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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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norddeutschen Küste, in Brasilien und Ostindien. Doch wozu die Bei-
spiele häufen, da diese schon hinreichen zu zeigen, daß die Ansicht
einige Stütze in der Beobachtung findet, welche annimmt, daß
jede Pflanze auch da auf der Erde sich finden müsse, wo die uns be-
kannten Bedingungen ihrer Vegetation vorhanden sind. Aber eben
deshalb habe ich jene drei Scenen gleich an den Eingang meiner
Mittheilungen gestellt, um von vornherein darauf aufmerksam zu
machen, daß gerade die eben erwähnten Fälle, die uns auf den ersten
Anblick eine natürliche und nothwendige Folge der Pflanzenorgani-
sation zu seyn scheinen, geradezu nur als seltene Ausnahmen vorkom-
men. -- Schon das kleine Gänseblümchen zeigt einen gewissen Eigen-
sinn. Es fehlt in ganz Nordamerica und was wir auf unsern Wiesen
als unbedeutendes Unkraut zertreten, wird dort mit der zärtlichsten
Sorgfalt in den botanischen Gärten erzogen. Gehen wir die Vege-
tation verschiedener Länder durch, so sehen wir, daß die für unsere
jetzigen Kenntnisse gleich erscheinenden Bedingungen zwar ähnliche
aber keineswegs gleiche Pflanzenformen hervorrufen. Den Pflanzen
einer bestimmten nördlichen Breite entsprechen auf der analogen Höhe
der südlicher gelegenen Alpen andere Arten desselben Geschlech-
tes, oder andere Geschlechter derselben Pflanzenfamilie, oder die
Pflanzen Americas werden auf gleicher Breite in der alten Welt durch
andere aber in ihrer Entwicklung nahe verwandte Pflanzen vertreten.
Ja selbst Pflanzen, die ganz und gar verschiedenen Familien ange-
hören, nehmen wenigstens in ihrer äußeren Erscheinungsweise ähn-
liche Gestalten an. So entsprechen den Cacteen der neuen Welt die
blattlosen fleischigen Wolfsmilcharten des heißen Africas.

Wenn wir auch ahnen, daß eine größere Mannigfaltigkeit der
Vegetationsbedingungen der Grund ist, weshalb die Mannigfaltigkeit
der Vegetation, die Zahl der Pflanzenarten von den Polen nach dem
Aequator hin stetig zunimmt und eben deshalb die Zahl der gesellig
wachsenden Pflanzen, der Arten, welche in zahllosen Exemplaren
große Strecken überziehen, in eben demselben Maaße abnimmt, so
sind wir doch weit davon entfernt uns darüber wissenschaftlich Rechen-

norddeutſchen Küſte, in Braſilien und Oſtindien. Doch wozu die Bei-
ſpiele häufen, da dieſe ſchon hinreichen zu zeigen, daß die Anſicht
einige Stütze in der Beobachtung findet, welche annimmt, daß
jede Pflanze auch da auf der Erde ſich finden müſſe, wo die uns be-
kannten Bedingungen ihrer Vegetation vorhanden ſind. Aber eben
deshalb habe ich jene drei Scenen gleich an den Eingang meiner
Mittheilungen geſtellt, um von vornherein darauf aufmerkſam zu
machen, daß gerade die eben erwähnten Fälle, die uns auf den erſten
Anblick eine natürliche und nothwendige Folge der Pflanzenorgani-
ſation zu ſeyn ſcheinen, geradezu nur als ſeltene Ausnahmen vorkom-
men. — Schon das kleine Gänſeblümchen zeigt einen gewiſſen Eigen-
ſinn. Es fehlt in ganz Nordamerica und was wir auf unſern Wieſen
als unbedeutendes Unkraut zertreten, wird dort mit der zärtlichſten
Sorgfalt in den botaniſchen Gärten erzogen. Gehen wir die Vege-
tation verſchiedener Länder durch, ſo ſehen wir, daß die für unſere
jetzigen Kenntniſſe gleich erſcheinenden Bedingungen zwar ähnliche
aber keineswegs gleiche Pflanzenformen hervorrufen. Den Pflanzen
einer beſtimmten nördlichen Breite entſprechen auf der analogen Höhe
der ſüdlicher gelegenen Alpen andere Arten deſſelben Geſchlech-
tes, oder andere Geſchlechter derſelben Pflanzenfamilie, oder die
Pflanzen Americas werden auf gleicher Breite in der alten Welt durch
andere aber in ihrer Entwicklung nahe verwandte Pflanzen vertreten.
Ja ſelbſt Pflanzen, die ganz und gar verſchiedenen Familien ange-
hören, nehmen wenigſtens in ihrer äußeren Erſcheinungsweiſe ähn-
liche Geſtalten an. So entſprechen den Cacteen der neuen Welt die
blattloſen fleiſchigen Wolfsmilcharten des heißen Africas.

