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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Vorzüge der Erhaltung der Familienwirtschaft. Die Frauenfrage.
Institutionen kommen; gesund bleibt der sociale Körper nur, wenn die Kraft und Selb-
ständigkeit der Familie nach innen ebenso wächst, wie die Ausbildung der anderen Organe
in ihrer Art gelingt. --

Das schiefe Ideal der Gleichheit von Mann und Frau vergißt, daß alle höhere
Kultur größere Differenzierung und größere Abhängigkeit der differenzierten Teile von
einander, bessere Verbindung der verschiedenen unter einander bedeutet, vergißt den
Nachweis, wie es zu machen, daß das Kindergebären und das Waffentragen auch ab-
wechselnd von Mann und Frau zu übernehmen sei. Die Forderung, daß man heute
die Frau zum Lehrberufe, zum Heilberufe und sonst noch manchem zulasse, ist ganz
richtig, aber ihre Erfüllung wird segensreicher wirken, wenn die Sitte, vielleicht auch
das Recht dafür an bestimmten Stellen die Männer ausschließt; denn bloß in die Arena
der atemlosen Männerkonkurrenz noch Tausende von Weibern einführen und sie unter
der Hetzpeitsche des Wettbewerbes um die Erwerbsstellen kämpfen lassen, heißt nur den
Lohn erniedrigen oder die Bevölkerung proletarisch vermehren. Die Kinder- und Frauen-
arbeit unserer Tage ist nicht ein Beweis, daß unsere Technik, unser Familienleben,
unsere Produktion diese Kräfte hier am besten verwenden, daß Ähnliches durch alle
Schichten der Gesellschaft hindurch zu geschehen habe, sondern zeigt nur, daß man sich
in der Zeit des Überganges zur Hausindustrie, zur Manufaktur- und Großindustrie,
zumal in den Gegenden dichter Bevölkerung, über die Tragweite der beginnenden
industriellen Frauen- und Kinderarbeit nicht klar war. Sind nicht die Bergdistrikte, in
denen man nie Frauen zur Bergarbeit zuließ, die glücklichsten? Man könnte behaupten,
es wäre ein großes Glück gewesen, wenn die Regel, daß die Frau ins Haus und nicht
in die Produktion für den Weltmarkt gehöre, aus der Zunft in die moderne Zeit her-
über sich hätte erhalten lassen: die Bevölkerung wäre langsamer gewachsen, furchtbares
Elend wäre erspart geblieben. Und heute handelt es sich darum, wenigstens so weit
wie möglich und nach und nach wieder die verheiratete Frau und das Kind aus der
Mehrzahl der großen Industrien zu verdrängen und für die unverheirateten Mädchen,
die eines Erwerbes bedürfen, eine bestimmte Zahl von Gebieten zu öffnen, für die sie
besser als die Männer passen.

Alle Frauen bedürfen einer besseren Erziehung als heute; möglichst viele mögen
so weit gebracht werden, daß sie eine Reihe von Jahren oder dauernd auf sich selbst
stehen können; alle aber müssen in erster Linie so erzogen werden, daß sie gute Mütter
und Hausfrauen werden; denn jede Frau, die das nicht wird, hat ihren eigentlichen
Beruf, den, in dem sie das Höchste, das Vollendetste, das Segensreichste leistet, verfehlt;
und jede Frau, die eine schlechte Mutter und Hausfrau wird, schädigt sittlich und wirt-
schaftlich die Nation viel mehr als sie ihr nützt, wenn sie die trefflichste Ärztin, Buch-
führerin, Geschäftsfrau oder sonst was wird.

Nicht in der Vernichtung, sondern in dem richtigen Wiederaufbau der Familien-
wohnung und der Familienwirtschaft liegt die Zukunft der Völker und die wahre
Emancipation des Weibes. Man beobachte, was heute eine tüchtige Hausfrau des
Mittelstandes durch vollendete hauswirtschaftliche und hygienische Thätigkeit, durch
Kindererziehung, durch Kenntnis und Benutzung der hauswirtschaftlichen Maschinen
leisten kann; man übersehe nicht, wie einseitig die großen naturwissenschaftlichen und
technischen Fortschritte sich bisher in den Dienst der Großindustrie gestellt haben, welche
segenspendende Vervollkommnung noch möglich ist, wenn sie nun auch in den Dienst
des Hauses treten. Nur die rohe, barbarische Hauswirtin der unteren Klassen kann
sagen, sie habe heute nichts mehr im Hause zu thun; vollends bei gesunder Wohnweise,
wenn zu jeder Wohnung ein Gärtchen gehört, ist die Hausfrau, ja sie mit ihren halb-
erwachsenen Kindern, auch heute voll beschäftigt und wird es künftig noch mehr sein,
trotz aller sie unterstützenden Schulen, Kaufläden und Gewerbe, trotzdem daß sie in
steigendem Maße fertige Produkte, ja fertiges Essen einkauft. Und neben ihrer Haus-
wirtschaft soll sie Zeit für Lektüre, Bildung, Musik, gemeinnützige und Vereinsthätigkeit
haben, gerade auch bis in die untersten Klassen hinein. Ohne das giebt es keine sociale
Rettung und Heilung! --

