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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die neuere deutsche realistische Forschung.
so wäre er der Überwinder der Smithschen Schule geworden. Aber obwohl er mehr ein großer
geistvoller Agitator blieb, bildet sein Auftreten doch einen Wendepunkt für unsere Wissen-
schaft. Indem er an die Stelle der Wert- und Quantitätstheorien A. Smiths eine Theorie
der produktiven Kräfte, d. h. der individuellen und gesellschaftlichen Persönlichkeiten setzte,
beseitigte er die materialistische Vorstellung eines mechanischen Naturverlaufes der Wirt-
schaftsprozesse; indem er für Schutzzölle wie für ein nationales Eisenbahn- und Kanalsystem
kämpfte, führte er überhaupt zum richtigen Verständnis der socialen und politischen Organi-
sationen zurück, auf denen das wirtschaftliche Leben ruht; indem er den historischen Ent-
wickelungsgang der Volkswirtschaft der Kulturvölker wohl einseitig und umrißartig, aber
doch im ganzen richtig zeichnete, begrub er die schiefen Vorstellungen von natürlichen,
überall durchzuführenden Wirtschaftseinrichtungen und Idealen. Zu gleicher Zeit schuf
A. v. Thünen das Vorbild für streng wissenschaftliche Specialuntersuchungen aus der Gegen-
wart. Er verstand es (Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und National-
ökonomie, 1826--63), die Frage der Abhängigkeit des landwirtschaftlichen Betriebes vom
Markt und den Transportkosten erschöpfend in der Wirklichkeit zu beobachten und zu
beschreiben, das Wesentliche dieses Verhältnisses glücklich herauszugreifen, von Neben-
umständen zu sondern und unter dem gedachten Bild eines einheitlichen, isolierten Staates
mit einem städtischen Centralmarkt vorzuführen und zu durchdenken. Er hat so einen
Kausalzusammenhang, auf den ihn die Beobachtung führte, erst isoliert, für sich unter-
sucht und dann wieder mit den realen Zuständen verglichen. Die Anwendung solch'
schematischer, isolierter Betrachtung ist eines der wichtigsten Hülfsmittel wissenschaftlichen
Fortschrittes, wenn der dasselbe anwendende Forscher die Hauptpunkte richtig von den
Nebenpunkten zu trennen vermag.

Und während dann der ausgezeichnete Agrarpolitiker G. Hanssen (Aufhebung der
Leibeigenschaft in Schleswig und Holstein, 1861; Agrarhistorische Abhandlungen, 2 Bde.,
1880 gesammelt, seit 1832 erschienen) auf Grund rechts- und wirtschaftsgeschichtlicher, wie
modernster Reisestudien die Fragen der historischen Entwickelung der landwirtschaftlichen
Betriebssysteme und der Agrarverfassung überhaupt meisterhaft anschaulich erörterte und
in A. Meitzen (Urkunden schlesischer Dörfer, 1863; Boden und landw. Verhältnisse des
preußischen Staates, 4 Bde., 1868; Siedelung und Agrarwesen der Deutschen, Skandinavier,
Kelten etc., 4 Bde., 1895) wie in A. v. Miaskowski (Verfassung der Land-, Alpen- und
Forstwirtschaft der deutschen Schweiz, 1878; Erbrecht und Grundeigentumsverteilung im
Deutschen Reiche, 2 Bde., 1884), in Conrad, Knapp und anderen würdige Nachfolger der
wissenschaftlichen Agrarforschung erhielt, hatten unterdessen Roscher, Hildebrand und
Knies versucht, ganz principiell der deutschen Nationalökonomie den Stempel der histo-
rischen Methode aufzudrücken.