Wenn wir auch ahnen, daß eine größere Mannigfaltigkeit der
Vegetationsbedingungen der Grund iſt, weshalb die Mannigfaltigkeit
der Vegetation, die Zahl der Pflanzenarten von den Polen nach dem
Aequator hin ſtetig zunimmt und eben deshalb die Zahl der geſellig
wachſenden Pflanzen, der Arten, welche in zahlloſen Exemplaren
große Strecken überziehen, in eben demſelben Maaße abnimmt, ſo
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[238/0254] norddeutſchen Küſte, in Braſilien und Oſtindien. Doch wozu die Bei- ſpiele häufen, da dieſe ſchon hinreichen zu zeigen, daß die Anſicht einige Stütze in der Beobachtung findet, welche annimmt, daß jede Pflanze auch da auf der Erde ſich finden müſſe, wo die uns be- kannten Bedingungen ihrer Vegetation vorhanden ſind. Aber eben deshalb habe ich jene drei Scenen gleich an den Eingang meiner Mittheilungen geſtellt, um von vornherein darauf aufmerkſam zu machen, daß gerade die eben erwähnten Fälle, die uns auf den erſten Anblick eine natürliche und nothwendige Folge der Pflanzenorgani- ſation zu ſeyn ſcheinen, geradezu nur als ſeltene Ausnahmen vorkom- men. — Schon das kleine Gänſeblümchen zeigt einen gewiſſen Eigen- ſinn. Es fehlt in ganz Nordamerica und was wir auf unſern Wieſen als unbedeutendes Unkraut zertreten, wird dort mit der zärtlichſten Sorgfalt in den botaniſchen Gärten erzogen. Gehen wir die Vege- tation verſchiedener Länder durch, ſo ſehen wir, daß die für unſere jetzigen Kenntniſſe gleich erſcheinenden Bedingungen zwar ähnliche aber keineswegs gleiche Pflanzenformen hervorrufen. Den Pflanzen einer beſtimmten nördlichen Breite entſprechen auf der analogen Höhe der ſüdlicher gelegenen Alpen andere Arten deſſelben Geſchlech- tes, oder andere Geſchlechter derſelben Pflanzenfamilie, oder die Pflanzen Americas werden auf gleicher Breite in der alten Welt durch andere aber in ihrer Entwicklung nahe verwandte Pflanzen vertreten. Ja ſelbſt Pflanzen, die ganz und gar verſchiedenen Familien ange- hören, nehmen wenigſtens in ihrer äußeren Erſcheinungsweiſe ähn- liche Geſtalten an. So entſprechen den Cacteen der neuen Welt die blattloſen fleiſchigen Wolfsmilcharten des heißen Africas. Wenn wir auch ahnen, daß eine größere Mannigfaltigkeit der Vegetationsbedingungen der Grund iſt, weshalb die Mannigfaltigkeit der Vegetation, die Zahl der Pflanzenarten von den Polen nach dem Aequator hin ſtetig zunimmt und eben deshalb die Zahl der geſellig wachſenden Pflanzen, der Arten, welche in zahlloſen Exemplaren große Strecken überziehen, in eben demſelben Maaße abnimmt, ſo ſind wir doch weit davon entfernt uns darüber wiſſenſchaftlich Rechen-

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/254>, abgerufen am 28.03.2024.