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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Der Prinz bemerkte meine Vorsicht, und lobte sie
mit einer lächelnden Miene. Es war ein großes
Gedränge auf dem Markusplatz, als wir da anka¬
men. Wir hatten kaum dreyßig Schritte gemacht,
so bemerkte ich den Armenier wieder, der sich mit
schnellen Schritten durch die Menge arbeitete, und
mit den Augen Jemand zu suchen schien. Eben
waren wir im Begriff ihn zu erreichen, als der Ba¬
ron von F. aus der Suite des Prinzen athemlos auf
uns zukam, und dem Prinzen einen Brief über¬
brachte. "Er ist schwarz gesiegelt, sezte er hinzu.
Wir vermutheten, daß es Eile hätte." Das fiel
auf mich wie ein Donnerschlag. Der Prinz war zu
einem Flambeau getreten und fing an zu lesen.
"Mein Kousin ist gestorben," rief er. Wann?
stürzte ich ihm heftig ins Wort. Er sah noch ein¬
mal in den Brief. "Vorigen Donnerstag. Abends
um neun Uhr."

Wir hatten nicht Zeit, von unserm Erstaunen
zurück zu kommen, so stand der Armenier unter uns.
"Sie sind hier erkannt, gnädigster Herr, sagte er
zu dem Prinzen. Eilen Sie nach dem Mohren.
Sie werden die Abgeordneten des Senats dort fin¬
den. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzu¬
nehmen, die man Ihnen erweisen will. Der Ba¬
ron von F** vergaß, Ihnen zu sagen, daß Ihre
Wechsel angekommen sind." Er verlor sich in dem
Gedränge.

Wir eilten nach unserm Hotel. Alles fand
sich, wie der Armenier es verkündigt hatte. Drey

Nobili

Der Prinz bemerkte meine Vorſicht, und lobte ſie
mit einer lächelnden Miene. Es war ein großes
Gedränge auf dem Markusplatz, als wir da anka¬
men. Wir hatten kaum dreyßig Schritte gemacht,
ſo bemerkte ich den Armenier wieder, der ſich mit
ſchnellen Schritten durch die Menge arbeitete, und
mit den Augen Jemand zu ſuchen ſchien. Eben
waren wir im Begriff ihn zu erreichen, als der Ba¬
ron von F. aus der Suite des Prinzen athemlos auf
uns zukam, und dem Prinzen einen Brief über¬
brachte. „Er iſt ſchwarz geſiegelt, ſezte er hinzu.
Wir vermutheten, daß es Eile hätte.“ Das fiel
auf mich wie ein Donnerſchlag. Der Prinz war zu
einem Flambeau getreten und fing an zu leſen.
„Mein Kouſin iſt geſtorben,“ rief er. Wann?
ſtürzte ich ihm heftig ins Wort. Er ſah noch ein¬
mal in den Brief. „Vorigen Donnerſtag. Abends
um neun Uhr.“

Wir hatten nicht Zeit, von unſerm Erſtaunen
zurück zu kommen, ſo ſtand der Armenier unter uns.
„Sie ſind hier erkannt, gnädigſter Herr, ſagte er
zu dem Prinzen. Eilen Sie nach dem Mohren.
Sie werden die Abgeordneten des Senats dort fin¬
den. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzu¬
nehmen, die man Ihnen erweiſen will. Der Ba¬
ron von F** vergaß, Ihnen zu ſagen, daß Ihre
Wechſel angekommen ſind.“ Er verlor ſich in dem
Gedränge.

Wir eilten nach unſerm Hotel. Alles fand
ſich, wie der Armenier es verkündigt hatte. Drey

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[8/0016] Der Prinz bemerkte meine Vorſicht, und lobte ſie mit einer lächelnden Miene. Es war ein großes Gedränge auf dem Markusplatz, als wir da anka¬ men. Wir hatten kaum dreyßig Schritte gemacht, ſo bemerkte ich den Armenier wieder, der ſich mit ſchnellen Schritten durch die Menge arbeitete, und mit den Augen Jemand zu ſuchen ſchien. Eben waren wir im Begriff ihn zu erreichen, als der Ba¬ ron von F. aus der Suite des Prinzen athemlos auf uns zukam, und dem Prinzen einen Brief über¬ brachte. „Er iſt ſchwarz geſiegelt, ſezte er hinzu. Wir vermutheten, daß es Eile hätte.“ Das fiel auf mich wie ein Donnerſchlag. Der Prinz war zu einem Flambeau getreten und fing an zu leſen. „Mein Kouſin iſt geſtorben,“ rief er. Wann? ſtürzte ich ihm heftig ins Wort. Er ſah noch ein¬ mal in den Brief. „Vorigen Donnerſtag. Abends um neun Uhr.“ Wir hatten nicht Zeit, von unſerm Erſtaunen zurück zu kommen, ſo ſtand der Armenier unter uns. „Sie ſind hier erkannt, gnädigſter Herr, ſagte er zu dem Prinzen. Eilen Sie nach dem Mohren. Sie werden die Abgeordneten des Senats dort fin¬ den. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzu¬ nehmen, die man Ihnen erweiſen will. Der Ba¬ ron von F** vergaß, Ihnen zu ſagen, daß Ihre Wechſel angekommen ſind.“ Er verlor ſich in dem Gedränge. Wir eilten nach unſerm Hotel. Alles fand ſich, wie der Armenier es verkündigt hatte. Drey Nobili

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/16>, abgerufen am 28.03.2024.