Geistreich und viel beweglich hat Bruno Hildebrand (Die Nationalökonomie der
Gegenwart und der Zukunft, 1848; Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, seit
1863 ff.) die historische Entwickelung der Volkswirtschaft unter die Kategorien der Natural-,
Geld- und Kreditwirtschaft gestellt und durch seine litterargeschichtlichen und historischen
Specialarbeiten außerordentlich anregend gewirkt. Karl Knies (Die politische Ökonomie
vom Standpunkte der geschichtlichen Methode, 1853 u. 83) hat in ausgezeichneter Weise
die propädeutischen Fragen der geschichtlichen Methode behandelt, ist dann aber selbst mehr
zu dogmatischen und theoretischen Arbeiten übergegangen (Geld und Kredit, 2 Bde.,
1873--79), welche scharfsinnig und fast juristisch gehalten die betreffenden Fragen durch
begriffliche Untersuchung wie durch breite Sachkenntnis gefördert haben. Wilhelm
Roscher aber überragt beide an Einfluß, an litterarischer und akademischer Wirksamkeit,
wie er ja auch durch seinen Grundriß zu Vorlesungen über die Staatswirtschaft nach
geschichtlicher Methode (1842) das erste eigentliche Programm der historischen Schule
aufstellte. Er hat dann in einem langen, segensreichen Gelehrtenleben die national-
ökonomische Litteraturgeschichte (Zur Geschichte der englischen Volkswirtschaftslehre im
16. und 17. Jahrhundert, 1854; Geschichte der Nationalökonomie in Deutschland, 1874)
angebaut, eine Reihe der wichtigsten Specialfragen wirtschaftsgeschichtlich untersucht
(Ideen zur Geschichte und Statistik der Feldsysteme im Archiv von Rau-Hanssen, 7 u. 8;

Die neuere deutſche realiſtiſche Forſchung.
ſo wäre er der Überwinder der Smithſchen Schule geworden. Aber obwohl er mehr ein großer
geiſtvoller Agitator blieb, bildet ſein Auftreten doch einen Wendepunkt für unſere Wiſſen-
ſchaft. Indem er an die Stelle der Wert- und Quantitätstheorien A. Smiths eine Theorie
der produktiven Kräfte, d. h. der individuellen und geſellſchaftlichen Perſönlichkeiten ſetzte,
beſeitigte er die materialiſtiſche Vorſtellung eines mechaniſchen Naturverlaufes der Wirt-
ſchaftsprozeſſe; indem er für Schutzzölle wie für ein nationales Eiſenbahn- und Kanalſyſtem
kämpfte, führte er überhaupt zum richtigen Verſtändnis der ſocialen und politiſchen Organi-
ſationen zurück, auf denen das wirtſchaftliche Leben ruht; indem er den hiſtoriſchen Ent-
wickelungsgang der Volkswirtſchaft der Kulturvölker wohl einſeitig und umrißartig, aber
doch im ganzen richtig zeichnete, begrub er die ſchiefen Vorſtellungen von natürlichen,
überall durchzuführenden Wirtſchaftseinrichtungen und Idealen. Zu gleicher Zeit ſchuf
A. v. Thünen das Vorbild für ſtreng wiſſenſchaftliche Specialunterſuchungen aus der Gegen-
wart. Er verſtand es (Der iſolierte Staat in Beziehung auf Landwirtſchaft und National-
ökonomie, 1826—63), die Frage der Abhängigkeit des landwirtſchaftlichen Betriebes vom
Markt und den Transportkoſten erſchöpfend in der Wirklichkeit zu beobachten und zu
beſchreiben, das Weſentliche dieſes Verhältniſſes glücklich herauszugreifen, von Neben-
umſtänden zu ſondern und unter dem gedachten Bild eines einheitlichen, iſolierten Staates
mit einem ſtädtiſchen Centralmarkt vorzuführen und zu durchdenken. Er hat ſo einen
Kauſalzuſammenhang, auf den ihn die Beobachtung führte, erſt iſoliert, für ſich unter-
ſucht und dann wieder mit den realen Zuſtänden verglichen. Die Anwendung ſolch’
ſchematiſcher, iſolierter Betrachtung iſt eines der wichtigſten Hülfsmittel wiſſenſchaftlichen
Fortſchrittes, wenn der dasſelbe anwendende Forſcher die Hauptpunkte richtig von den
Nebenpunkten zu trennen vermag.

Und während dann der ausgezeichnete Agrarpolitiker G. Hanſſen (Aufhebung der
Leibeigenſchaft in Schleswig und Holſtein, 1861; Agrarhiſtoriſche Abhandlungen, 2 Bde.,
1880 geſammelt, ſeit 1832 erſchienen) auf Grund rechts- und wirtſchaftsgeſchichtlicher, wie
modernſter Reiſeſtudien die Fragen der hiſtoriſchen Entwickelung der landwirtſchaftlichen
Betriebsſyſteme und der Agrarverfaſſung überhaupt meiſterhaft anſchaulich erörterte und
in A. Meitzen (Urkunden ſchleſiſcher Dörfer, 1863; Boden und landw. Verhältniſſe des
preußiſchen Staates, 4 Bde., 1868; Siedelung und Agrarweſen der Deutſchen, Skandinavier,
Kelten ꝛc., 4 Bde., 1895) wie in A. v. Miaskowski (Verfaſſung der Land-, Alpen- und
Forſtwirtſchaft der deutſchen Schweiz, 1878; Erbrecht und Grundeigentumsverteilung im
Deutſchen Reiche, 2 Bde., 1884), in Conrad, Knapp und anderen würdige Nachfolger der
wiſſenſchaftlichen Agrarforſchung erhielt, hatten unterdeſſen Roſcher, Hildebrand und
Knies verſucht, ganz principiell der deutſchen Nationalökonomie den Stempel der hiſto-
riſchen Methode aufzudrücken.

