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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Erstes Buch. Land, Leute und Technik.
Spanien nach Afrika übersetzten, umfaßten eine Reihe verbundener Völkerschaften, ähnlich
wie die anderen Völkerkonglomerate der großen Wanderzeit, und die überlieferten Nach-
richten über ihre Zahl dürften so ziemlich alle ums Doppelte bis Mehrfache übertrieben
sein. Noch bis ins 18. Jahrhundert zeigen sich alle kritisch zu prüfenden, runden über-
lieferten Volkszahlen als maßlos und ganz unzuverlässig.

Die seßhafte Bevölkerung der kleinen Staaten des Altertumes und des Mittel-
alters bewegte sich meist zwischen 50000 bis zu 1 Million Seelen. Attika hatte zur
Zeit der Perserkriege 150000, unter Perikles 250000, nach dem peloponnesischen Kriege
sank es auf 130000 Einwohner; Lakonien und Messenien zusammen nie über 50--100000;
Rom 340 v. Chr. vor dem Sabinerkrieg 0,5 Mill., 240 v. Chr. etwa 1 Mill.; das
Perserreich vor seiner Eroberung etwa 0,5 Mill. Sicilien hat wohl weder im Altertume,
noch unter den Sarazenen oder Friedrich II. 1 Mill. erreicht; Florenz (Stadt und
Gebiet) hatte im 16. Jahrhundert 0,5--0,6 Mill.; Venedig mit der terra ferma
1,3 Mill.; die größeren deutschen Territorialstaaten des 15.--18. Jahrhunderts höchstens
0,1--0,7 Mill. (z. B. Brandenburg 1617 0,3, 1774 0,6, Ostpreußen 1688 0,4, 1773
0,7 Mill.). England wird zu 1,2 Mill. um 1086, zu 2,5 im 14. und 16. Jahr-
hundert geschätzt, die vereinigten Niederlande zur Zeit ihrer Blüte zu 2,2 Millionen.

Als etwas größere Völker treten uns schon die Ägypter und Karthager entgegen:
Diodor behauptet, das erstere Land sei von seinem einstigen Volksreichtum von 7 Mill.
durch die Fremdherrschaft zur Zeit der Eroberung durch Alexander auf 3 Mill. reduziert
gewesen; durch die griechische und römische Verwaltung stieg die Zahl wieder auf 5,
Josephus behauptet auf 71/2 Mill. Das karthagische Afrika berechnet Beloch 200 v. Chr.
auf 3--4 Mill. Die asiatischen Eroberungsreiche Vorderasiens können als die ersten
vielleicht auf 10--20 Millionen gestiegen sein; für die Tiefebene am unteren Euphrat
und Tigris nimmt Beloch zu Ende der Perserherrschaft allein 6--8 Mill. an, für
Syrien auch mehrere Millionen. Für China berechnet Sacharoff in der Zeit von
2275 v. Chr. bis 600 n. Chr. Zahlen, die zwischen 59 und 79 Millionen unregelmäßig
hin und her schwanken.

Suchen wir neben den älteren Klein- und Mittelstaaten die durch einheitliche
Kultur, Völkerrecht und Bünde aller Art verknüpften Völkergemeinschaften in ihrer
Größe zu erfassen, so steht das antike Griechenland und Italien in erster Linie. Die
Griechen müssen vom 10. bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. außerordentlich zugenommen
haben, schon ihre große Kolonisation beweist es. Beloch glaubt sie zu Anfang des
peloponnesischen Krieges mit Makedonien und den nächsten Inseln auf 2,5--3 Mill., die
ganze griechische Kolonialbevölkerung auf ebenso viel schätzen zu sollen; das eigentliche
Griechenland bei der Unterwerfung unter Philipp von Makedonien auf 4 Mill. Mit
dem alexandrinischen Reiche und denen der Diadochen muß noch ein Jahrhundert der
stärksten Zunahme der griechischen Völker gefolgt sein. Wenn einzelne Staaten, wie
Athen, schon länger zurückgingen, so nahmen andere noch außerordentlich zu, wie z. B.
Rhodos. Erst seit der römischen Herrschaft geht das eigentliche Griechenland im ganzen
zurück, wohl in erster Linie, weil ihm früher nur seine Eigenschaft als gewerblicher und
Handelsmittelpunkt der Welt die große Menschenzahl zu ernähren gestattet hatte.

