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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Reform desselben. Deutsche Vierteljahrsschr. 1849, 1. Heft. --
Bruno Hildebrand, Die National-
ökonomie der Gegenwart und der Zukunft. 1848. --
Knies, Die politische Ökonomie vom Stand-
punkt der geschichtl. Methode. 1853, 2. Aufl. 1883. --
Bruno Hildebrand, Die gegenwärtige
Aufgabe der Wissenschaft der Nationalökonomie. J. f. N. 1. F. 1, 1862. --
W. J. Ashley,
On the study of economic history. Harvard quarterly Journ. of Econ. vol. VII, 1893. --

Simmel, Die Probleme der Geschichtsphilosophie, J. f. G.V. 1892.
Cohn, Die heutige Nationalökonomie in England und Frankreich. J. f. G.V. 1889. --

Charles Gide, The economic schools and the teaching of political economy in France. Pol.
Sc. Quart. V,
4. 1890. --
Ders., Quatre ecoles d'economie sociale. 1890. -- Ders., Die
neuere volkswirtschaftliche Litteratur Frankreichs. J. f. G.V. 1895. --
St. Marc, Etude sur
l'enseignement de l'economie politique dans les universites d'Allemagne et d'Autriche.
1892.

47. Die älteren Anfänge einer empirischen Wissenschaft und die
Reaktion gegen die Naturlehre der Volkswirtschaft
. Wir haben im
letzten Abschnitte erörtert, welche Forderungen die Methode strenger Wissenschaft heute
an die Volkswirtschaftslehre stellt; wir haben nun noch kurz zu erzählen, inwieweit die
Litteratur dem genügte, wie aus der Kritik der älteren Systeme heraus und mit der
fortschreitenden Einzelerkenntnis immer mehr eine eigentliche Wissenschaft der National-
ökonomie entstand. Wir werden dabei nicht das aufgeblähte Selbstlob eines Engländers
wiederholen, unsere Wissenschaft sei eine der jüngsten und doch eine der vollendetsten
unter ihren Schwestern. Wir werden zugeben, daß wir auch heute noch recht vieles nicht
wissen, und daß jedes abgeschlossene System mit Wahrscheinlichkeiten und Hypothesen
operiert. Aber andererseits sind wir allerdings in die Epoche methodisch gelehrter
Forschung eingetreten, und das hat seine Früchte getragen. Wir glauben nicht mehr,
daß jeder Dilettant und jeder Journalist ebenso gut volkswirtschaftliche Abhandlungen
schreiben könne, wie der Sachkenner und der geschulte Gelehrte. Wir haben uns seit
einigen Menschenaltern dem großen Ziele, einen steigenden Bestand von Wahrheiten zu
besitzen, die alle anerkennen müssen, erheblich genähert.

Allerdings in erster Linie in den Gebieten unseres Wissens, wobei es sich um
Beobachtung, Beschreibung, Feststellung einfacherer Zusammenhänge handelt. Und die
Anfänge hiefür liegen weit zurück. Schon die Merkantilisten und Kameralisten haben
eine emsige Thätigkeit in der Sammlung der Thatsachen entwickelt. Gute Schilderungen,
wie die Sir William Temples von Holland, Pettys von Irland, Bechers von Deutsch-
land entstanden schon im 17. Jahrhundert. In großen Sammelwerken faßte man dann
im 18. Jahrhundert die Kenntnisse zusammen; es sei nur an De la Marres Traite
de la police
(4 Fol.-Bde., 1729), an Savarys Dictionnaire universel de commerce (5 Fol.-
Bde., 1759, 2. Aufl.), an die französischen Encyklopädisten oder an J. G. Krünitz,
Ökonomische Encyklopädie, erinnert, welche es von 1773--1828 auf 149 Bände kamera-
listischer Vielwisserei brachte. Den beschreibenden Sammlungen von Staatsmerkwürdig-
keiten gab Achenwall (1719--72) den Namen Statistik. In periodisch erscheinenden
Sammelwerken faßten Büsching, Schlözer, Arthur Young derartiges Material zusammen.
Letzterer ließ ausgezeichnete wirtschaftliche Reisebriefe über England, Frankreich, Spanien
und Italien (1768--95) erscheinen. Ein wahrer Heißhunger nach Thatsachen und
Zahlen herrschte damals; freilich war man noch nicht kritisch genug, und von der um-
fangreichen damaligen Verwaltungsstatistik drang wenig in die Öffentlichkeit. Höchst
bedeutungsvoll aber war es, daß man mit den Resultaten der kirchlichen Buchung der
Geburten, Todesfälle und Ehen sich zu beschäftigen begann. John Graunt verwertete
sie zuerst in seinen Observations (1661), Sir William Pettys Buch über die Totenlisten
der Stadt London (1702 deutsch, und Several essays on political arithmetic) setzte diese
Untersuchung fort, ebenso wie dann Halley (An estimate of the degrees of mortality of
mankind, drawn from curious tables of the birthes and funerals at the city of Breslau),

