Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Einiger Maassen entsprechend wird es sich wahrscheinlich
mit der Entstehung der pflanzlichen und thierischen Orga-
nismen verhalten; die einfache Zelle ist wohl die gemein-
same Urform derselben, wie die einfache Wurzel die der
Sprachen. Die einfachsten Formen des späteren Thier- und
Pflanzenlebens, die Zellen, sind wohl auch in einer gewissen
Periode des Lebens unseres Weltkörpers als in Menge ent-
standen vorauszusetzen, wie in der Welt der Sprachen die
einfachen Bedeutungslaute. Diese anfänglichen, weder als
Pflanzen noch als Thiere anzusprechenden Formen des or-
ganischen Lebens bildeten sich später nach verschiedenen
Richtungen hin weiter aus. Eben so die Wurzeln der
Sprachen.

Da wir in historischer Zeit beobachten können, dass
bei Menschen, die unter wesentlich gleichartigen Verhält-
nissen leben, die Sprachen sich im Munde aller sie reden-
den Individuen gleichmässig verändern, so nehmen wir dem-
zufolge auch an, dass sich die Sprache bei völlig gleich-
artigen Menschen auch gleichartig bildete. Denn die oben
entwickelte Methode vom Bekannten aus auf das Nicht-
bekannte zu schliessen, gestattet uns nicht, für die der un-
mittelbaren Beobachtung entrückte Vorzeit andere Gesetze
des Lebens vorauszusetzen, als die sind, welche wir in dem
unserer Beobachtung zugänglichen Zeitabschnitte wahr-
nehmen.

Unter anderen Verhältnissen bildeten sich auch die
Sprachen anders und zwar stund aller Wahrscheinlichkeit
nach die Verschiedenheit der Sprachen in geradem Verhält-
nisse zur Verschiedenheit der Lebensverhältnisse der Men-
schen überhaupt. Die Vertheilung der Sprachen auf der
Erde muss also ursprünglich eine strenge Gesetzmässigkeit

Einiger Maassen entsprechend wird es sich wahrscheinlich
mit der Entstehung der pflanzlichen und thierischen Orga-
nismen verhalten; die einfache Zelle ist wohl die gemein-
same Urform derselben, wie die einfache Wurzel die der
Sprachen. Die einfachsten Formen des späteren Thier- und
Pflanzenlebens, die Zellen, sind wohl auch in einer gewissen
Periode des Lebens unseres Weltkörpers als in Menge ent-
standen vorauszusetzen, wie in der Welt der Sprachen die
einfachen Bedeutungslaute. Diese anfänglichen, weder als
Pflanzen noch als Thiere anzusprechenden Formen des or-
ganischen Lebens bildeten sich später nach verschiedenen
Richtungen hin weiter aus. Eben so die Wurzeln der
Sprachen.

Da wir in historischer Zeit beobachten können, dass
bei Menschen, die unter wesentlich gleichartigen Verhält-
nissen leben, die Sprachen sich im Munde aller sie reden-
den Individuen gleichmässig verändern, so nehmen wir dem-
zufolge auch an, dass sich die Sprache bei völlig gleich-
artigen Menschen auch gleichartig bildete. Denn die oben
entwickelte Methode vom Bekannten aus auf das Nicht-
bekannte zu schliessen, gestattet uns nicht, für die der un-
mittelbaren Beobachtung entrückte Vorzeit andere Gesetze
des Lebens vorauszusetzen, als die sind, welche wir in dem
unserer Beobachtung zugänglichen Zeitabschnitte wahr-
nehmen.

