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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Erster Theil.
Die grammatische Auslegung.

1. Erster Kanon: Alles was noch einer näheren
Bestimmung bedarf in einer gegebenen Rede, darf nur aus
dem dem Verfasser und seinem ursprünglichen Publikum ge-
meinsamen Sprachgebiet bestimmt werden.

1. Alles bedarf näherer Bestimmung und erhält sie erst im
Zusammenhange. Jeder Theil der Rede, materieller sowol als
formeller, ist an sich unbestimmt. Bei einem jeden Worte iso-
lirt denken wir uns nur einen gewissen Cyclus von Gebrauchs-
weisen. Eben so bei jeder Sprachform.

2. Einige nennen das was man sich bei dem Worte an
und für sich denkt die Bedeutung, das aber was man sich
dabei denkt in einem gegebenen Zusammenhang den Sinn.
Andere sagen, ein Wort hat nur eine Bedeutung keinen Sinn,
ein Saz an und für sich hat einen Sinn aber noch keinen
Verstand, sondern den hat nur eine völlig geschlossene Rede.
Nun könnte man freilich sagen auch diese würde noch vollstän-
diger verstanden im Zusammenhange mit ihrer angehörigen
Welt; allein das geht aus dem Gebiete der Interpretation her-
aus. -- Die leztere Terminologie ist insofern freilich vorzuziehen
als ein Saz eine untheilbare Einheit ist und als solche ist auch
der Sinn eine Einheit, das Wechselbestimmtsein von Subject
und Prädicat durch einander. Aber recht sprachgemäß ist auch

Erſter Theil.
Die grammatiſche Auslegung.

1. Erſter Kanon: Alles was noch einer naͤheren
Beſtimmung bedarf in einer gegebenen Rede, darf nur aus
dem dem Verfaſſer und ſeinem urſpruͤnglichen Publikum ge-
meinſamen Sprachgebiet beſtimmt werden.

1. Alles bedarf naͤherer Beſtimmung und erhaͤlt ſie erſt im
Zuſammenhange. Jeder Theil der Rede, materieller ſowol als
formeller, iſt an ſich unbeſtimmt. Bei einem jeden Worte iſo-
lirt denken wir uns nur einen gewiſſen Cyclus von Gebrauchs-
weiſen. Eben ſo bei jeder Sprachform.

2. Einige nennen das was man ſich bei dem Worte an
und fuͤr ſich denkt die Bedeutung, das aber was man ſich
dabei denkt in einem gegebenen Zuſammenhang den Sinn.
Andere ſagen, ein Wort hat nur eine Bedeutung keinen Sinn,
ein Saz an und fuͤr ſich hat einen Sinn aber noch keinen
Verſtand, ſondern den hat nur eine voͤllig geſchloſſene Rede.
Nun koͤnnte man freilich ſagen auch dieſe wuͤrde noch vollſtaͤn-
diger verſtanden im Zuſammenhange mit ihrer angehoͤrigen
Welt; allein das geht aus dem Gebiete der Interpretation her-
aus. — Die leztere Terminologie iſt inſofern freilich vorzuziehen
als ein Saz eine untheilbare Einheit iſt und als ſolche iſt auch
der Sinn eine Einheit, das Wechſelbeſtimmtſein von Subject
und Praͤdicat durch einander. Aber recht ſprachgemaͤß iſt auch

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[[41]/0065] Erſter Theil. Die grammatiſche Auslegung. 1. Erſter Kanon: Alles was noch einer naͤheren Beſtimmung bedarf in einer gegebenen Rede, darf nur aus dem dem Verfaſſer und ſeinem urſpruͤnglichen Publikum ge- meinſamen Sprachgebiet beſtimmt werden. 1. Alles bedarf naͤherer Beſtimmung und erhaͤlt ſie erſt im Zuſammenhange. Jeder Theil der Rede, materieller ſowol als formeller, iſt an ſich unbeſtimmt. Bei einem jeden Worte iſo- lirt denken wir uns nur einen gewiſſen Cyclus von Gebrauchs- weiſen. Eben ſo bei jeder Sprachform. 2. Einige nennen das was man ſich bei dem Worte an und fuͤr ſich denkt die Bedeutung, das aber was man ſich dabei denkt in einem gegebenen Zuſammenhang den Sinn. Andere ſagen, ein Wort hat nur eine Bedeutung keinen Sinn, ein Saz an und fuͤr ſich hat einen Sinn aber noch keinen Verſtand, ſondern den hat nur eine voͤllig geſchloſſene Rede. Nun koͤnnte man freilich ſagen auch dieſe wuͤrde noch vollſtaͤn- diger verſtanden im Zuſammenhange mit ihrer angehoͤrigen Welt; allein das geht aus dem Gebiete der Interpretation her- aus. — Die leztere Terminologie iſt inſofern freilich vorzuziehen als ein Saz eine untheilbare Einheit iſt und als ſolche iſt auch der Sinn eine Einheit, das Wechſelbeſtimmtſein von Subject und Praͤdicat durch einander. Aber recht ſprachgemaͤß iſt auch

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. [41]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/65>, abgerufen am 29.03.2024.