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Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861.

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Gotisch. U-reihe. au. 2. steig. au.

Ein sicheres beispil für au (in gotischer schrift u one be-
zeichnung eines unterschides von der kürze) ist lauka (claudo
1. sing. praes.) für das zu erwartende *liuka wurz. luk; war-
scheinlich sind aber mer dergleichen fälle an zu nemen, jedoch
können dise mit sicherheit nicht als solche bezeichnet werden,
weil inen nur deutsche parallelen mit au zur seite stehen (wie
hus ahd. haus domus; ut ahd. auß foras u. a.), aber keine paral-
lelen auß andern indogermanischen sprachen; in den übrigen
deutschen sprachen findet sich aber auch au = got. und urspr.
u, nicht nur au = got. iu, urspr. au, so daß also durch althd.
au noch kein voller beweis für gotisch au gegeben ist.

Zweite steigerung au = urspr. au, z. b. baug (1. 3.
sg. perf.) wurz. bug, altind. bubhoga (mit erster steigerung);
tauh (dass.) wurz. tuh; ga-laub-ja (credo) wurz. lub (causativ-
bildung von derselben), wie us-baug-ja (everro) zu wurz. bug,
baug-ja = altind. bhogajami u. a.

Die verwanten sprachen haben in den vergleichbaren fällen
fast durchauß erste steigerung; im griechischen, der sprache, die
außerdem am meisten mit dem gotischen im fleißigen gebrau-
che der vocalsteigerung stimt, wird die zweite steigerung des
u regelmäßig durch die erste ersezt; indes weiset baua (habito)
perf. bauai-da) auf eine grundf. bhava-jami, causativum zu wurz.
bhu (fieri, esse) hin, und entspricht also dem altind. bhavajami
(facio ut sit), got. bau = altind. bhau.

Mischung der a und i-reihe findet nur vereinzelt§. 109.
statt, nicht, wie im slawischen und litauischen, mit einer ge-
wissen regelmäßigkeit (vgl. Kuhns Zeitschr. VII, 221 -- 223),
z. b. braids = altind. prthus, d. i. *prathus, platus, lit. platus;
dail-s
slaw. del-u (pars) entspricht dem litauischen dal-is (pars),
wurzel ist dar (findere, dividere); greipa, perf. graip, 1. plur.
perf. gripum, wurz. also grip (prehendere), das trotz des g und
des p die nicht regelrecht entsprechen (s. u. die lere von den
consonanten) von altind. wurz. grabh, altpers. garb, slaw. grab
nicht zu trennen ist; neben wurz. las (legere, colligere), 1. praes.
lisa, perf. las, plur. perf. lesum, steht lais-jan (docere), leis-anon

Schleicher, vergl. gramm. d. indog. spr. 9
Gotisch. U-reihe. û. 2. steig. au.

Ein sicheres beispil für û (in gotischer schrift u one be-
zeichnung eines unterschides von der kürze) ist lûka (claudo
1. sing. praes.) für das zu erwartende *liuka wurz. luk; war-
scheinlich sind aber mer dergleichen fälle an zu nemen, jedoch
können dise mit sicherheit nicht als solche bezeichnet werden,
weil inen nur deutsche parallelen mit û zur seite stehen (wie
hus ahd. hûs domus; ut ahd. ûƷ foras u. a.), aber keine paral-
lelen auß andern indogermanischen sprachen; in den übrigen
deutschen sprachen findet sich aber auch û = got. und urspr.
u, nicht nur û = got. iu, urspr. au, so daß also durch althd.
û noch kein voller beweis für gotisch û gegeben ist.

Zweite steigerung au = urspr. âu, z. b. baug (1. 3.
sg. perf.) wurz. bug, altind. bubhốǵa (mit erster steigerung);
tauh (dass.) wurz. tuh; ga-laub-ja (credo) wurz. lub (causativ-
bildung von derselben), wie us-baug-ja (everro) zu wurz. bug,
baug-ja = altind. bhôǵájâmi u. a.