Geiſtreich und viel beweglich hat Bruno Hildebrand (Die Nationalökonomie der
Gegenwart und der Zukunft, 1848; Jahrbücher für Nationalökonomie und Statiſtik, ſeit
1863 ff.) die hiſtoriſche Entwickelung der Volkswirtſchaft unter die Kategorien der Natural-,
Geld- und Kreditwirtſchaft geſtellt und durch ſeine litterargeſchichtlichen und hiſtoriſchen
Specialarbeiten außerordentlich anregend gewirkt. Karl Knies (Die politiſche Ökonomie
vom Standpunkte der geſchichtlichen Methode, 1853 u. 83) hat in ausgezeichneter Weiſe
die propädeutiſchen Fragen der geſchichtlichen Methode behandelt, iſt dann aber ſelbſt mehr
zu dogmatiſchen und theoretiſchen Arbeiten übergegangen (Geld und Kredit, 2 Bde.,
1873—79), welche ſcharfſinnig und faſt juriſtiſch gehalten die betreffenden Fragen durch
begriffliche Unterſuchung wie durch breite Sachkenntnis gefördert haben. Wilhelm
Roſcher aber überragt beide an Einfluß, an litterariſcher und akademiſcher Wirkſamkeit,
wie er ja auch durch ſeinen Grundriß zu Vorleſungen über die Staatswirtſchaft nach
geſchichtlicher Methode (1842) das erſte eigentliche Programm der hiſtoriſchen Schule
aufſtellte. Er hat dann in einem langen, ſegensreichen Gelehrtenleben die national-
ökonomiſche Litteraturgeſchichte (Zur Geſchichte der engliſchen Volkswirtſchaftslehre im
16. und 17. Jahrhundert, 1854; Geſchichte der Nationalökonomie in Deutſchland, 1874)
angebaut, eine Reihe der wichtigſten Specialfragen wirtſchaftsgeſchichtlich unterſucht
(Ideen zur Geſchichte und Statiſtik der Feldſyſteme im Archiv von Rau-Hanſſen, 7 u. 8;

