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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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sich." "Prinz," fing er an, "ich werde mein Va¬
terland nicht wieder sehen, erfahren Sie also ein
Geheimniß, wozu niemand als ich den Schlüssel
hat. In einem Kloster auf der flandrischen Grän¬
ze lebt eine -- --" hier verschied er. Die
Hand des Todes zertrennte den Faden seiner Rede,
ich möchte ihn hier haben und die Fortsetzung
hören."

"Viel gefodert, bey Gott!" rief der Englän¬
der. "Ich erkläre Sie für den größten Künstler
des Erdbodens, wenn Sie diese Aufgabe lö¬
sen." --

Wir bewunderten die sinnreiche Wahl des
Prinzen, und gaben ihr einstimmig unsern Bey¬
fall. Unterdessen ging der Magier mit starken
Schritten auf und nieder, und schien unentschlossen
mit sich selbst zu kämpfen.

"Und das war alles, was der Sterbende Ih¬
nen zu hinterlassen hatte?"
"Alles."

"Thaten Sie keine weiteren Nachfragen des¬
wegen in seinem Vaterlande?"

"Sie waren alle vergebens."

"Der Marquis von Lanoy hatte untadelhaft
gelebt? -- Ich darf nicht jeden Todten rufen."

"Er starb mit Reue über die Ausschweifungen
seiner Jugend."

"Tragen Sie irgend etwa ein Andenken von
ihm bey sich?"

"Ja." (Der Prinz führte wirklich eine Ta¬
batiere bey sich, worauf das Miniaturbild des Mar¬

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ſich.“ „Prinz,“ fing er an, „ich werde mein Va¬
terland nicht wieder ſehen, erfahren Sie alſo ein
Geheimniß, wozu niemand als ich den Schlüſſel
hat. In einem Kloſter auf der flandriſchen Grän¬
ze lebt eine — —“ hier verſchied er. Die
Hand des Todes zertrennte den Faden ſeiner Rede,
ich möchte ihn hier haben und die Fortſetzung
hören.“

„Viel gefodert, bey Gott!“ rief der Englän¬
der. „Ich erkläre Sie für den größten Künſtler
des Erdbodens, wenn Sie dieſe Aufgabe lö¬
ſen.“ —

Wir bewunderten die ſinnreiche Wahl des
Prinzen, und gaben ihr einſtimmig unſern Bey¬
fall. Unterdeſſen ging der Magier mit ſtarken
Schritten auf und nieder, und ſchien unentſchloſſen
mit ſich ſelbſt zu kämpfen.

„Und das war alles, was der Sterbende Ih¬
nen zu hinterlaſſen hatte?“
„Alles.“

„Thaten Sie keine weiteren Nachfragen des¬
wegen in ſeinem Vaterlande?“

„Sie waren alle vergebens.“

„Der Marquis von Lanoy hatte untadelhaft
gelebt? — Ich darf nicht jeden Todten rufen.“

„Er ſtarb mit Reue über die Ausſchweifungen
ſeiner Jugend.“

„Tragen Sie irgend etwa ein Andenken von
ihm bey ſich?“

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batiere bey ſich, worauf das Miniaturbild des Mar¬

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[25/0033] ſich.“ „Prinz,“ fing er an, „ich werde mein Va¬ terland nicht wieder ſehen, erfahren Sie alſo ein Geheimniß, wozu niemand als ich den Schlüſſel hat. In einem Kloſter auf der flandriſchen Grän¬ ze lebt eine — —“ hier verſchied er. Die Hand des Todes zertrennte den Faden ſeiner Rede, ich möchte ihn hier haben und die Fortſetzung hören.“ „Viel gefodert, bey Gott!“ rief der Englän¬ der. „Ich erkläre Sie für den größten Künſtler des Erdbodens, wenn Sie dieſe Aufgabe lö¬ ſen.“ — Wir bewunderten die ſinnreiche Wahl des Prinzen, und gaben ihr einſtimmig unſern Bey¬ fall. Unterdeſſen ging der Magier mit ſtarken Schritten auf und nieder, und ſchien unentſchloſſen mit ſich ſelbſt zu kämpfen. „Und das war alles, was der Sterbende Ih¬ nen zu hinterlaſſen hatte?“ „Alles.“ „Thaten Sie keine weiteren Nachfragen des¬ wegen in ſeinem Vaterlande?“ „Sie waren alle vergebens.“ „Der Marquis von Lanoy hatte untadelhaft gelebt? — Ich darf nicht jeden Todten rufen.“ „Er ſtarb mit Reue über die Ausſchweifungen ſeiner Jugend.“ „Tragen Sie irgend etwa ein Andenken von ihm bey ſich?“ „Ja.“ (Der Prinz führte wirklich eine Ta¬ batiere bey ſich, worauf das Miniaturbild des Mar¬ quis B 5

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/33>, abgerufen am 19.04.2024.