Italien, ohne das diesseitige Gallien, war in Hannibals Tagen nach Beloch auf
3,5, mit ihm auf 4--4,5 Mill. gekommen; nach großer Abnahme während des zweiten
punischen Krieges nahm die Zahl bis 135 v. Chr. zu, dann durch Bürgerkriege ab;
unter Augustus ist ganz Italien auf 5,5, unter Claudius auf 7 Mill. zu setzen. Von
da an tritt die Abnahme ein, während in den anderen Provinzen des Reiches in den
ersten beiden Jahrhunderten des Principats noch eine Zunahme stattfindet. Ganz Europa
ist zu Anfang unserer Zeitrechnung auf etwa 30 Mill., das ganze römische Reich auf
etwa 54 Mill. zu schätzen, wovon die größere Hälfte auf den damals viel dichter
bevölkerten Osten fällt.

Von dem unter dem Principat erreichten Höhepunkte der Bevölkerung sind fast
alle Teile des römischen Reiches Jahrhunderte lang zurückgesunken; eine lange Zeit der
Entvölkerung, des zerstörenden Kampfes mit den Barbarenvölkern folgte; endlich kon-

Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
Spanien nach Afrika überſetzten, umfaßten eine Reihe verbundener Völkerſchaften, ähnlich
wie die anderen Völkerkonglomerate der großen Wanderzeit, und die überlieferten Nach-
richten über ihre Zahl dürften ſo ziemlich alle ums Doppelte bis Mehrfache übertrieben
ſein. Noch bis ins 18. Jahrhundert zeigen ſich alle kritiſch zu prüfenden, runden über-
lieferten Volkszahlen als maßlos und ganz unzuverläſſig.

Die ſeßhafte Bevölkerung der kleinen Staaten des Altertumes und des Mittel-
alters bewegte ſich meiſt zwiſchen 50000 bis zu 1 Million Seelen. Attika hatte zur
Zeit der Perſerkriege 150000, unter Perikles 250000, nach dem peloponneſiſchen Kriege
ſank es auf 130000 Einwohner; Lakonien und Meſſenien zuſammen nie über 50—100000;
Rom 340 v. Chr. vor dem Sabinerkrieg 0,5 Mill., 240 v. Chr. etwa 1 Mill.; das
Perſerreich vor ſeiner Eroberung etwa 0,5 Mill. Sicilien hat wohl weder im Altertume,
noch unter den Sarazenen oder Friedrich II. 1 Mill. erreicht; Florenz (Stadt und
Gebiet) hatte im 16. Jahrhundert 0,5—0,6 Mill.; Venedig mit der terra ferma
1,3 Mill.; die größeren deutſchen Territorialſtaaten des 15.—18. Jahrhunderts höchſtens
0,1—0,7 Mill. (z. B. Brandenburg 1617 0,3, 1774 0,6, Oſtpreußen 1688 0,4, 1773
0,7 Mill.). England wird zu 1,2 Mill. um 1086, zu 2,5 im 14. und 16. Jahr-
hundert geſchätzt, die vereinigten Niederlande zur Zeit ihrer Blüte zu 2,2 Millionen.

Als etwas größere Völker treten uns ſchon die Ägypter und Karthager entgegen:
Diodor behauptet, das erſtere Land ſei von ſeinem einſtigen Volksreichtum von 7 Mill.
durch die Fremdherrſchaft zur Zeit der Eroberung durch Alexander auf 3 Mill. reduziert
geweſen; durch die griechiſche und römiſche Verwaltung ſtieg die Zahl wieder auf 5,
Joſephus behauptet auf 7½ Mill. Das karthagiſche Afrika berechnet Beloch 200 v. Chr.
auf 3—4 Mill. Die aſiatiſchen Eroberungsreiche Vorderaſiens können als die erſten
vielleicht auf 10—20 Millionen geſtiegen ſein; für die Tiefebene am unteren Euphrat
und Tigris nimmt Beloch zu Ende der Perſerherrſchaft allein 6—8 Mill. an, für
Syrien auch mehrere Millionen. Für China berechnet Sacharoff in der Zeit von
2275 v. Chr. bis 600 n. Chr. Zahlen, die zwiſchen 59 und 79 Millionen unregelmäßig
hin und her ſchwanken.

