Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124.

Bild:
<< vorherige Seite

dung nichts zu bestimmen haben; aber da, wo der Sachtrieb regiert, im Bezirke der Glückseligkeit, darf Form seyn, und darf der Spieltrieb gebieten.

Also hier schon, auf dem gleichgültigen Felde des physischen Lebens, muß der Mensch sein moralisches anfangen; noch in seinem Leiden muß er seine Selbstthätigkeit, noch innerhalb seiner sinnlichen Schranken seine Vernunftfreyheit beginnen. Schon seinen Neigungen muß er das Gesetz seines Willens auflegen; er muß, wenn

fälligkeit in die Moralität selbst hinein getragen, wodurch sie ganz würde aufgehoben werden.
Von einem edeln Betragen ist ein erhabenes zu unterscheiden. Das erste geht über die sittliche Verbindlichkeit noch hinaus, aber nicht so das letztere, obgleich wir es ungleich höher als jenes achten. Wir achten es aber nicht deßwegen, weil es den Vernunftbegriff seines Objekts (des Moralgesetzes) sondern weil es den Erfahrungsbegriff seines Subjekts (unsre Kenntnisse menschlicher Willensgüte und Willensstärke) übertrifft; so schätzen wir umgekehrt ein edles Betragen nicht darum, weil es die Natur des Subjekts überschreitet, aus der es vielmehr völlig zwanglos hervorfliessen muß, sondern weil es über die Natur seines Objekts (den physischen Zweck) hinaus in das Geisterreich schreitet. Dort, möchte man sagen, erstaunen wir über den Sieg, den der Gegenstand über den Menschen davon trägt; hier bewundern wir den Schwung, den der Mensch dem Gegenstande giebt.

dung nichts zu bestimmen haben; aber da, wo der Sachtrieb regiert, im Bezirke der Glückseligkeit, darf Form seyn, und darf der Spieltrieb gebieten.

Also hier schon, auf dem gleichgültigen Felde des physischen Lebens, muß der Mensch sein moralisches anfangen; noch in seinem Leiden muß er seine Selbstthätigkeit, noch innerhalb seiner sinnlichen Schranken seine Vernunftfreyheit beginnen. Schon seinen Neigungen muß er das Gesetz seines Willens auflegen; er muß, wenn

fälligkeit in die Moralität selbst hinein getragen, wodurch sie ganz würde aufgehoben werden.
Von einem edeln Betragen ist ein erhabenes zu unterscheiden. Das erste geht über die sittliche Verbindlichkeit noch hinaus, aber nicht so das letztere, obgleich wir es ungleich höher als jenes achten. Wir achten es aber nicht deßwegen, weil es den Vernunftbegriff seines Objekts (des Moralgesetzes) sondern weil es den Erfahrungsbegriff seines Subjekts (unsre Kenntnisse menschlicher Willensgüte und Willensstärke) übertrifft; so schätzen wir umgekehrt ein edles Betragen nicht darum, weil es die Natur des Subjekts überschreitet, aus der es vielmehr völlig zwanglos hervorfliessen muß, sondern weil es über die Natur seines Objekts (den physischen Zweck) hinaus in das Geisterreich schreitet. Dort, möchte man sagen, erstaunen wir über den Sieg, den der Gegenstand über den Menschen davon trägt; hier bewundern wir den Schwung, den der Mensch dem Gegenstande giebt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0040" n="84"/>
dung nichts zu bestimmen haben; aber da, wo der Sachtrieb regiert, im Bezirke der Glückseligkeit, darf Form seyn, und darf der Spieltrieb gebieten.</p>
          <p>Also hier schon, auf dem gleichgültigen Felde des physischen Lebens, muß der Mensch sein moralisches anfangen; noch in seinem Leiden muß er seine Selbstthätigkeit, noch innerhalb seiner sinnlichen Schranken seine Vernunftfreyheit beginnen. Schon seinen Neigungen muß er das Gesetz seines Willens auflegen; er muß, wenn                      <note xml:id="id11" prev="id10" place="foot" n="*">fälligkeit in die Moralität selbst hinein getragen, wodurch sie ganz würde aufgehoben werden.<lb/>
Von einem edeln Betragen ist ein erhabenes zu unterscheiden. Das erste geht über die sittliche Verbindlichkeit noch hinaus, aber nicht so das letztere, obgleich wir es ungleich höher als jenes achten. Wir achten es aber nicht deßwegen, weil es den Vernunftbegriff seines Objekts (des Moralgesetzes) sondern weil es den Erfahrungsbegriff seines Subjekts (unsre Kenntnisse menschlicher Willensgüte und Willensstärke) übertrifft; so schätzen wir umgekehrt ein edles Betragen nicht darum, weil es die Natur des Subjekts überschreitet, aus der es vielmehr völlig zwanglos hervorfliessen muß, sondern weil es über die Natur seines Objekts (den physischen Zweck) hinaus in das Geisterreich schreitet. Dort, möchte man sagen, erstaunen wir über den Sieg, den der Gegenstand über den Menschen davon trägt; hier bewundern wir den Schwung, den der Mensch dem Gegenstande giebt.</note>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0040] dung nichts zu bestimmen haben; aber da, wo der Sachtrieb regiert, im Bezirke der Glückseligkeit, darf Form seyn, und darf der Spieltrieb gebieten. Also hier schon, auf dem gleichgültigen Felde des physischen Lebens, muß der Mensch sein moralisches anfangen; noch in seinem Leiden muß er seine Selbstthätigkeit, noch innerhalb seiner sinnlichen Schranken seine Vernunftfreyheit beginnen. Schon seinen Neigungen muß er das Gesetz seines Willens auflegen; er muß, wenn * * fälligkeit in die Moralität selbst hinein getragen, wodurch sie ganz würde aufgehoben werden. Von einem edeln Betragen ist ein erhabenes zu unterscheiden. Das erste geht über die sittliche Verbindlichkeit noch hinaus, aber nicht so das letztere, obgleich wir es ungleich höher als jenes achten. Wir achten es aber nicht deßwegen, weil es den Vernunftbegriff seines Objekts (des Moralgesetzes) sondern weil es den Erfahrungsbegriff seines Subjekts (unsre Kenntnisse menschlicher Willensgüte und Willensstärke) übertrifft; so schätzen wir umgekehrt ein edles Betragen nicht darum, weil es die Natur des Subjekts überschreitet, aus der es vielmehr völlig zwanglos hervorfliessen muß, sondern weil es über die Natur seines Objekts (den physischen Zweck) hinaus in das Geisterreich schreitet. Dort, möchte man sagen, erstaunen wir über den Sieg, den der Gegenstand über den Menschen davon trägt; hier bewundern wir den Schwung, den der Mensch dem Gegenstande giebt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Friedrich Schiller Archiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-25T14:19:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-11-25T14:19:32Z)
Universitätsbibliothek Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-11-25T14:19:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet
  • i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795/40
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124, hier S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795/40>, abgerufen am 29.03.2024.