Die verwanten sprachen haben in den vergleichbaren fällen
fast durchauß erste steigerung; im griechischen, der sprache, die
außerdem am meisten mit dem gotischen im fleißigen gebrau-
che der vocalsteigerung stimt, wird die zweite steigerung des
u regelmäßig durch die erste ersezt; indes weiset baua (habito)
perf. bauai-da) auf eine grundf. bhâva-jâmi, causativum zu wurz.
bhu (fieri, esse) hin, und entspricht also dem altind. bhâvájâmi
(facio ut sit), got. bau = altind. bhâu.

Mischung der a und i-reihe findet nur vereinzelt§. 109.
statt, nicht, wie im slawischen und litauischen, mit einer ge-
wissen regelmäßigkeit (vgl. Kuhns Zeitschr. VII, 221 — 223),
z. b. braids = altind. prthús, d. i. *prathus, πλατύς, lit. platùs;
dail-s
slaw. děl-u (pars) entspricht dem litauischen dal-ìs (pars),
wurzel ist dar (findere, dividere); greipa, perf. graip, 1. plur.
perf. gripum, wurz. also grip (prehendere), das trotz des g und
des p die nicht regelrecht entsprechen (s. u. die lere von den
consonanten) von altind. wurz. grabh, altpers. garb, slaw. grab
nicht zu trennen ist; neben wurz. las (legere, colligere), 1. praes.
lisa, perf. las, plur. perf. lêsum, steht lais-jan (docere), leis-anôn

Schleicher, vergl. gramm. d. indog. spr. 9
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[129/0143] Gotisch. U-reihe. û. 2. steig. au. Ein sicheres beispil für û (in gotischer schrift u one be- zeichnung eines unterschides von der kürze) ist lûka (claudo 1. sing. praes.) für das zu erwartende *liuka wurz. luk; war- scheinlich sind aber mer dergleichen fälle an zu nemen, jedoch können dise mit sicherheit nicht als solche bezeichnet werden, weil inen nur deutsche parallelen mit û zur seite stehen (wie hus ahd. hûs domus; ut ahd. ûƷ foras u. a.), aber keine paral- lelen auß andern indogermanischen sprachen; in den übrigen deutschen sprachen findet sich aber auch û = got. und urspr. u, nicht nur û = got. iu, urspr. au, so daß also durch althd. û noch kein voller beweis für gotisch û gegeben ist. Zweite steigerung au = urspr. âu, z. b. baug (1. 3. sg. perf.) wurz. bug, altind. bubhốǵa (mit erster steigerung); tauh (dass.) wurz. tuh; ga-laub-ja (credo) wurz. lub (causativ- bildung von derselben), wie us-baug-ja (everro) zu wurz. bug, baug-ja = altind. bhôǵájâmi u. a. Die verwanten sprachen haben in den vergleichbaren fällen fast durchauß erste steigerung; im griechischen, der sprache, die außerdem am meisten mit dem gotischen im fleißigen gebrau- che der vocalsteigerung stimt, wird die zweite steigerung des u regelmäßig durch die erste ersezt; indes weiset baua (habito) perf. bauai-da) auf eine grundf. bhâva-jâmi, causativum zu wurz. bhu (fieri, esse) hin, und entspricht also dem altind. bhâvájâmi (facio ut sit), got. bau = altind. bhâu. Mischung der a und i-reihe findet nur vereinzelt statt, nicht, wie im slawischen und litauischen, mit einer ge- wissen regelmäßigkeit (vgl. Kuhns Zeitschr. VII, 221 — 223), z. b. braids = altind. prthús, d. i. *prathus, πλατύς, lit. platùs; dail-s slaw. děl-u (pars) entspricht dem litauischen dal-ìs (pars), wurzel ist dar (findere, dividere); greipa, perf. graip, 1. plur. perf. gripum, wurz. also grip (prehendere), das trotz des g und des p die nicht regelrecht entsprechen (s. u. die lere von den consonanten) von altind. wurz. grabh, altpers. garb, slaw. grab nicht zu trennen ist; neben wurz. las (legere, colligere), 1. praes. lisa, perf. las, plur. perf. lêsum, steht lais-jan (docere), leis-anôn §. 109. Schleicher, vergl. gramm. d. indog. spr. 9

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_indogermanische01_1861/143>, abgerufen am 24.04.2024.