren/ von denen er gleichsam gehangen/ herunter/ da ein Lauwin dem Berg
nach abschlipfet/ und sich in ein grosse Ballen zusammen rollet.

Von dem unterscheid der Laüwinen.

Es gibt vornemmlich zweyerley gattung Lauwinen. Die einte nennet
man Windlauwinen/ theils/ weilen sie mehrmalen erreget werden vom
Wind/ welcher den eingefallenen Schnee (dann dise gattung Lauwinen in-
sonderheit zubeförchten bey neugefallenem annoch weichen/ Schnee) von ho-
hen Ohrten weg bewegt/ und also zum fall veranlaset/ theils von ihrer wir-
kung/ weilen sie gleich einem Wind geschwind daher fahren/ und durch ihren
fall einen so starken/ ungestümen/ Wind erregen/ welcher auch von weitem
alles darnider wirft/ die grösten Tannenbäume entzwey bricht/ Menschen
und Viehe erstecket/ Häuser und Ställe über einen hauffen stürzet: Man
nennet sie auch Staublowenen/ Staubloweln/ weilen durch sie alles
was im Thal sich findet/ mit einem Schnestaub überdecket wird; andere
heissen sie Schneelauwinen/ weilen sie auß nichts/ als Schnee/ bestehen.

Nachtruklich betitlet man sie in Jtaliänischer Sprach Lavine di Freddo,
in Engadinisch Pündtnerisch Lavigne da Fraid, als wolte man sagen/
Winter- oder von grosser Kälte entstehende Schneelauwinen/ weilen sie meh-
rentheils im Winter/ und zwaren bey der grösten Kälte/ sich erzeigen/ wann
nammlich die frischgefallenen Schneeflocken gleichsam schwamm- und villöche-
richt seyn/ und also von den Winden sich leicht bewegen lassen/ etc.

Spelmañ leget in ſeinem Gloſſario das wort Riſina auch auß/ als ob es
ein Lauwin bedeutete/ aber falſch. Diß Wort iſt gleich vilen alt teutſchen
Worten annoch im Schweitzerland gebraͤuchlich/ und bedeutet eine Riſin/
Riſene/ Lavinær in Puͤndtneriſcher Sprach/ die gaͤchſtotzigkeit der Ber-
gen/ durch welche nicht nur die Lauwinen/ ſondern auch Steine/ Felſen/ Er-
den leicht abreiſſet. Villeicht hat Spellmañ durch ſeine Riſinas anzeigen
wollen die Rufinen/ von denen auch zu ſeiner zeit ſol geſchriben werden.
Von denen Lauwinen iſt auch zuunterſcheiden ein Windwehen/ zuſa-
mengewaͤheter Schnee/ Schneegeweheten.
Nix cumulata vento.
bey Curtio Lib. V. c. 4. Caſus Nivium Olao Magno Gent. Sept. Lib. I.
c. 20.
welche die Berg Reiſenden auch etwan bedekt/ wie diß auf dem Albu-
len Berg in Puͤndten begegnet A. 1673. im Monat April 4. ſtarken Maͤn-
neren/ welche unter einem ſolchen Schneefall ihr Leben laſſen muͤſſen. Ein
ſolcher Schnee fallet ſenkelrecht von denen Baͤumen oder Felſen/ oder Taͤ-
cheren/ von denen er gleichſam gehangen/ herunter/ da ein Lauwin dem Berg
nach abſchlipfet/ und ſich in ein groſſe Ballen zuſam̃en rollet.

Von dem unterſcheid der Lauͤwinen.

Es gibt vornem̃lich zweyerley gattung Lauwinen. Die einte neñet
man Windlauwinen/ theils/ weilen ſie mehrmalen erꝛeget werden vom
Wind/ welcher den eingefallenen Schnee (dann diſe gattung Lauwinen in-
ſonderheit zubefoͤrchten bey neugefallenem annoch weichen/ Schnee) von ho-
hen Ohrten weg bewegt/ und alſo zum fall veranlaſet/ theils von ihrer wir-
kung/ weilen ſie gleich einem Wind geſchwind daher fahren/ und durch ihren
fall einen ſo ſtarken/ ungeſtuͤmen/ Wind erꝛegen/ welcher auch von weitem
alles darnider wirft/ die groͤſten Tannenbaͤume entzwey bricht/ Menſchen
und Viehe erſtecket/ Haͤuſer und Staͤlle uͤber einen hauffen ſtuͤrzet: Man
nennet ſie auch Staublowenen/ Staubloweln/ weilen durch ſie alles
was im Thal ſich findet/ mit einem Schneſtaub uͤberdecket wird; andere
heiſſen ſie Schneelauwinen/ weilen ſie auß nichts/ als Schnee/ beſtehen.

