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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Er ist mit einer fürchterlichen Leidenschaft an
sie gebunden, die mit jedem Tage wächst. In der
ersten Zeit wurden die Besuche sparsam zugestan¬
den; doch schon in der zweyten Woche verkürzte
man die Trennungen, und jetzt vergeht kein Tag,
wo der Prinz nicht dort wäre. Ganze Abende ver¬
schwinden, ohne daß wir ihn zu Gesicht bekommen;
und ist er auch nicht in ihrer Gesellschaft, so ist sie
es doch allein, was ihn beschäftigt. Sein gan¬
zes Wesen scheint verwandelt. Er geht wie
ein Träumender umher, und nichts von allem,
was ihn sonst interessirt hatte, kann ihm jetzt nur
eine flüchtige Aufmerksamkeit abgewinnen.

Wohin wird das noch kommen, liebster Freund?
Ich zittre für die Zukunft. Der Bruch mit seinem
Hofe hat meinen Herrn in eine erniedrigende Ab¬
hängigkeit von einem einzigen Menschen, von dem
Marchese Civitella, gesetzt. Dieser ist jetzt Herr
unsrer Geheimnisse, unsers ganzen Schicksals.
Wird er immer so edel denken, als er sich uns jetzo
noch zeigt? Wird dieses gute Vernehmen auf die
Dauer bestehen, und ist es wohl gethan, einem
Menschen, auch dem Vortreflichsten, so viel Wich¬
tigkeit und Macht einzuräumen?

An die Schwester des Prinzen ist ein neuer
Brief abgegangen. Den Erfolg hoffe ich Ihnen
in meinem nächsten Brief melden zu können.


(Der

Er iſt mit einer fürchterlichen Leidenſchaft an
ſie gebunden, die mit jedem Tage wächſt. In der
erſten Zeit wurden die Beſuche ſparſam zugeſtan¬
den; doch ſchon in der zweyten Woche verkürzte
man die Trennungen, und jetzt vergeht kein Tag,
wo der Prinz nicht dort wäre. Ganze Abende ver¬
ſchwinden, ohne daß wir ihn zu Geſicht bekommen;
und iſt er auch nicht in ihrer Geſellſchaft, ſo iſt ſie
es doch allein, was ihn beſchäftigt. Sein gan¬
zes Weſen ſcheint verwandelt. Er geht wie
ein Träumender umher, und nichts von allem,
was ihn ſonſt intereſſirt hatte, kann ihm jetzt nur
eine flüchtige Aufmerkſamkeit abgewinnen.

Wohin wird das noch kommen, liebſter Freund?
Ich zittre für die Zukunft. Der Bruch mit ſeinem
Hofe hat meinen Herrn in eine erniedrigende Ab¬
hängigkeit von einem einzigen Menſchen, von dem
Marcheſe Civitella, geſetzt. Dieſer iſt jetzt Herr
unſrer Geheimniſſe, unſers ganzen Schickſals.
Wird er immer ſo edel denken, als er ſich uns jetzo
noch zeigt? Wird dieſes gute Vernehmen auf die
Dauer beſtehen, und iſt es wohl gethan, einem
Menſchen, auch dem Vortreflichſten, ſo viel Wich¬
tigkeit und Macht einzuräumen?

An die Schweſter des Prinzen iſt ein neuer
Brief abgegangen. Den Erfolg hoffe ich Ihnen
in meinem nächſten Brief melden zu können.


(Der
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[203/0211] Er iſt mit einer fürchterlichen Leidenſchaft an ſie gebunden, die mit jedem Tage wächſt. In der erſten Zeit wurden die Beſuche ſparſam zugeſtan¬ den; doch ſchon in der zweyten Woche verkürzte man die Trennungen, und jetzt vergeht kein Tag, wo der Prinz nicht dort wäre. Ganze Abende ver¬ ſchwinden, ohne daß wir ihn zu Geſicht bekommen; und iſt er auch nicht in ihrer Geſellſchaft, ſo iſt ſie es doch allein, was ihn beſchäftigt. Sein gan¬ zes Weſen ſcheint verwandelt. Er geht wie ein Träumender umher, und nichts von allem, was ihn ſonſt intereſſirt hatte, kann ihm jetzt nur eine flüchtige Aufmerkſamkeit abgewinnen. Wohin wird das noch kommen, liebſter Freund? Ich zittre für die Zukunft. Der Bruch mit ſeinem Hofe hat meinen Herrn in eine erniedrigende Ab¬ hängigkeit von einem einzigen Menſchen, von dem Marcheſe Civitella, geſetzt. Dieſer iſt jetzt Herr unſrer Geheimniſſe, unſers ganzen Schickſals. Wird er immer ſo edel denken, als er ſich uns jetzo noch zeigt? Wird dieſes gute Vernehmen auf die Dauer beſtehen, und iſt es wohl gethan, einem Menſchen, auch dem Vortreflichſten, ſo viel Wich¬ tigkeit und Macht einzuräumen? An die Schweſter des Prinzen iſt ein neuer Brief abgegangen. Den Erfolg hoffe ich Ihnen in meinem nächſten Brief melden zu können. (Der

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/211>, abgerufen am 23.04.2024.