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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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in der Einsamkeit des Waldes zu seinem großen
Werke vor. Er sieht zwei Liebende; der Geliebte
wird von einem wilden Krieger erschlagen. Die
Trauer der Zurückgelassenen erregt Valmiki's
Mitgefühl, und da er in Nachdenken darüber
versinkt, ist der Ausbruch seiner Klage ein metri-
scher Spruch. Mit Erstaunen wird er es gewahr
und theilt seinem geliebten Schüler die gemachte
Entdeckung mit. Brohma erscheint ihm, freut
sich über einen neuen Beweis, den Valmiki von
der so eben entdeckten Verskunst ablegt, und fodert
ihn abermals auf, das große Werk des Ramayon
zu beginnen. Zum Schluß preisen die Lehrlinge
noch die Erfindung des indischen Versmaaßes oder
der Shloken.

Der Tod des Krauncho wird nur ganz im
Vorbeigehn berührt, und ich habe auch weiter
nichts darüber gefunden. Merkwürdig ist es, daß
in diesem Mythus vom Ursprunge der Dichtkunst
alle Wunder der riesenhaften Vorwelt als schon
vorhanden und geschichtlich gegeben betrachtet,
Metrum und Poesie aber aus der sanften Stim-
mung des Mitgefühls hergeleitet werden.


in der Einſamkeit des Waldes zu ſeinem großen
Werke vor. Er ſieht zwei Liebende; der Geliebte
wird von einem wilden Krieger erſchlagen. Die
Trauer der Zurückgelaſſenen erregt Valmīki’s
Mitgefühl, und da er in Nachdenken darüber
verſinkt, iſt der Ausbruch ſeiner Klage ein metri-
ſcher Spruch. Mit Erſtaunen wird er es gewahr
und theilt ſeinem geliebten Schüler die gemachte
Entdeckung mit. Brohma erſcheint ihm, freut
ſich über einen neuen Beweis, den Valmīki von
der ſo eben entdeckten Verskunſt ablegt, und fodert
ihn abermals auf, das große Werk des Ramayon
zu beginnen. Zum Schluß preiſen die Lehrlinge
noch die Erfindung des indiſchen Versmaaßes oder
der Shlōken.

Der Tod des Krauncho wird nur ganz im
Vorbeigehn berührt, und ich habe auch weiter
nichts darüber gefunden. Merkwürdig iſt es, daß
in dieſem Mythus vom Urſprunge der Dichtkunſt
alle Wunder der rieſenhaften Vorwelt als ſchon
vorhanden und geſchichtlich gegeben betrachtet,
Metrum und Poeſie aber aus der ſanften Stim-
mung des Mitgefühls hergeleitet werden.


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[262/0281] in der Einſamkeit des Waldes zu ſeinem großen Werke vor. Er ſieht zwei Liebende; der Geliebte wird von einem wilden Krieger erſchlagen. Die Trauer der Zurückgelaſſenen erregt Valmīki’s Mitgefühl, und da er in Nachdenken darüber verſinkt, iſt der Ausbruch ſeiner Klage ein metri- ſcher Spruch. Mit Erſtaunen wird er es gewahr und theilt ſeinem geliebten Schüler die gemachte Entdeckung mit. Brohma erſcheint ihm, freut ſich über einen neuen Beweis, den Valmīki von der ſo eben entdeckten Verskunſt ablegt, und fodert ihn abermals auf, das große Werk des Ramayon zu beginnen. Zum Schluß preiſen die Lehrlinge noch die Erfindung des indiſchen Versmaaßes oder der Shlōken. Der Tod des Krauncho wird nur ganz im Vorbeigehn berührt, und ich habe auch weiter nichts darüber gefunden. Merkwürdig iſt es, daß in dieſem Mythus vom Urſprunge der Dichtkunſt alle Wunder der rieſenhaften Vorwelt als ſchon vorhanden und geſchichtlich gegeben betrachtet, Metrum und Poeſie aber aus der ſanften Stim- mung des Mitgefühls hergeleitet werden.

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/281>, abgerufen am 28.03.2024.