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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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wenig Augenblicken waren wir umringt. Der rus¬
sische Offizier, den ich jezt wieder den Armenier
nenne, zog den Anführer der Häscher auf die Sei¬
te, und, so viel mir diese Verwirrung zuließ, be¬
merkte ich, daß er ihm einige Worte heimlich ins
Ohr sagte, und etwas schriftliches vorzeigte. So¬
gleich verließ ihn der Häscher mit einer stummen
und ehrerbietigen Verbeugung, wandte sich darauf
zu uns und nahm seinen Hut ab. "Vergeben Sie
meine Herren," sagte er, "daß ich Sie mit diesem
Betrüger vermengen konnte. Ich will nicht fra¬
gen, wer Sie sind -- aber dieser Herr versichert
mir, daß ich Männer von Ehre vor mir habe."
Zugleich winkte er seinen Begleitern, von uns ab¬
zulassen Den Sicilianer befahl er wohl zu bewa¬
chen und zu binden. "Der Bursche da ist über¬
reif," sezte er hinzu. "Wir haben schon sieben
Monate auf ihn gelauert."

Dieser elende Mensch war wirklich ein Gegen¬
stand des Jammers. Das doppelte Schrecken der
zwoten Geistererscheinung und dieses unerwarteten
Ueberfalls hatte seine Besinnungskraft überwältigt.
Er ließ sich binden wie ein Kind; die Augen lagen
weit aufgesperrt und stier in einem todtenähnlichen
Gesichte, und seine Lippen bebten in stillen Zuckun¬
gen, ohne einen Laut auszustoßen. Jeden Augen¬
blick erwarteten wir einen Ausbruch von Convulsio¬
nen. Der Prinz fühlte Mitleid mit seinem Zustand,
und unternahm es, seine Loslassung bey dem Ge¬
richtsdiener auszuwirken, dem er sich zu erkennen gab.

"Gnädig¬

wenig Augenblicken waren wir umringt. Der ruſ¬
ſiſche Offizier, den ich jezt wieder den Armenier
nenne, zog den Anführer der Häſcher auf die Sei¬
te, und, ſo viel mir dieſe Verwirrung zuließ, be¬
merkte ich, daß er ihm einige Worte heimlich ins
Ohr ſagte, und etwas ſchriftliches vorzeigte. So¬
gleich verließ ihn der Häſcher mit einer ſtummen
und ehrerbietigen Verbeugung, wandte ſich darauf
zu uns und nahm ſeinen Hut ab. „Vergeben Sie
meine Herren,“ ſagte er, „daß ich Sie mit dieſem
Betrüger vermengen konnte. Ich will nicht fra¬
gen, wer Sie ſind — aber dieſer Herr verſichert
mir, daß ich Männer von Ehre vor mir habe.“
Zugleich winkte er ſeinen Begleitern, von uns ab¬
zulaſſen Den Sicilianer befahl er wohl zu bewa¬
chen und zu binden. „Der Burſche da iſt über¬
reif,“ ſezte er hinzu. „Wir haben ſchon ſieben
Monate auf ihn gelauert.“

Dieſer elende Menſch war wirklich ein Gegen¬
ſtand des Jammers. Das doppelte Schrecken der
zwoten Geiſtererſcheinung und dieſes unerwarteten
Ueberfalls hatte ſeine Beſinnungskraft überwältigt.
Er ließ ſich binden wie ein Kind; die Augen lagen
weit aufgeſperrt und ſtier in einem todtenähnlichen
Geſichte, und ſeine Lippen bebten in ſtillen Zuckun¬
gen, ohne einen Laut auszuſtoßen. Jeden Augen¬
blick erwarteten wir einen Ausbruch von Convulſio¬
nen. Der Prinz fühlte Mitleid mit ſeinem Zuſtand,
und unternahm es, ſeine Loslaſſung bey dem Ge¬
richtsdiener auszuwirken, dem er ſich zu erkennen gab.

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[32/0040] wenig Augenblicken waren wir umringt. Der ruſ¬ ſiſche Offizier, den ich jezt wieder den Armenier nenne, zog den Anführer der Häſcher auf die Sei¬ te, und, ſo viel mir dieſe Verwirrung zuließ, be¬ merkte ich, daß er ihm einige Worte heimlich ins Ohr ſagte, und etwas ſchriftliches vorzeigte. So¬ gleich verließ ihn der Häſcher mit einer ſtummen und ehrerbietigen Verbeugung, wandte ſich darauf zu uns und nahm ſeinen Hut ab. „Vergeben Sie meine Herren,“ ſagte er, „daß ich Sie mit dieſem Betrüger vermengen konnte. Ich will nicht fra¬ gen, wer Sie ſind — aber dieſer Herr verſichert mir, daß ich Männer von Ehre vor mir habe.“ Zugleich winkte er ſeinen Begleitern, von uns ab¬ zulaſſen Den Sicilianer befahl er wohl zu bewa¬ chen und zu binden. „Der Burſche da iſt über¬ reif,“ ſezte er hinzu. „Wir haben ſchon ſieben Monate auf ihn gelauert.“ Dieſer elende Menſch war wirklich ein Gegen¬ ſtand des Jammers. Das doppelte Schrecken der zwoten Geiſtererſcheinung und dieſes unerwarteten Ueberfalls hatte ſeine Beſinnungskraft überwältigt. Er ließ ſich binden wie ein Kind; die Augen lagen weit aufgeſperrt und ſtier in einem todtenähnlichen Geſichte, und ſeine Lippen bebten in ſtillen Zuckun¬ gen, ohne einen Laut auszuſtoßen. Jeden Augen¬ blick erwarteten wir einen Ausbruch von Convulſio¬ nen. Der Prinz fühlte Mitleid mit ſeinem Zuſtand, und unternahm es, ſeine Loslaſſung bey dem Ge¬ richtsdiener auszuwirken, dem er ſich zu erkennen gab. „Gnädig¬

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/40>, abgerufen am 25.04.2024.