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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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weniger gesehen zu werden. Sie ist eine der
schönsten in dieser Stadt.

Gegen Abend ließen wir uns in die Giudecca
überfahren, um dort in den reitzenden Gärten
einen schönen Abend zu verleben. Die Gesellschaft,
die nicht sehr groß war, zerstreute sich bald, und
mich zog Civitella, der schon den ganzen Tag über
Gelegenheit gesucht hatte, mich zu sprechen, mit
sich in eine Boskage.

"Sie sind der Freund des Prinzen, fing er an,
vor dem er keine Geheimnisse zu haben pflegt, wie
ich von sehr guter Hand weiß. Als ich heute in
sein Hotel trat, kam ein Mann heraus, dessen Ge¬
werbe mir bekannt ist -- und auf des Prinzen
Stirne standen Wolken, als ich zu ihm herein
trat" -- Ich wollte ihn unterbrechen -- "Sie
können es nicht läugnen, fuhr er fort, ich kannte
meinen Mann, ich hab' ihn sehr gut ins Auge ge¬
faßt -- und wär' es möglich? Der Prinz hätte
Freunde in Venedig, Freunde, die ihm mit Blut
und Leben verpflichtet sind, und sollte dahin ge¬
bracht seyn, in einem dringenden Falle sich solcher
Creaturen zu bedienen? Seyn Sie aufrichtig, Ba¬
ron! -- Ist der Prinz in Verlegenheit? -- Sie
bemühen Sich umsonst, es zu verbergen. Was
ich von Ihnen nicht erfahre, ist mir bey meinem
Manne gewiß, dem jedes Geheimniß feil ist."

Herr Marchese --

"Ver¬
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weniger geſehen zu werden. Sie iſt eine der
ſchönſten in dieſer Stadt.

Gegen Abend ließen wir uns in die Giudecca
überfahren, um dort in den reitzenden Gärten
einen ſchönen Abend zu verleben. Die Geſellſchaft,
die nicht ſehr groß war, zerſtreute ſich bald, und
mich zog Civitella, der ſchon den ganzen Tag über
Gelegenheit geſucht hatte, mich zu ſprechen, mit
ſich in eine Boskage.

„Sie ſind der Freund des Prinzen, fing er an,
vor dem er keine Geheimniſſe zu haben pflegt, wie
ich von ſehr guter Hand weiß. Als ich heute in
ſein Hotel trat, kam ein Mann heraus, deſſen Ge¬
werbe mir bekannt iſt — und auf des Prinzen
Stirne ſtanden Wolken, als ich zu ihm herein
trat“ — Ich wollte ihn unterbrechen — „Sie
können es nicht läugnen, fuhr er fort, ich kannte
meinen Mann, ich hab' ihn ſehr gut ins Auge ge¬
faßt — und wär' es möglich? Der Prinz hätte
Freunde in Venedig, Freunde, die ihm mit Blut
und Leben verpflichtet ſind, und ſollte dahin ge¬
bracht ſeyn, in einem dringenden Falle ſich ſolcher
Creaturen zu bedienen? Seyn Sie aufrichtig, Ba¬
ron! — Iſt der Prinz in Verlegenheit? — Sie
bemühen Sich umſonſt, es zu verbergen. Was
ich von Ihnen nicht erfahre, iſt mir bey meinem
Manne gewiß, dem jedes Geheimniß feil iſt.“

Herr Marcheſe —

„Ver¬
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[165/0173] weniger geſehen zu werden. Sie iſt eine der ſchönſten in dieſer Stadt. Gegen Abend ließen wir uns in die Giudecca überfahren, um dort in den reitzenden Gärten einen ſchönen Abend zu verleben. Die Geſellſchaft, die nicht ſehr groß war, zerſtreute ſich bald, und mich zog Civitella, der ſchon den ganzen Tag über Gelegenheit geſucht hatte, mich zu ſprechen, mit ſich in eine Boskage. „Sie ſind der Freund des Prinzen, fing er an, vor dem er keine Geheimniſſe zu haben pflegt, wie ich von ſehr guter Hand weiß. Als ich heute in ſein Hotel trat, kam ein Mann heraus, deſſen Ge¬ werbe mir bekannt iſt — und auf des Prinzen Stirne ſtanden Wolken, als ich zu ihm herein trat“ — Ich wollte ihn unterbrechen — „Sie können es nicht läugnen, fuhr er fort, ich kannte meinen Mann, ich hab' ihn ſehr gut ins Auge ge¬ faßt — und wär' es möglich? Der Prinz hätte Freunde in Venedig, Freunde, die ihm mit Blut und Leben verpflichtet ſind, und ſollte dahin ge¬ bracht ſeyn, in einem dringenden Falle ſich ſolcher Creaturen zu bedienen? Seyn Sie aufrichtig, Ba¬ ron! — Iſt der Prinz in Verlegenheit? — Sie bemühen Sich umſonſt, es zu verbergen. Was ich von Ihnen nicht erfahre, iſt mir bey meinem Manne gewiß, dem jedes Geheimniß feil iſt.“ Herr Marcheſe — „Ver¬ L 3

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/173>, abgerufen am 25.04.2024.