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Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

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auch, wie es die Natur der Sache, eben so wie bei dem
Leben der Erde und dem der Sprachen, mit sich bringt,
auf einen kurzen Zeitraum beschränkt ist. Da wir wirk-
lich wahrnehmen können, dass die Arten nicht völlig be-
ständig sind, so ist ihre Veränderungsfähigkeit überhaupt,
wenn auch in beschränktem Maasse, beobachtet. Eine an
sich zufällige Sache, nämlich die Kürze des Zeitraumes,
innerhalb welches brauchbare Beobachtungen angestellt wur-
den, ist der Grund, dass die Veränderung der Arten im
ganzen als nicht bedeutend erscheint. Man braucht nur,
im Einklange mit den Ergebnissen sonstiger Beobachtungen,
für das Vorhandensein lebender Wesen auf unserem Welt-
körper eine grosse Anzahl von Jahrtausenden anzunehmen,
um begreiflich zu finden, wie durch fortwährende allmäh-
liche Veränderung, analog denen, die wirklich unter un-
sere Beobachtung fallen, die Gattungen und Arten, wie
sie jetzt vorhanden sind, entstehen konnten.

Darwins Lehre scheint mir demnach in der That nur
eine nothwendige Folge der heute zu Tage in der Naturwissen-
schaft geltenden Grundsätze zu sein. Sie beruht auf Be-
obachtung und ist wesentlich ein Versuch einer Entwickel-
ungsgeschichte. Was Lyell für die Lebensgeschichte der
Erde, das hat Darwin für die Lebensgeschichte der Bewoh-
ner der Erde ausgeführt. Darwins Lehre ist also keine zu-
fällige Erscheinung, sie ist nicht die Ausgeburt eines ab-
sonderlichen Kopfes, sondern ein rechtes und echtes Kind
unseres Jahrhunderts. Darwins Lehre ist eine Nothwen-
digkeit.

Das was Darwin für die Arten der Thiere und Pflanzen
geltend macht, gilt nun aber auch, wenigstens in seinen
hauptsächlichsten Zügen, für die Organismen der Sprachen.

auch, wie es die Natur der Sache, eben so wie bei dem
Leben der Erde und dem der Sprachen, mit sich bringt,
auf einen kurzen Zeitraum beschränkt ist. Da wir wirk-
lich wahrnehmen können, dass die Arten nicht völlig be-
ständig sind, so ist ihre Veränderungsfähigkeit überhaupt,
wenn auch in beschränktem Maasse, beobachtet. Eine an
sich zufällige Sache, nämlich die Kürze des Zeitraumes,
innerhalb welches brauchbare Beobachtungen angestellt wur-
den, ist der Grund, dass die Veränderung der Arten im
ganzen als nicht bedeutend erscheint. Man braucht nur,
im Einklange mit den Ergebnissen sonstiger Beobachtungen,
für das Vorhandensein lebender Wesen auf unserem Welt-
körper eine grosse Anzahl von Jahrtausenden anzunehmen,
um begreiflich zu finden, wie durch fortwährende allmäh-
liche Veränderung, analog denen, die wirklich unter un-
sere Beobachtung fallen, die Gattungen und Arten, wie
sie jetzt vorhanden sind, entstehen konnten.

Darwins Lehre scheint mir demnach in der That nur
eine nothwendige Folge der heute zu Tage in der Naturwissen-
schaft geltenden Grundsätze zu sein. Sie beruht auf Be-
obachtung und ist wesentlich ein Versuch einer Entwickel-
ungsgeschichte. Was Lyell für die Lebensgeschichte der
Erde, das hat Darwin für die Lebensgeschichte der Bewoh-
ner der Erde ausgeführt. Darwins Lehre ist also keine zu-
fällige Erscheinung, sie ist nicht die Ausgeburt eines ab-
sonderlichen Kopfes, sondern ein rechtes und echtes Kind
unseres Jahrhunderts. Darwins Lehre ist eine Nothwen-
digkeit.

Das was Darwin für die Arten der Thiere und Pflanzen
geltend macht, gilt nun aber auch, wenigstens in seinen
hauptsächlichsten Zügen, für die Organismen der Sprachen.

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[11/0011] auch, wie es die Natur der Sache, eben so wie bei dem Leben der Erde und dem der Sprachen, mit sich bringt, auf einen kurzen Zeitraum beschränkt ist. Da wir wirk- lich wahrnehmen können, dass die Arten nicht völlig be- ständig sind, so ist ihre Veränderungsfähigkeit überhaupt, wenn auch in beschränktem Maasse, beobachtet. Eine an sich zufällige Sache, nämlich die Kürze des Zeitraumes, innerhalb welches brauchbare Beobachtungen angestellt wur- den, ist der Grund, dass die Veränderung der Arten im ganzen als nicht bedeutend erscheint. Man braucht nur, im Einklange mit den Ergebnissen sonstiger Beobachtungen, für das Vorhandensein lebender Wesen auf unserem Welt- körper eine grosse Anzahl von Jahrtausenden anzunehmen, um begreiflich zu finden, wie durch fortwährende allmäh- liche Veränderung, analog denen, die wirklich unter un- sere Beobachtung fallen, die Gattungen und Arten, wie sie jetzt vorhanden sind, entstehen konnten. Darwins Lehre scheint mir demnach in der That nur eine nothwendige Folge der heute zu Tage in der Naturwissen- schaft geltenden Grundsätze zu sein. Sie beruht auf Be- obachtung und ist wesentlich ein Versuch einer Entwickel- ungsgeschichte. Was Lyell für die Lebensgeschichte der Erde, das hat Darwin für die Lebensgeschichte der Bewoh- ner der Erde ausgeführt. Darwins Lehre ist also keine zu- fällige Erscheinung, sie ist nicht die Ausgeburt eines ab- sonderlichen Kopfes, sondern ein rechtes und echtes Kind unseres Jahrhunderts. Darwins Lehre ist eine Nothwen- digkeit. Das was Darwin für die Arten der Thiere und Pflanzen geltend macht, gilt nun aber auch, wenigstens in seinen hauptsächlichsten Zügen, für die Organismen der Sprachen.

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/11>, abgerufen am 20.04.2024.