Kaspar Neumann, dem Halley sein Breslauer Material lieferte, und Leibniz, während
der von diesen Vorgängen angeregte preußische Feldprediger Johann Peter Süßmilch
(Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, 1741--42,
1761, 1775) dann das ihm erreichbare Material über die Bevölkerungserscheinungen
übersichtlich zusammenstellte und in einer Form bearbeitete, welche die Resultate der

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Reform desſelben. Deutſche Vierteljahrsſchr. 1849, 1. Heft. —
Bruno Hildebrand, Die National-
ökonomie der Gegenwart und der Zukunft. 1848. —
Knies, Die politiſche Ökonomie vom Stand-
punkt der geſchichtl. Methode. 1853, 2. Aufl. 1883. —
Bruno Hildebrand, Die gegenwärtige
Aufgabe der Wiſſenſchaft der Nationalökonomie. J. f. N. 1. F. 1, 1862. —
W. J. Aſhley,
On the study of economic history. Harvard quarterly Journ. of Econ. vol. VII, 1893. —

Simmel, Die Probleme der Geſchichtsphiloſophie, J. f. G.V. 1892.
Cohn, Die heutige Nationalökonomie in England und Frankreich. J. f. G.V. 1889. —

Charles Gide, The economic schools and the teaching of political economy in France. Pol.
Sc. Quart. V,
4. 1890. —
Derſ., Quatre écoles d’économie sociale. 1890. — Derſ., Die
neuere volkswirtſchaftliche Litteratur Frankreichs. J. f. G.V. 1895. —
St. Marc, Étude sur
l’enseignement de l’économie politique dans les universités d’Allemagne et d’Autriche.
1892.

47. Die älteren Anfänge einer empiriſchen Wiſſenſchaft und die
Reaktion gegen die Naturlehre der Volkswirtſchaft
. Wir haben im
letzten Abſchnitte erörtert, welche Forderungen die Methode ſtrenger Wiſſenſchaft heute
an die Volkswirtſchaftslehre ſtellt; wir haben nun noch kurz zu erzählen, inwieweit die
Litteratur dem genügte, wie aus der Kritik der älteren Syſteme heraus und mit der
fortſchreitenden Einzelerkenntnis immer mehr eine eigentliche Wiſſenſchaft der National-
ökonomie entſtand. Wir werden dabei nicht das aufgeblähte Selbſtlob eines Engländers
wiederholen, unſere Wiſſenſchaft ſei eine der jüngſten und doch eine der vollendetſten
unter ihren Schweſtern. Wir werden zugeben, daß wir auch heute noch recht vieles nicht
wiſſen, und daß jedes abgeſchloſſene Syſtem mit Wahrſcheinlichkeiten und Hypotheſen
operiert. Aber andererſeits ſind wir allerdings in die Epoche methodiſch gelehrter
Forſchung eingetreten, und das hat ſeine Früchte getragen. Wir glauben nicht mehr,
daß jeder Dilettant und jeder Journaliſt ebenſo gut volkswirtſchaftliche Abhandlungen
ſchreiben könne, wie der Sachkenner und der geſchulte Gelehrte. Wir haben uns ſeit
einigen Menſchenaltern dem großen Ziele, einen ſteigenden Beſtand von Wahrheiten zu
beſitzen, die alle anerkennen müſſen, erheblich genähert.

