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Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124.

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Es ist also nicht bloß poetisch erlaubt, sondern auch philosophisch richtig, wenn man die Schönheit unsre zweyte Schöpferin nennt. Denn ob sie uns gleich die Menschheit bloß möglich macht und es im übrigen unserm freyen Willen anheim stellt, in wie weit wir sie wirklich machen wollen, so hat sie dieses ja mit unsrer ursprünglichen Schöpferin, der Natur, gemein, die uns gleichfalls nichts weiter, als das Vermögen zur Menschheit ertheilte, den Gebrauch desselben aber auf unsere eigene Willensbestimmung ankommen läßt.

dringen ungeduldig auf ein Resultat, welches sie in dem Zustand ästhetischer Unbegrenztheit nicht finden. Dahingegen breitet sich bey andern, welche ihren Genuß mehr in das Gefühl des ganzen Vermögens, als einer einzelnen Handlung desselben setzen, der ästhetische Zustand in eine weit größere Fläche aus. So sehr die ersten sich vor der Leerheit fürchten, so wenig können die letzten Beschränkung ertragen. Ich brauche kaum zu erinnern, daß die ersten fürs Detail und für subalterne Geschäfte, die letzten, vorausgesetzt daß sie mit diesem Vermögen zugleich Realität vereinigen, fürs Ganze und zu grossen Rollen gebohren sind.

Es ist also nicht bloß poetisch erlaubt, sondern auch philosophisch richtig, wenn man die Schönheit unsre zweyte Schöpferin nennt. Denn ob sie uns gleich die Menschheit bloß möglich macht und es im übrigen unserm freyen Willen anheim stellt, in wie weit wir sie wirklich machen wollen, so hat sie dieses ja mit unsrer ursprünglichen Schöpferin, der Natur, gemein, die uns gleichfalls nichts weiter, als das Vermögen zur Menschheit ertheilte, den Gebrauch desselben aber auf unsere eigene Willensbestimmung ankommen läßt.

dringen ungeduldig auf ein Resultat, welches sie in dem Zustand ästhetischer Unbegrenztheit nicht finden. Dahingegen breitet sich bey andern, welche ihren Genuß mehr in das Gefühl des ganzen Vermögens, als einer einzelnen Handlung desselben setzen, der ästhetische Zustand in eine weit größere Fläche aus. So sehr die ersten sich vor der Leerheit fürchten, so wenig können die letzten Beschränkung ertragen. Ich brauche kaum zu erinnern, daß die ersten fürs Detail und für subalterne Geschäfte, die letzten, vorausgesetzt daß sie mit diesem Vermögen zugleich Realität vereinigen, fürs Ganze und zu grossen Rollen gebohren sind.
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[70/0026] Es ist also nicht bloß poetisch erlaubt, sondern auch philosophisch richtig, wenn man die Schönheit unsre zweyte Schöpferin nennt. Denn ob sie uns gleich die Menschheit bloß möglich macht und es im übrigen unserm freyen Willen anheim stellt, in wie weit wir sie wirklich machen wollen, so hat sie dieses ja mit unsrer ursprünglichen Schöpferin, der Natur, gemein, die uns gleichfalls nichts weiter, als das Vermögen zur Menschheit ertheilte, den Gebrauch desselben aber auf unsere eigene Willensbestimmung ankommen läßt. * * dringen ungeduldig auf ein Resultat, welches sie in dem Zustand ästhetischer Unbegrenztheit nicht finden. Dahingegen breitet sich bey andern, welche ihren Genuß mehr in das Gefühl des ganzen Vermögens, als einer einzelnen Handlung desselben setzen, der ästhetische Zustand in eine weit größere Fläche aus. So sehr die ersten sich vor der Leerheit fürchten, so wenig können die letzten Beschränkung ertragen. Ich brauche kaum zu erinnern, daß die ersten fürs Detail und für subalterne Geschäfte, die letzten, vorausgesetzt daß sie mit diesem Vermögen zugleich Realität vereinigen, fürs Ganze und zu grossen Rollen gebohren sind.

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124, hier S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795/26>, abgerufen am 28.03.2024.