Suchen wir neben den älteren Klein- und Mittelſtaaten die durch einheitliche
Kultur, Völkerrecht und Bünde aller Art verknüpften Völkergemeinſchaften in ihrer
Größe zu erfaſſen, ſo ſteht das antike Griechenland und Italien in erſter Linie. Die
Griechen müſſen vom 10. bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. außerordentlich zugenommen
haben, ſchon ihre große Koloniſation beweiſt es. Beloch glaubt ſie zu Anfang des
peloponneſiſchen Krieges mit Makedonien und den nächſten Inſeln auf 2,5—3 Mill., die
ganze griechiſche Kolonialbevölkerung auf ebenſo viel ſchätzen zu ſollen; das eigentliche
Griechenland bei der Unterwerfung unter Philipp von Makedonien auf 4 Mill. Mit
dem alexandriniſchen Reiche und denen der Diadochen muß noch ein Jahrhundert der
ſtärkſten Zunahme der griechiſchen Völker gefolgt ſein. Wenn einzelne Staaten, wie
Athen, ſchon länger zurückgingen, ſo nahmen andere noch außerordentlich zu, wie z. B.
Rhodos. Erſt ſeit der römiſchen Herrſchaft geht das eigentliche Griechenland im ganzen
zurück, wohl in erſter Linie, weil ihm früher nur ſeine Eigenſchaft als gewerblicher und
Handelsmittelpunkt der Welt die große Menſchenzahl zu ernähren geſtattet hatte.

Italien, ohne das diesſeitige Gallien, war in Hannibals Tagen nach Beloch auf
3,5, mit ihm auf 4—4,5 Mill. gekommen; nach großer Abnahme während des zweiten
puniſchen Krieges nahm die Zahl bis 135 v. Chr. zu, dann durch Bürgerkriege ab;
unter Auguſtus iſt ganz Italien auf 5,5, unter Claudius auf 7 Mill. zu ſetzen. Von
da an tritt die Abnahme ein, während in den anderen Provinzen des Reiches in den
erſten beiden Jahrhunderten des Principats noch eine Zunahme ſtattfindet. Ganz Europa
iſt zu Anfang unſerer Zeitrechnung auf etwa 30 Mill., das ganze römiſche Reich auf
etwa 54 Mill. zu ſchätzen, wovon die größere Hälfte auf den damals viel dichter
bevölkerten Oſten fällt.

Von dem unter dem Principat erreichten Höhepunkte der Bevölkerung ſind faſt
alle Teile des römiſchen Reiches Jahrhunderte lang zurückgeſunken; eine lange Zeit der
Entvölkerung, des zerſtörenden Kampfes mit den Barbarenvölkern folgte; endlich kon-

