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Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861.

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Lateinisch. Consonantische lautgesetze. Anlaut.

Ebenfals durch das streben nach dissimilation bedingt ist
der wechsel von -ali-s mit -ari-s; lezteres steht dann, wenn der
wortstamm, an welchen diß secundäre suffix an tritt, ein l ent-
hält, z. b. mort-ali-s aber vulg-ari-s, popul-ari-s, epul-ari-s.

§. 158.
Anlaut.

Mer als in den verwanten sprachen, in welchen consonan-
tenschwund im wortanlaute nur vereinzelt auf zu treten pflegt,
sind im lateinischen an lautende consonanten der verflüchtigung
auß gesezt. Oft fält von zwei an lautenden consonanten der
erstere hinweg, doch findet sich sogar der schwund eines ein-
zelnen consonanten vor folgendem vocale (q vor u).

So lautet mit sm, sr kein lateinisches wort an; wo dise
gruppen ursprünglich im anlaute stunden, da verlieren sie das
s und nur der zweite laut bleibt, z. b. nix, nivis auß *snig-s,
*snigv-is (s. oben §. 152, 1), vgl. lit. snig-ti (ningvere), sneg-as
(nix), got. snaiv-s (nix); nurus auß *snurus, vgl. ahd. snur, alt-
ind. snusa; me-mor auß *sme-smor, wurz. altind. u. urspr. smar
(meminisse).

Vereinzelt sind dagegen fälle wie teg-o für *steg-o, vgl. gr.
steg-o, steg-e neben teg-e, lit. stogas (tectum), im deutschen
felt ebenfals das s, vgl. deck-en, dach; cav-ere neben got. us-
skav-jan
(sibi cavere) wurz. urspr. skav u. a. dergl. neben den
häufigen anlauten st, sc. Auch in la-tum für *tlatum, vgl. wurz.
tol (tollo) ist das an lautende t geschwunden. Ob lae-tus für
*plai-to-s steht und zu wurz. altind. pri (amare, exhilarare) ge-
hört, lav in lavere, lavare für *plav steht, und hier eine cau-
sativbildung der wurzel plu vorligt, kann zweifelhaft erscheinen
(lav gehört wol mit luo zusammen und nicht zu wurzel plu).
Überhaupt ist auf disem gebiete noch viles zweifelhaft und
unsicher, weshalb wir uns auf wenige beispile beschränken.

Bekant ist, daß man erst in historischer zeit den anlaut
gn in n vereinfachte, wie z. b. in no-sco, no-tus, no-men auß äl-
terem gno-sco vgl. co-gno-sco, gno-tus, gno-men vgl. co-gnomen;
narrare
auß älterem gna-rigare, von dem einzigen mit vollem
anlaute erhaltenen worte gna-rus gebildet, das mit gno-sco glei-

Lateinisch. Consonantische lautgesetze. Anlaut.

Ebenfals durch das streben nach dissimilation bedingt ist
der wechsel von -ali-s mit -ari-s; lezteres steht dann, wenn der
wortstamm, an welchen diß secundäre suffix an tritt, ein l ent-
hält, z. b. mort-ali-s aber vulg-ari-s, popul-ari-s, epul-ari-s.

§. 158.
Anlaut.

Mer als in den verwanten sprachen, in welchen consonan-
tenschwund im wortanlaute nur vereinzelt auf zu treten pflegt,
sind im lateinischen an lautende consonanten der verflüchtigung
auß gesezt. Oft fält von zwei an lautenden consonanten der
erstere hinweg, doch findet sich sogar der schwund eines ein-
zelnen consonanten vor folgendem vocale (q vor u).

So lautet mit sm, sr kein lateinisches wort an; wo dise
gruppen ursprünglich im anlaute stunden, da verlieren sie das
s und nur der zweite laut bleibt, z. b. nix, nivis auß *snig-s,
*snigv-is (s. oben §. 152, 1), vgl. lit. snìg-ti (ningvere), snë́g-as
(nix), got. snaiv-s (nix); nurus auß *snurus, vgl. ahd. snur, alt-
ind. snuśấ; me-mor auß *sme-smor, wurz. altind. u. urspr. smar
(meminisse).

