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Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861.

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Gotisch. Vocale.
Vocale des gotischen.§. 103.

Das deutsche, dessen ältester bekanter vertreter das go-
tische ist, zeichnet sich dadurch auß, daß es das princip der
flexion, die bewegung des wurzelvocals in seiner reihe, volstän-
dig bewart und zu regelmäßiger anwendung gebracht hat. Den
a-vocal schwächt das deutsche doppelt, zu u und zu i und
zwar bedient es sich diser schwächungen eben so regelmäßig
als der steigerungen. Das a hat doppelte function; disen
schwächungen gegenüber ist es steigerung, also = urspr. a, es
ist aber auch in nicht wenigen fällen entschiden reiner grund-
laut und demnach = urspr. a. Erste und zweite steigerung
wird im deutschen durchauß strenge geschiden und von beiden
ein auß gedenter gebrauch gemacht; die zweite steigerung der
a-reihe wird, wie im griechischen, durch vocalschattierung des
a zu o von der ersten steigerung a, gotisch e, geschiden. An-
statt au tritt mit schwächung des a zu i, iu ein, also ist got.
iu = urspr. au; in ai assimiliert sich das a dem i und wird
zu e, got. ei ist also = urspr. ai.

Vocaldenung ist dem gotischen noch fremd; indes laßen
sich im die anfänge einer im deutschen im laufe der zeit immer
weiteres gebiet gewinnenden erscheinung, nämlich der teilwei-
sen vertretung des iu (für urspr. au) durch au nicht ab sprechen.

Anm. Im späteren deutsch gieng das iu wol über dise gränzen
noch hinauß und sezte sich auch da fest, wo keine erste steige-
rung ein zu treten hatte.
Fürs gotische stelt J. Grimm das au in abrede, worin wir
im nicht bei pflichten können.

Diser höchst ursprüngliche vocalismus des gotischen wird
im inlaute durch lautgesetze fast gar nicht getrübt, im auß-
laute unterligen aber die vocale ser bedeutenden verflüchti-
gungen, jedoch nach bestimten gesetzen. Strenge regelmäßig-
keit charakterisiert mit wenigen außnamen den vocalismus der
gotischen sprache. Wie im slawischen und litauischen, so findet
auch im deutschen übertritt der a-reihe in die i-reihe statt, d. h.
es findet sich ei und ai in wurzeln, deren grundvocal a ist (i kann
nicht hierher gerechnet werden, da es schwächung von a ist).

Gotisch. Vocale.
Vocale des gotischen.§. 103.

Das deutsche, dessen ältester bekanter vertreter das go-
tische ist, zeichnet sich dadurch auß, daß es das princip der
flexion, die bewegung des wurzelvocals in seiner reihe, volstän-
dig bewart und zu regelmäßiger anwendung gebracht hat. Den
a-vocal schwächt das deutsche doppelt, zu u und zu i und
zwar bedient es sich diser schwächungen eben so regelmäßig
als der steigerungen. Das a hat doppelte function; disen
schwächungen gegenüber ist es steigerung, also = urspr. â, es
ist aber auch in nicht wenigen fällen entschiden reiner grund-
laut und demnach = urspr. a. Erste und zweite steigerung
wird im deutschen durchauß strenge geschiden und von beiden
ein auß gedenter gebrauch gemacht; die zweite steigerung der
a-reihe wird, wie im griechischen, durch vocalschattierung des
â zu ô von der ersten steigerung â, gotisch ê, geschiden. An-
statt au tritt mit schwächung des a zu i, iu ein, also ist got.
iu = urspr. au; in ai assimiliert sich das a dem i und wird
zu e, got. ei ist also = urspr. ai.

Vocaldenung ist dem gotischen noch fremd; indes laßen
sich im die anfänge einer im deutschen im laufe der zeit immer
weiteres gebiet gewinnenden erscheinung, nämlich der teilwei-
sen vertretung des iu (für urspr. au) durch û nicht ab sprechen.

Anm. Im späteren deutsch gieng das iu wol über dise gränzen
noch hinauß und sezte sich auch da fest, wo keine erste steige-
rung ein zu treten hatte.
Fürs gotische stelt J. Grimm das û in abrede, worin wir
im nicht bei pflichten können.

Diser höchst ursprüngliche vocalismus des gotischen wird
im inlaute durch lautgesetze fast gar nicht getrübt, im auß-
laute unterligen aber die vocale ser bedeutenden verflüchti-
gungen, jedoch nach bestimten gesetzen. Strenge regelmäßig-
keit charakterisiert mit wenigen außnamen den vocalismus der
gotischen sprache. Wie im slawischen und litauischen, so findet
auch im deutschen übertritt der a-reihe in die i-reihe statt, d. h.
es findet sich ei und ai in wurzeln, deren grundvocal a ist (i kann
nicht hierher gerechnet werden, da es schwächung von a ist).

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[125/0139] Gotisch. Vocale. Vocale des gotischen. Das deutsche, dessen ältester bekanter vertreter das go- tische ist, zeichnet sich dadurch auß, daß es das princip der flexion, die bewegung des wurzelvocals in seiner reihe, volstän- dig bewart und zu regelmäßiger anwendung gebracht hat. Den a-vocal schwächt das deutsche doppelt, zu u und zu i und zwar bedient es sich diser schwächungen eben so regelmäßig als der steigerungen. Das a hat doppelte function; disen schwächungen gegenüber ist es steigerung, also = urspr. â, es ist aber auch in nicht wenigen fällen entschiden reiner grund- laut und demnach = urspr. a. Erste und zweite steigerung wird im deutschen durchauß strenge geschiden und von beiden ein auß gedenter gebrauch gemacht; die zweite steigerung der a-reihe wird, wie im griechischen, durch vocalschattierung des â zu ô von der ersten steigerung â, gotisch ê, geschiden. An- statt au tritt mit schwächung des a zu i, iu ein, also ist got. iu = urspr. au; in ai assimiliert sich das a dem i und wird zu e, got. ei ist also = urspr. ai. Vocaldenung ist dem gotischen noch fremd; indes laßen sich im die anfänge einer im deutschen im laufe der zeit immer weiteres gebiet gewinnenden erscheinung, nämlich der teilwei- sen vertretung des iu (für urspr. au) durch û nicht ab sprechen. Anm. Im späteren deutsch gieng das iu wol über dise gränzen noch hinauß und sezte sich auch da fest, wo keine erste steige- rung ein zu treten hatte. Fürs gotische stelt J. Grimm das û in abrede, worin wir im nicht bei pflichten können. Diser höchst ursprüngliche vocalismus des gotischen wird im inlaute durch lautgesetze fast gar nicht getrübt, im auß- laute unterligen aber die vocale ser bedeutenden verflüchti- gungen, jedoch nach bestimten gesetzen. Strenge regelmäßig- keit charakterisiert mit wenigen außnamen den vocalismus der gotischen sprache. Wie im slawischen und litauischen, so findet auch im deutschen übertritt der a-reihe in die i-reihe statt, d. h. es findet sich ei und ai in wurzeln, deren grundvocal a ist (i kann nicht hierher gerechnet werden, da es schwächung von a ist).

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_indogermanische01_1861/139>, abgerufen am 25.04.2024.