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[117/0133] Die neuere deutſche realiſtiſche Forſchung. ſo wäre er der Überwinder der Smithſchen Schule geworden. Aber obwohl er mehr ein großer geiſtvoller Agitator blieb, bildet ſein Auftreten doch einen Wendepunkt für unſere Wiſſen- ſchaft. Indem er an die Stelle der Wert- und Quantitätstheorien A. Smiths eine Theorie der produktiven Kräfte, d. h. der individuellen und geſellſchaftlichen Perſönlichkeiten ſetzte, beſeitigte er die materialiſtiſche Vorſtellung eines mechaniſchen Naturverlaufes der Wirt- ſchaftsprozeſſe; indem er für Schutzzölle wie für ein nationales Eiſenbahn- und Kanalſyſtem kämpfte, führte er überhaupt zum richtigen Verſtändnis der ſocialen und politiſchen Organi- ſationen zurück, auf denen das wirtſchaftliche Leben ruht; indem er den hiſtoriſchen Ent- wickelungsgang der Volkswirtſchaft der Kulturvölker wohl einſeitig und umrißartig, aber doch im ganzen richtig zeichnete, begrub er die ſchiefen Vorſtellungen von natürlichen, überall durchzuführenden Wirtſchaftseinrichtungen und Idealen. Zu gleicher Zeit ſchuf A. v. Thünen das Vorbild für ſtreng wiſſenſchaftliche Specialunterſuchungen aus der Gegen- wart. Er verſtand es (Der iſolierte Staat in Beziehung auf Landwirtſchaft und National- ökonomie, 1826—63), die Frage der Abhängigkeit des landwirtſchaftlichen Betriebes vom Markt und den Transportkoſten erſchöpfend in der Wirklichkeit zu beobachten und zu beſchreiben, das Weſentliche dieſes Verhältniſſes glücklich herauszugreifen, von Neben- umſtänden zu ſondern und unter dem gedachten Bild eines einheitlichen, iſolierten Staates mit einem ſtädtiſchen Centralmarkt vorzuführen und zu durchdenken. Er hat ſo einen Kauſalzuſammenhang, auf den ihn die Beobachtung führte, erſt iſoliert, für ſich unter- ſucht und dann wieder mit den realen Zuſtänden verglichen. Die Anwendung ſolch’ ſchematiſcher, iſolierter Betrachtung iſt eines der wichtigſten Hülfsmittel wiſſenſchaftlichen Fortſchrittes, wenn der dasſelbe anwendende Forſcher die Hauptpunkte richtig von den Nebenpunkten zu trennen vermag. Und während dann der ausgezeichnete Agrarpolitiker G. Hanſſen (Aufhebung der Leibeigenſchaft in Schleswig und Holſtein, 1861; Agrarhiſtoriſche Abhandlungen, 2 Bde., 1880 geſammelt, ſeit 1832 erſchienen) auf Grund rechts- und wirtſchaftsgeſchichtlicher, wie modernſter Reiſeſtudien die Fragen der hiſtoriſchen Entwickelung der landwirtſchaftlichen Betriebsſyſteme und der Agrarverfaſſung überhaupt meiſterhaft anſchaulich erörterte und in A. Meitzen (Urkunden ſchleſiſcher Dörfer, 1863; Boden und landw. Verhältniſſe des preußiſchen Staates, 4 Bde., 1868; Siedelung und Agrarweſen der Deutſchen, Skandinavier, Kelten ꝛc., 4 Bde., 1895) wie in A. v. Miaskowski (Verfaſſung der Land-, Alpen- und Forſtwirtſchaft der deutſchen Schweiz, 1878; Erbrecht und Grundeigentumsverteilung im Deutſchen Reiche, 2 Bde., 1884), in Conrad, Knapp und anderen würdige Nachfolger der wiſſenſchaftlichen Agrarforſchung erhielt, hatten unterdeſſen Roſcher, Hildebrand und Knies verſucht, ganz principiell der deutſchen Nationalökonomie den Stempel der hiſto- riſchen Methode aufzudrücken. Geiſtreich und viel beweglich hat Bruno Hildebrand (Die Nationalökonomie der Gegenwart und der Zukunft, 1848; Jahrbücher für Nationalökonomie und Statiſtik, ſeit 1863 ff.) die hiſtoriſche Entwickelung der Volkswirtſchaft unter die Kategorien der Natural-, Geld- und Kreditwirtſchaft geſtellt und durch ſeine litterargeſchichtlichen und hiſtoriſchen Specialarbeiten außerordentlich anregend gewirkt. Karl Knies (Die politiſche Ökonomie vom Standpunkte der geſchichtlichen Methode, 1853 u. 83) hat in ausgezeichneter Weiſe die propädeutiſchen Fragen der geſchichtlichen Methode behandelt, iſt dann aber ſelbſt mehr zu dogmatiſchen und theoretiſchen Arbeiten übergegangen (Geld und Kredit, 2 Bde., 1873—79), welche ſcharfſinnig und faſt juriſtiſch gehalten die betreffenden Fragen durch begriffliche Unterſuchung wie durch breite Sachkenntnis gefördert haben. Wilhelm Roſcher aber überragt beide an Einfluß, an litterariſcher und akademiſcher Wirkſamkeit, wie er ja auch durch ſeinen Grundriß zu Vorleſungen über die Staatswirtſchaft nach geſchichtlicher Methode (1842) das erſte eigentliche Programm der hiſtoriſchen Schule aufſtellte. Er hat dann in einem langen, ſegensreichen Gelehrtenleben die national- ökonomiſche Litteraturgeſchichte (Zur Geſchichte der engliſchen Volkswirtſchaftslehre im 16. und 17. Jahrhundert, 1854; Geſchichte der Nationalökonomie in Deutſchland, 1874) angebaut, eine Reihe der wichtigſten Specialfragen wirtſchaftsgeſchichtlich unterſucht (Ideen zur Geſchichte und Statiſtik der Feldſyſteme im Archiv von Rau-Hanſſen, 7 u. 8;

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/133>, abgerufen am 23.04.2024.