Allerdings in erſter Linie in den Gebieten unſeres Wiſſens, wobei es ſich um
Beobachtung, Beſchreibung, Feſtſtellung einfacherer Zuſammenhänge handelt. Und die
Anfänge hiefür liegen weit zurück. Schon die Merkantiliſten und Kameraliſten haben
eine emſige Thätigkeit in der Sammlung der Thatſachen entwickelt. Gute Schilderungen,
wie die Sir William Temples von Holland, Pettys von Irland, Bechers von Deutſch-
land entſtanden ſchon im 17. Jahrhundert. In großen Sammelwerken faßte man dann
im 18. Jahrhundert die Kenntniſſe zuſammen; es ſei nur an De la Marres Traité
de la police
(4 Fol.-Bde., 1729), an Savarys Dictionnaire universel de commerce (5 Fol.-
Bde., 1759, 2. Aufl.), an die franzöſiſchen Encyklopädiſten oder an J. G. Krünitz,
Ökonomiſche Encyklopädie, erinnert, welche es von 1773—1828 auf 149 Bände kamera-
liſtiſcher Vielwiſſerei brachte. Den beſchreibenden Sammlungen von Staatsmerkwürdig-
keiten gab Achenwall (1719—72) den Namen Statiſtik. In periodiſch erſcheinenden
Sammelwerken faßten Büſching, Schlözer, Arthur Young derartiges Material zuſammen.
Letzterer ließ ausgezeichnete wirtſchaftliche Reiſebriefe über England, Frankreich, Spanien
und Italien (1768—95) erſcheinen. Ein wahrer Heißhunger nach Thatſachen und
Zahlen herrſchte damals; freilich war man noch nicht kritiſch genug, und von der um-
fangreichen damaligen Verwaltungsſtatiſtik drang wenig in die Öffentlichkeit. Höchſt
bedeutungsvoll aber war es, daß man mit den Reſultaten der kirchlichen Buchung der
Geburten, Todesfälle und Ehen ſich zu beſchäftigen begann. John Graunt verwertete
ſie zuerſt in ſeinen Observations (1661), Sir William Pettys Buch über die Totenliſten
der Stadt London (1702 deutſch, und Several essays on political arithmetic) ſetzte dieſe
Unterſuchung fort, ebenſo wie dann Halley (An estimate of the degrees of mortality of
mankind, drawn from curious tables of the birthes and funerals at the city of Breslau),