Vereinzelt sind dagegen fälle wie teg-o für *steg-o, vgl. gr.
στέγ-ω, στέγ-η neben τέγ-η, lit. stógas (tectum), im deutschen
felt ebenfals das s, vgl. deck-en, dach; cav-ere neben got. us-
skav-jan
(sibi cavere) wurz. urspr. skav u. a. dergl. neben den
häufigen anlauten st, sc. Auch in lâ-tum für *tlâtum, vgl. wurz.
tol (tollo) ist das an lautende t geschwunden. Ob lae-tus für
*plai-to-s steht und zu wurz. altind. pri (amare, exhilarare) ge-
hört, lăv in lavere, lavare für *plăv steht, und hier eine cau-
sativbildung der wurzel plu vorligt, kann zweifelhaft erscheinen
(lav gehört wol mit luo zusammen und nicht zu wurzel plu).
Überhaupt ist auf disem gebiete noch viles zweifelhaft und
unsicher, weshalb wir uns auf wenige beispile beschränken.

Bekant ist, daß man erst in historischer zeit den anlaut
gn in n vereinfachte, wie z. b. in nô-sco, nô-tus, nô-men auß äl-
terem gnô-sco vgl. co-gnô-sco, gnô-tus, gnô-men vgl. co-gnômen;
narrare
auß älterem gna-rigare, von dem einzigen mit vollem
anlaute erhaltenen worte gnâ-rus gebildet, das mit gno-sco glei-

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[214/0228] Lateinisch. Consonantische lautgesetze. Anlaut. Ebenfals durch das streben nach dissimilation bedingt ist der wechsel von -ali-s mit -ari-s; lezteres steht dann, wenn der wortstamm, an welchen diß secundäre suffix an tritt, ein l ent- hält, z. b. mort-ali-s aber vulg-ari-s, popul-ari-s, epul-ari-s. Anlaut. Mer als in den verwanten sprachen, in welchen consonan- tenschwund im wortanlaute nur vereinzelt auf zu treten pflegt, sind im lateinischen an lautende consonanten der verflüchtigung auß gesezt. Oft fält von zwei an lautenden consonanten der erstere hinweg, doch findet sich sogar der schwund eines ein- zelnen consonanten vor folgendem vocale (q vor u). So lautet mit sm, sr kein lateinisches wort an; wo dise gruppen ursprünglich im anlaute stunden, da verlieren sie das s und nur der zweite laut bleibt, z. b. nix, nivis auß *snig-s, *snigv-is (s. oben §. 152, 1), vgl. lit. snìg-ti (ningvere), snë́g-as (nix), got. snaiv-s (nix); nurus auß *snurus, vgl. ahd. snur, alt- ind. snuśấ; me-mor auß *sme-smor, wurz. altind. u. urspr. smar (meminisse). Vereinzelt sind dagegen fälle wie teg-o für *steg-o, vgl. gr. στέγ-ω, στέγ-η neben τέγ-η, lit. stógas (tectum), im deutschen felt ebenfals das s, vgl. deck-en, dach; cav-ere neben got. us- skav-jan (sibi cavere) wurz. urspr. skav u. a. dergl. neben den häufigen anlauten st, sc. Auch in lâ-tum für *tlâtum, vgl. wurz. tol (tollo) ist das an lautende t geschwunden. Ob lae-tus für *plai-to-s steht und zu wurz. altind. pri (amare, exhilarare) ge- hört, lăv in lavere, lavare für *plăv steht, und hier eine cau- sativbildung der wurzel plu vorligt, kann zweifelhaft erscheinen (lav gehört wol mit luo zusammen und nicht zu wurzel plu). Überhaupt ist auf disem gebiete noch viles zweifelhaft und unsicher, weshalb wir uns auf wenige beispile beschränken. Bekant ist, daß man erst in historischer zeit den anlaut gn in n vereinfachte, wie z. b. in nô-sco, nô-tus, nô-men auß äl- terem gnô-sco vgl. co-gnô-sco, gnô-tus, gnô-men vgl. co-gnômen; narrare auß älterem gna-rigare, von dem einzigen mit vollem anlaute erhaltenen worte gnâ-rus gebildet, das mit gno-sco glei-

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_indogermanische01_1861/228>, abgerufen am 24.04.2024.