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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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Entweder werden die Nebenbestimmungen
der Bedeutung durch innre Veränderung des
Wurzellauts angezeigt, durch Flexion; oder aber
jedesmal durch ein eignes hinzugefügtes Wort,
was schon an und für sich Mehrheit, Vergan-
genheit, ein zukünftiges Sollen oder andre Ver-
hältnißbegriffe der Art bedeutet; und diese bei-
den einfachsten Fälle bezeichnen auch die beiden
Hauptgattungen aller Sprache. Alle übrigen
Fälle sind bei näherer Ansicht nur Modifikationen
und Nebenarten jener beiden Gattungen; daher
dieser Gegensatz auch das ganze in Rücksicht auf
die Mannichfaltigkeit der Wurzeln unermeßliche
und unbestimmbare Gebiet der Sprache umfaßt
und völlig erschöpft.

Ein merkwürdiges Beispiel einer Sprache
ganz ohne Flexion, wo alles, was jene Spra-
chen durch diese andeuten, durch eigne schon für
sich bedeutende Wörter verrichtet wird, bietet
das Chinesische dar; eine Sprache, die mit ih-
rer sonderbaren Einsylbigkeit, wegen dieser Con-
sequenz oder vielmehr vollkommnen Einfachheit
der Structur, für das Verständniß der ganzen
Sprachwelt sehr lehrreich ist. In gleicher Rück-

Entweder werden die Nebenbeſtimmungen
der Bedeutung durch innre Veraͤnderung des
Wurzellauts angezeigt, durch Flexion; oder aber
jedesmal durch ein eignes hinzugefuͤgtes Wort,
was ſchon an und fuͤr ſich Mehrheit, Vergan-
genheit, ein zukuͤnftiges Sollen oder andre Ver-
haͤltnißbegriffe der Art bedeutet; und dieſe bei-
den einfachſten Faͤlle bezeichnen auch die beiden
Hauptgattungen aller Sprache. Alle uͤbrigen
Faͤlle ſind bei naͤherer Anſicht nur Modifikationen
und Nebenarten jener beiden Gattungen; daher
dieſer Gegenſatz auch das ganze in Ruͤckſicht auf
die Mannichfaltigkeit der Wurzeln unermeßliche
und unbeſtimmbare Gebiet der Sprache umfaßt
und voͤllig erſchoͤpft.

Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel einer Sprache
ganz ohne Flexion, wo alles, was jene Spra-
chen durch dieſe andeuten, durch eigne ſchon fuͤr
ſich bedeutende Woͤrter verrichtet wird, bietet
das Chineſiſche dar; eine Sprache, die mit ih-
rer ſonderbaren Einſylbigkeit, wegen dieſer Con-
ſequenz oder vielmehr vollkommnen Einfachheit
der Structur, fuͤr das Verſtaͤndniß der ganzen
Sprachwelt ſehr lehrreich iſt. In gleicher Ruͤck-

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[45/0064] Entweder werden die Nebenbeſtimmungen der Bedeutung durch innre Veraͤnderung des Wurzellauts angezeigt, durch Flexion; oder aber jedesmal durch ein eignes hinzugefuͤgtes Wort, was ſchon an und fuͤr ſich Mehrheit, Vergan- genheit, ein zukuͤnftiges Sollen oder andre Ver- haͤltnißbegriffe der Art bedeutet; und dieſe bei- den einfachſten Faͤlle bezeichnen auch die beiden Hauptgattungen aller Sprache. Alle uͤbrigen Faͤlle ſind bei naͤherer Anſicht nur Modifikationen und Nebenarten jener beiden Gattungen; daher dieſer Gegenſatz auch das ganze in Ruͤckſicht auf die Mannichfaltigkeit der Wurzeln unermeßliche und unbeſtimmbare Gebiet der Sprache umfaßt und voͤllig erſchoͤpft. Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel einer Sprache ganz ohne Flexion, wo alles, was jene Spra- chen durch dieſe andeuten, durch eigne ſchon fuͤr ſich bedeutende Woͤrter verrichtet wird, bietet das Chineſiſche dar; eine Sprache, die mit ih- rer ſonderbaren Einſylbigkeit, wegen dieſer Con- ſequenz oder vielmehr vollkommnen Einfachheit der Structur, fuͤr das Verſtaͤndniß der ganzen Sprachwelt ſehr lehrreich iſt. In gleicher Ruͤck-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/64>, abgerufen am 28.03.2024.