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Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 2. Weimar, 1862.

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Wortbildung.
§. 242.bärden; adverbia, partikeln, praepositionen u. s. f. sind ur-
sprünglich casus oder verbalformen). Die stämme sind an sich
noch keines von beiden, weder nomen noch verbum; sie wer-
den erst zu dem einen oder andern bestimt durch casussuffix
und personalendung. Stamm bhar-a z. b., von wurzel bhar, ist
weder verbum noch nomen; nom. sg. msc. bhara-s, acc. sg.
bhara-m, instr. pluralis bhara-bhis u. s. f., ist nomen und hat
als solches die function eines nomen agentis; 2. sg. praes.
bhara-si, 3. sg. bhara-ti, 3. plur. bhara-nti, ist verbum, fers,
fert, ferunt. Casussuffixe und personalendungen sind
also im indogermanischen die eigentlichen wortbildungsele-
mente
, im gegensatze zu den stambildungselementen.

Die wortbildungselemente sind fast sämtlich deutlich und klar
erkenbar als pronominale elemente, die in einer früheren lebens
epoche des indogermanischen noch selbständige wurzeln waren;
z. b. bhara-s, nom. sg. masc., latein. *-feru-s, darauß -fer, ist
zusammen geschmolzen auß bhar a sa; bhar ist die wurzel
mit der function ferre; a ist ein determinierendes pronominales
element, hier den täter bezeichnend; sa ist ein demonstrativ,
das belebte genus im nominativ an deutend; bharati (fert) zer-
legt sich in bhar-a und ti, älter wol ta, pronom. der dritten
person, vgl. wurzel ta, z. b. in ta-m, griech. to-n, lat. (is)-tu-m
u. s. f. In bhar-a-mi, mit gesteigertem a des stammes, ist mi
für ma pronomen der ersten person sing. u. s. f.

Da verbum und nomen sich so zu einander verhalten, daß
sie als nähere bestimmung früher unbestimter sprachelemente
zu betrachten sind, so kann eins one das andre nicht vor kom-
men. Entweder scheidet eine sprache nomina und verba in der
form, oder sie hat keines von beiden. Man kann daher auch
nicht von einer priorität des einen oder des andern sprechen;
nomen und verbum sind beide zugleich entstanden. Es ist da-
her völlig gleichgiltig, ob wir in der wortbildunglere die decli-
nation (die lere von den nominalformen, d. h. den casusendun-
gen) oder die conjugation (die lere von den verbalformen, d. h.
strenge genommen, den personalendungen, da tempusstämme
und modusstämme noch nicht das characteristische des verbum

Wortbildung.
§. 242.bärden; adverbia, partikeln, praepositionen u. s. f. sind ur-
sprünglich casus oder verbalformen). Die stämme sind an sich
noch keines von beiden, weder nomen noch verbum; sie wer-
den erst zu dem einen oder andern bestimt durch casussuffix
und personalendung. Stamm bhar-a z. b., von wurzel bhar, ist
weder verbum noch nomen; nom. sg. msc. bhara-s, acc. sg.
bhara-m, instr. pluralis bhara-bhis u. s. f., ist nomen und hat
als solches die function eines nomen agentis; 2. sg. praes.
bhara-si, 3. sg. bhara-ti, 3. plur. bhara-nti, ist verbum, fers,
fert, ferunt. Casussuffixe und personalendungen sind
also im indogermanischen die eigentlichen wortbildungsele-
mente
, im gegensatze zu den stambildungselementen.

Die wortbildungselemente sind fast sämtlich deutlich und klar
erkenbar als pronominale elemente, die in einer früheren lebens
epoche des indogermanischen noch selbständige wurzeln waren;
z. b. bhara-s, nom. sg. masc., latein. *-feru-s, darauß -fer, ist
zusammen geschmolzen auß bhar a sa; bhar ist die wurzel
mit der function ferre; a ist ein determinierendes pronominales
element, hier den täter bezeichnend; sa ist ein demonstrativ,
das belebte genus im nominativ an deutend; bharati (fert) zer-
legt sich in bhar-a und ti, älter wol ta, pronom. der dritten
person, vgl. wurzel ta, z. b. in ta-m, griech. τό-ν, lat. (is)-tu-m
u. s. f. In bhar-â-mi, mit gesteigertem a des stammes, ist mi
für ma pronomen der ersten person sing. u. s. f.

Da verbum und nomen sich so zu einander verhalten, daß
sie als nähere bestimmung früher unbestimter sprachelemente
zu betrachten sind, so kann eins one das andre nicht vor kom-
men. Entweder scheidet eine sprache nomina und verba in der
form, oder sie hat keines von beiden. Man kann daher auch
nicht von einer priorität des einen oder des andern sprechen;
nomen und verbum sind beide zugleich entstanden. Es ist da-
her völlig gleichgiltig, ob wir in der wortbildunglere die decli-
nation (die lere von den nominalformen, d. h. den casusendun-
gen) oder die conjugation (die lere von den verbalformen, d. h.
strenge genommen, den personalendungen, da tempusstämme
und modusstämme noch nicht das characteristische des verbum

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[412/0138] Wortbildung. bärden; adverbia, partikeln, praepositionen u. s. f. sind ur- sprünglich casus oder verbalformen). Die stämme sind an sich noch keines von beiden, weder nomen noch verbum; sie wer- den erst zu dem einen oder andern bestimt durch casussuffix und personalendung. Stamm bhar-a z. b., von wurzel bhar, ist weder verbum noch nomen; nom. sg. msc. bhara-s, acc. sg. bhara-m, instr. pluralis bhara-bhis u. s. f., ist nomen und hat als solches die function eines nomen agentis; 2. sg. praes. bhara-si, 3. sg. bhara-ti, 3. plur. bhara-nti, ist verbum, fers, fert, ferunt. Casussuffixe und personalendungen sind also im indogermanischen die eigentlichen wortbildungsele- mente, im gegensatze zu den stambildungselementen. §. 242. Die wortbildungselemente sind fast sämtlich deutlich und klar erkenbar als pronominale elemente, die in einer früheren lebens epoche des indogermanischen noch selbständige wurzeln waren; z. b. bhara-s, nom. sg. masc., latein. *-feru-s, darauß -fer, ist zusammen geschmolzen auß bhar a sa; bhar ist die wurzel mit der function ferre; a ist ein determinierendes pronominales element, hier den täter bezeichnend; sa ist ein demonstrativ, das belebte genus im nominativ an deutend; bharati (fert) zer- legt sich in bhar-a und ti, älter wol ta, pronom. der dritten person, vgl. wurzel ta, z. b. in ta-m, griech. τό-ν, lat. (is)-tu-m u. s. f. In bhar-â-mi, mit gesteigertem a des stammes, ist mi für ma pronomen der ersten person sing. u. s. f. Da verbum und nomen sich so zu einander verhalten, daß sie als nähere bestimmung früher unbestimter sprachelemente zu betrachten sind, so kann eins one das andre nicht vor kom- men. Entweder scheidet eine sprache nomina und verba in der form, oder sie hat keines von beiden. Man kann daher auch nicht von einer priorität des einen oder des andern sprechen; nomen und verbum sind beide zugleich entstanden. Es ist da- her völlig gleichgiltig, ob wir in der wortbildunglere die decli- nation (die lere von den nominalformen, d. h. den casusendun- gen) oder die conjugation (die lere von den verbalformen, d. h. strenge genommen, den personalendungen, da tempusstämme und modusstämme noch nicht das characteristische des verbum

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 2. Weimar, 1862, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_indogermanische02_1862/138>, abgerufen am 29.03.2024.