fand sie ausgebildeter, aber noch eben so edel und eigen, so sinnig und stolz wie ehedem. Was ihn noch mehr reizte als ihre Liebens- würdigkeit, waren die Spuren von tiefem Gefühl. Sie schien nur fröh- lich und leichtfertig durchs Leben zu schwärmen wie über eine blumen- reiche Ebne, und verrieth doch seinem aufmerksamen Auge die entschiedenste Anlage zu einer gränzenlosen Leiden- schaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre Unschuld und ihr verschwiegenes und verschlossenes Wesen boten ihm leicht Mittel dar, sie allein zu sehen, und die Gefahr, die damit verbunden war, erhöhte den Reiz des Unter- nehmens. Aber mit Verdruß mußte er sich's gestehen, daß er seinem
Ziele
fand ſie ausgebildeter, aber noch eben ſo edel und eigen, ſo ſinnig und ſtolz wie ehedem. Was ihn noch mehr reizte als ihre Liebens- würdigkeit, waren die Spuren von tiefem Gefühl. Sie ſchien nur fröh- lich und leichtfertig durchs Leben zu ſchwärmen wie über eine blumen- reiche Ebne, und verrieth doch ſeinem aufmerkſamen Auge die entſchiedenſte Anlage zu einer gränzenloſen Leiden- ſchaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre Unſchuld und ihr verſchwiegenes und verſchloſſenes Weſen boten ihm leicht Mittel dar, ſie allein zu ſehen, und die Gefahr, die damit verbunden war, erhöhte den Reiz des Unter- nehmens. Aber mit Verdruß mußte er ſich's geſtehen, daß er ſeinem
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fand ſie ausgebildeter, aber noch
eben ſo edel und eigen, ſo ſinnig
und ſtolz wie ehedem. Was ihn
noch mehr reizte als ihre Liebens-
würdigkeit, waren die Spuren von
tiefem Gefühl. Sie ſchien nur fröh-
lich und leichtfertig durchs Leben zu
ſchwärmen wie über eine blumen-
reiche Ebne, und verrieth doch ſeinem
aufmerkſamen Auge die entſchiedenſte
Anlage zu einer gränzenloſen Leiden-
ſchaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre
Unſchuld und ihr verſchwiegenes und
verſchloſſenes Weſen boten ihm leicht
Mittel dar, ſie allein zu ſehen, und
die Gefahr, die damit verbunden
war, erhöhte den Reiz des Unter-
nehmens. Aber mit Verdruß mußte
er ſich's geſtehen, daß er ſeinem
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Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/133>, abgerufen am 25.04.2024.
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