Unter anderen Verhältnissen bildeten sich auch die
Sprachen anders und zwar stund aller Wahrscheinlichkeit
nach die Verschiedenheit der Sprachen in geradem Verhält-
nisse zur Verschiedenheit der Lebensverhältnisse der Men-
schen überhaupt. Die Vertheilung der Sprachen auf der
Erde muss also ursprünglich eine strenge Gesetzmässigkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0026" n="24"/>
      <p>Einiger Maassen entsprechend wird es sich wahrscheinlich<lb/>
mit der Entstehung der pflanzlichen und thierischen Orga-<lb/>
nismen verhalten; die einfache Zelle ist wohl die gemein-<lb/>
same Urform derselben, wie die einfache Wurzel die der<lb/>
Sprachen. Die einfachsten Formen des späteren Thier- und<lb/>
Pflanzenlebens, die Zellen, sind wohl auch in einer gewissen<lb/>
Periode des Lebens unseres Weltkörpers als in Menge ent-<lb/>
standen vorauszusetzen, wie in der Welt der Sprachen die<lb/>
einfachen Bedeutungslaute. Diese anfänglichen, weder als<lb/>
Pflanzen noch als Thiere anzusprechenden Formen des or-<lb/>
ganischen Lebens bildeten sich später nach verschiedenen<lb/>
Richtungen hin weiter aus. Eben so die Wurzeln der<lb/>
Sprachen.</p><lb/>
      <p>Da wir in historischer Zeit beobachten können, dass<lb/>
bei Menschen, die unter wesentlich gleichartigen Verhält-<lb/>
nissen leben, die Sprachen sich im Munde aller sie reden-<lb/>
den Individuen gleichmässig verändern, so nehmen wir dem-<lb/>
zufolge auch an, dass sich die Sprache bei völlig gleich-<lb/>
artigen Menschen auch gleichartig bildete. Denn die oben<lb/>
entwickelte Methode vom Bekannten aus auf das Nicht-<lb/>
bekannte zu schliessen, gestattet uns nicht, für die der un-<lb/>
mittelbaren Beobachtung entrückte Vorzeit andere Gesetze<lb/>
des Lebens vorauszusetzen, als die sind, welche wir in dem<lb/>
unserer Beobachtung zugänglichen Zeitabschnitte wahr-<lb/>
nehmen.</p><lb/>
      <p>Unter anderen Verhältnissen bildeten sich auch die<lb/>
Sprachen anders und zwar stund aller Wahrscheinlichkeit<lb/>
nach die Verschiedenheit der Sprachen in geradem Verhält-<lb/>
nisse zur Verschiedenheit der Lebensverhältnisse der Men-<lb/>
schen überhaupt. Die Vertheilung der Sprachen auf der<lb/>
Erde muss also ursprünglich eine strenge Gesetzmässigkeit<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0026] Einiger Maassen entsprechend wird es sich wahrscheinlich mit der Entstehung der pflanzlichen und thierischen Orga- nismen verhalten; die einfache Zelle ist wohl die gemein- same Urform derselben, wie die einfache Wurzel die der Sprachen. Die einfachsten Formen des späteren Thier- und Pflanzenlebens, die Zellen, sind wohl auch in einer gewissen Periode des Lebens unseres Weltkörpers als in Menge ent- standen vorauszusetzen, wie in der Welt der Sprachen die einfachen Bedeutungslaute. Diese anfänglichen, weder als Pflanzen noch als Thiere anzusprechenden Formen des or- ganischen Lebens bildeten sich später nach verschiedenen Richtungen hin weiter aus. Eben so die Wurzeln der Sprachen. Da wir in historischer Zeit beobachten können, dass bei Menschen, die unter wesentlich gleichartigen Verhält- nissen leben, die Sprachen sich im Munde aller sie reden- den Individuen gleichmässig verändern, so nehmen wir dem- zufolge auch an, dass sich die Sprache bei völlig gleich- artigen Menschen auch gleichartig bildete. Denn die oben entwickelte Methode vom Bekannten aus auf das Nicht- bekannte zu schliessen, gestattet uns nicht, für die der un- mittelbaren Beobachtung entrückte Vorzeit andere Gesetze des Lebens vorauszusetzen, als die sind, welche wir in dem unserer Beobachtung zugänglichen Zeitabschnitte wahr- nehmen. Unter anderen Verhältnissen bildeten sich auch die Sprachen anders und zwar stund aller Wahrscheinlichkeit nach die Verschiedenheit der Sprachen in geradem Verhält- nisse zur Verschiedenheit der Lebensverhältnisse der Men- schen überhaupt. Die Vertheilung der Sprachen auf der Erde muss also ursprünglich eine strenge Gesetzmässigkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/26
Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/26>, abgerufen am 24.04.2024.