Nachtruklich betitlet man ſie in Jtaliaͤniſcher Sprach Lavine di Freddo,
in Engadiniſch Puͤndtneriſch Lavigne da Fraid, als wolte man ſagen/
Winter- oder von groſſer Kaͤlte entſtehende Schneelauwinen/ weilen ſie meh-
rentheils im Winter/ und zwaren bey der groͤſten Kaͤlte/ ſich erzeigen/ wann
nam̃lich die friſchgefallenen Schneeflocken gleichſam ſchwam̃- und villoͤche-
richt ſeyn/ und alſo von den Winden ſich leicht bewegen laſſen/ ꝛc.

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[(148)[148]/0185] Spelmañ leget in ſeinem Gloſſario das wort Riſina auch auß/ als ob es ein Lauwin bedeutete/ aber falſch. Diß Wort iſt gleich vilen alt teutſchen Worten annoch im Schweitzerland gebraͤuchlich/ und bedeutet eine Riſin/ Riſene/ Lavinær in Puͤndtneriſcher Sprach/ die gaͤchſtotzigkeit der Ber- gen/ durch welche nicht nur die Lauwinen/ ſondern auch Steine/ Felſen/ Er- den leicht abreiſſet. Villeicht hat Spellmañ durch ſeine Riſinas anzeigen wollen die Rufinen/ von denen auch zu ſeiner zeit ſol geſchriben werden. Von denen Lauwinen iſt auch zuunterſcheiden ein Windwehen/ zuſa- mengewaͤheter Schnee/ Schneegeweheten. Nix cumulata vento. bey Curtio Lib. V. c. 4. Caſus Nivium Olao Magno Gent. Sept. Lib. I. c. 20. welche die Berg Reiſenden auch etwan bedekt/ wie diß auf dem Albu- len Berg in Puͤndten begegnet A. 1673. im Monat April 4. ſtarken Maͤn- neren/ welche unter einem ſolchen Schneefall ihr Leben laſſen muͤſſen. Ein ſolcher Schnee fallet ſenkelrecht von denen Baͤumen oder Felſen/ oder Taͤ- cheren/ von denen er gleichſam gehangen/ herunter/ da ein Lauwin dem Berg nach abſchlipfet/ und ſich in ein groſſe Ballen zuſam̃en rollet. Von dem unterſcheid der Lauͤwinen. Es gibt vornem̃lich zweyerley gattung Lauwinen. Die einte neñet man Windlauwinen/ theils/ weilen ſie mehrmalen erꝛeget werden vom Wind/ welcher den eingefallenen Schnee (dann diſe gattung Lauwinen in- ſonderheit zubefoͤrchten bey neugefallenem annoch weichen/ Schnee) von ho- hen Ohrten weg bewegt/ und alſo zum fall veranlaſet/ theils von ihrer wir- kung/ weilen ſie gleich einem Wind geſchwind daher fahren/ und durch ihren fall einen ſo ſtarken/ ungeſtuͤmen/ Wind erꝛegen/ welcher auch von weitem alles darnider wirft/ die groͤſten Tannenbaͤume entzwey bricht/ Menſchen und Viehe erſtecket/ Haͤuſer und Staͤlle uͤber einen hauffen ſtuͤrzet: Man nennet ſie auch Staublowenen/ Staubloweln/ weilen durch ſie alles was im Thal ſich findet/ mit einem Schneſtaub uͤberdecket wird; andere heiſſen ſie Schneelauwinen/ weilen ſie auß nichts/ als Schnee/ beſtehen. Nachtruklich betitlet man ſie in Jtaliaͤniſcher Sprach Lavine di Freddo, in Engadiniſch Puͤndtneriſch Lavigne da Fraid, als wolte man ſagen/ Winter- oder von groſſer Kaͤlte entſtehende Schneelauwinen/ weilen ſie meh- rentheils im Winter/ und zwaren bey der groͤſten Kaͤlte/ ſich erzeigen/ wann nam̃lich die friſchgefallenen Schneeflocken gleichſam ſchwam̃- und villoͤche- richt ſeyn/ und alſo von den Winden ſich leicht bewegen laſſen/ ꝛc.

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. (148)[148]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/185>, abgerufen am 25.04.2024.