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[170/0186] Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. Spanien nach Afrika überſetzten, umfaßten eine Reihe verbundener Völkerſchaften, ähnlich wie die anderen Völkerkonglomerate der großen Wanderzeit, und die überlieferten Nach- richten über ihre Zahl dürften ſo ziemlich alle ums Doppelte bis Mehrfache übertrieben ſein. Noch bis ins 18. Jahrhundert zeigen ſich alle kritiſch zu prüfenden, runden über- lieferten Volkszahlen als maßlos und ganz unzuverläſſig. Die ſeßhafte Bevölkerung der kleinen Staaten des Altertumes und des Mittel- alters bewegte ſich meiſt zwiſchen 50000 bis zu 1 Million Seelen. Attika hatte zur Zeit der Perſerkriege 150000, unter Perikles 250000, nach dem peloponneſiſchen Kriege ſank es auf 130000 Einwohner; Lakonien und Meſſenien zuſammen nie über 50—100000; Rom 340 v. Chr. vor dem Sabinerkrieg 0,5 Mill., 240 v. Chr. etwa 1 Mill.; das Perſerreich vor ſeiner Eroberung etwa 0,5 Mill. Sicilien hat wohl weder im Altertume, noch unter den Sarazenen oder Friedrich II. 1 Mill. erreicht; Florenz (Stadt und Gebiet) hatte im 16. Jahrhundert 0,5—0,6 Mill.; Venedig mit der terra ferma 1,3 Mill.; die größeren deutſchen Territorialſtaaten des 15.—18. Jahrhunderts höchſtens 0,1—0,7 Mill. (z. B. Brandenburg 1617 0,3, 1774 0,6, Oſtpreußen 1688 0,4, 1773 0,7 Mill.). England wird zu 1,2 Mill. um 1086, zu 2,5 im 14. und 16. Jahr- hundert geſchätzt, die vereinigten Niederlande zur Zeit ihrer Blüte zu 2,2 Millionen. Als etwas größere Völker treten uns ſchon die Ägypter und Karthager entgegen: Diodor behauptet, das erſtere Land ſei von ſeinem einſtigen Volksreichtum von 7 Mill. durch die Fremdherrſchaft zur Zeit der Eroberung durch Alexander auf 3 Mill. reduziert geweſen; durch die griechiſche und römiſche Verwaltung ſtieg die Zahl wieder auf 5, Joſephus behauptet auf 7½ Mill. Das karthagiſche Afrika berechnet Beloch 200 v. Chr. auf 3—4 Mill. Die aſiatiſchen Eroberungsreiche Vorderaſiens können als die erſten vielleicht auf 10—20 Millionen geſtiegen ſein; für die Tiefebene am unteren Euphrat und Tigris nimmt Beloch zu Ende der Perſerherrſchaft allein 6—8 Mill. an, für Syrien auch mehrere Millionen. Für China berechnet Sacharoff in der Zeit von 2275 v. Chr. bis 600 n. Chr. Zahlen, die zwiſchen 59 und 79 Millionen unregelmäßig hin und her ſchwanken. Suchen wir neben den älteren Klein- und Mittelſtaaten die durch einheitliche Kultur, Völkerrecht und Bünde aller Art verknüpften Völkergemeinſchaften in ihrer Größe zu erfaſſen, ſo ſteht das antike Griechenland und Italien in erſter Linie. Die Griechen müſſen vom 10. bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. außerordentlich zugenommen haben, ſchon ihre große Koloniſation beweiſt es. Beloch glaubt ſie zu Anfang des peloponneſiſchen Krieges mit Makedonien und den nächſten Inſeln auf 2,5—3 Mill., die ganze griechiſche Kolonialbevölkerung auf ebenſo viel ſchätzen zu ſollen; das eigentliche Griechenland bei der Unterwerfung unter Philipp von Makedonien auf 4 Mill. Mit dem alexandriniſchen Reiche und denen der Diadochen muß noch ein Jahrhundert der ſtärkſten Zunahme der griechiſchen Völker gefolgt ſein. Wenn einzelne Staaten, wie Athen, ſchon länger zurückgingen, ſo nahmen andere noch außerordentlich zu, wie z. B. Rhodos. Erſt ſeit der römiſchen Herrſchaft geht das eigentliche Griechenland im ganzen zurück, wohl in erſter Linie, weil ihm früher nur ſeine Eigenſchaft als gewerblicher und Handelsmittelpunkt der Welt die große Menſchenzahl zu ernähren geſtattet hatte. Italien, ohne das diesſeitige Gallien, war in Hannibals Tagen nach Beloch auf 3,5, mit ihm auf 4—4,5 Mill. gekommen; nach großer Abnahme während des zweiten puniſchen Krieges nahm die Zahl bis 135 v. Chr. zu, dann durch Bürgerkriege ab; unter Auguſtus iſt ganz Italien auf 5,5, unter Claudius auf 7 Mill. zu ſetzen. Von da an tritt die Abnahme ein, während in den anderen Provinzen des Reiches in den erſten beiden Jahrhunderten des Principats noch eine Zunahme ſtattfindet. Ganz Europa iſt zu Anfang unſerer Zeitrechnung auf etwa 30 Mill., das ganze römiſche Reich auf etwa 54 Mill. zu ſchätzen, wovon die größere Hälfte auf den damals viel dichter bevölkerten Oſten fällt. Von dem unter dem Principat erreichten Höhepunkte der Bevölkerung ſind faſt alle Teile des römiſchen Reiches Jahrhunderte lang zurückgeſunken; eine lange Zeit der Entvölkerung, des zerſtörenden Kampfes mit den Barbarenvölkern folgte; endlich kon-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/186>, abgerufen am 29.03.2024.