Kaspar Neumann, dem Halley ſein Breslauer Material lieferte, und Leibniz, während
der von dieſen Vorgängen angeregte preußiſche Feldprediger Johann Peter Süßmilch
(Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menſchlichen Geſchlechts, 1741—42,
1761, 1775) dann das ihm erreichbare Material über die Bevölkerungserſcheinungen
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[112/0128] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. Reform desſelben. Deutſche Vierteljahrsſchr. 1849, 1. Heft. — Bruno Hildebrand, Die National- ökonomie der Gegenwart und der Zukunft. 1848. — Knies, Die politiſche Ökonomie vom Stand- punkt der geſchichtl. Methode. 1853, 2. Aufl. 1883. — Bruno Hildebrand, Die gegenwärtige Aufgabe der Wiſſenſchaft der Nationalökonomie. J. f. N. 1. F. 1, 1862. — W. J. Aſhley, On the study of economic history. Harvard quarterly Journ. of Econ. vol. VII, 1893. — Simmel, Die Probleme der Geſchichtsphiloſophie, J. f. G.V. 1892. Cohn, Die heutige Nationalökonomie in England und Frankreich. J. f. G.V. 1889. — Charles Gide, The economic schools and the teaching of political economy in France. Pol. Sc. Quart. V, 4. 1890. — Derſ., Quatre écoles d’économie sociale. 1890. — Derſ., Die neuere volkswirtſchaftliche Litteratur Frankreichs. J. f. G.V. 1895. — St. Marc, Étude sur l’enseignement de l’économie politique dans les universités d’Allemagne et d’Autriche. 1892. 47. Die älteren Anfänge einer empiriſchen Wiſſenſchaft und die Reaktion gegen die Naturlehre der Volkswirtſchaft. Wir haben im letzten Abſchnitte erörtert, welche Forderungen die Methode ſtrenger Wiſſenſchaft heute an die Volkswirtſchaftslehre ſtellt; wir haben nun noch kurz zu erzählen, inwieweit die Litteratur dem genügte, wie aus der Kritik der älteren Syſteme heraus und mit der fortſchreitenden Einzelerkenntnis immer mehr eine eigentliche Wiſſenſchaft der National- ökonomie entſtand. Wir werden dabei nicht das aufgeblähte Selbſtlob eines Engländers wiederholen, unſere Wiſſenſchaft ſei eine der jüngſten und doch eine der vollendetſten unter ihren Schweſtern. Wir werden zugeben, daß wir auch heute noch recht vieles nicht wiſſen, und daß jedes abgeſchloſſene Syſtem mit Wahrſcheinlichkeiten und Hypotheſen operiert. Aber andererſeits ſind wir allerdings in die Epoche methodiſch gelehrter Forſchung eingetreten, und das hat ſeine Früchte getragen. Wir glauben nicht mehr, daß jeder Dilettant und jeder Journaliſt ebenſo gut volkswirtſchaftliche Abhandlungen ſchreiben könne, wie der Sachkenner und der geſchulte Gelehrte. Wir haben uns ſeit einigen Menſchenaltern dem großen Ziele, einen ſteigenden Beſtand von Wahrheiten zu beſitzen, die alle anerkennen müſſen, erheblich genähert. Allerdings in erſter Linie in den Gebieten unſeres Wiſſens, wobei es ſich um Beobachtung, Beſchreibung, Feſtſtellung einfacherer Zuſammenhänge handelt. Und die Anfänge hiefür liegen weit zurück. Schon die Merkantiliſten und Kameraliſten haben eine emſige Thätigkeit in der Sammlung der Thatſachen entwickelt. Gute Schilderungen, wie die Sir William Temples von Holland, Pettys von Irland, Bechers von Deutſch- land entſtanden ſchon im 17. Jahrhundert. In großen Sammelwerken faßte man dann im 18. Jahrhundert die Kenntniſſe zuſammen; es ſei nur an De la Marres Traité de la police (4 Fol.-Bde., 1729), an Savarys Dictionnaire universel de commerce (5 Fol.- Bde., 1759, 2. Aufl.), an die franzöſiſchen Encyklopädiſten oder an J. G. Krünitz, Ökonomiſche Encyklopädie, erinnert, welche es von 1773—1828 auf 149 Bände kamera- liſtiſcher Vielwiſſerei brachte. Den beſchreibenden Sammlungen von Staatsmerkwürdig- keiten gab Achenwall (1719—72) den Namen Statiſtik. In periodiſch erſcheinenden Sammelwerken faßten Büſching, Schlözer, Arthur Young derartiges Material zuſammen. Letzterer ließ ausgezeichnete wirtſchaftliche Reiſebriefe über England, Frankreich, Spanien und Italien (1768—95) erſcheinen. Ein wahrer Heißhunger nach Thatſachen und Zahlen herrſchte damals; freilich war man noch nicht kritiſch genug, und von der um- fangreichen damaligen Verwaltungsſtatiſtik drang wenig in die Öffentlichkeit. Höchſt bedeutungsvoll aber war es, daß man mit den Reſultaten der kirchlichen Buchung der Geburten, Todesfälle und Ehen ſich zu beſchäftigen begann. John Graunt verwertete ſie zuerſt in ſeinen Observations (1661), Sir William Pettys Buch über die Totenliſten der Stadt London (1702 deutſch, und Several essays on political arithmetic) ſetzte dieſe Unterſuchung fort, ebenſo wie dann Halley (An estimate of the degrees of mortality of mankind, drawn from curious tables of the birthes and funerals at the city of Breslau), Kaspar Neumann, dem Halley ſein Breslauer Material lieferte, und Leibniz, während der von dieſen Vorgängen angeregte preußiſche Feldprediger Johann Peter Süßmilch (Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menſchlichen Geſchlechts, 1741—42, 1761, 1775) dann das ihm erreichbare Material über die Bevölkerungserſcheinungen überſichtlich zuſammenſtellte und in einer Form bearbeitete, welche die Reſultate der

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/128>, abgerufen am 24.04.2024.