Die Vorzüge der Erhaltung der Familienwirtſchaft. Die Frauenfrage.
Inſtitutionen kommen; geſund bleibt der ſociale Körper nur, wenn die Kraft und Selb-
ſtändigkeit der Familie nach innen ebenſo wächſt, wie die Ausbildung der anderen Organe
in ihrer Art gelingt. —

Das ſchiefe Ideal der Gleichheit von Mann und Frau vergißt, daß alle höhere
Kultur größere Differenzierung und größere Abhängigkeit der differenzierten Teile von
einander, beſſere Verbindung der verſchiedenen unter einander bedeutet, vergißt den
Nachweis, wie es zu machen, daß das Kindergebären und das Waffentragen auch ab-
wechſelnd von Mann und Frau zu übernehmen ſei. Die Forderung, daß man heute
die Frau zum Lehrberufe, zum Heilberufe und ſonſt noch manchem zulaſſe, iſt ganz
richtig, aber ihre Erfüllung wird ſegensreicher wirken, wenn die Sitte, vielleicht auch
das Recht dafür an beſtimmten Stellen die Männer ausſchließt; denn bloß in die Arena
der atemloſen Männerkonkurrenz noch Tauſende von Weibern einführen und ſie unter
der Hetzpeitſche des Wettbewerbes um die Erwerbsſtellen kämpfen laſſen, heißt nur den
Lohn erniedrigen oder die Bevölkerung proletariſch vermehren. Die Kinder- und Frauen-
arbeit unſerer Tage iſt nicht ein Beweis, daß unſere Technik, unſer Familienleben,
unſere Produktion dieſe Kräfte hier am beſten verwenden, daß Ähnliches durch alle
Schichten der Geſellſchaft hindurch zu geſchehen habe, ſondern zeigt nur, daß man ſich
in der Zeit des Überganges zur Hausinduſtrie, zur Manufaktur- und Großinduſtrie,
zumal in den Gegenden dichter Bevölkerung, über die Tragweite der beginnenden
induſtriellen Frauen- und Kinderarbeit nicht klar war. Sind nicht die Bergdiſtrikte, in
denen man nie Frauen zur Bergarbeit zuließ, die glücklichſten? Man könnte behaupten,
es wäre ein großes Glück geweſen, wenn die Regel, daß die Frau ins Haus und nicht
in die Produktion für den Weltmarkt gehöre, aus der Zunft in die moderne Zeit her-
über ſich hätte erhalten laſſen: die Bevölkerung wäre langſamer gewachſen, furchtbares
Elend wäre erſpart geblieben. Und heute handelt es ſich darum, wenigſtens ſo weit
wie möglich und nach und nach wieder die verheiratete Frau und das Kind aus der
Mehrzahl der großen Induſtrien zu verdrängen und für die unverheirateten Mädchen,
die eines Erwerbes bedürfen, eine beſtimmte Zahl von Gebieten zu öffnen, für die ſie
beſſer als die Männer paſſen.

Alle Frauen bedürfen einer beſſeren Erziehung als heute; möglichſt viele mögen
ſo weit gebracht werden, daß ſie eine Reihe von Jahren oder dauernd auf ſich ſelbſt
ſtehen können; alle aber müſſen in erſter Linie ſo erzogen werden, daß ſie gute Mütter
und Hausfrauen werden; denn jede Frau, die das nicht wird, hat ihren eigentlichen
Beruf, den, in dem ſie das Höchſte, das Vollendetſte, das Segensreichſte leiſtet, verfehlt;
und jede Frau, die eine ſchlechte Mutter und Hausfrau wird, ſchädigt ſittlich und wirt-
ſchaftlich die Nation viel mehr als ſie ihr nützt, wenn ſie die trefflichſte Ärztin, Buch-
führerin, Geſchäftsfrau oder ſonſt was wird.

Nicht in der Vernichtung, ſondern in dem richtigen Wiederaufbau der Familien-
wohnung und der Familienwirtſchaft liegt die Zukunft der Völker und die wahre
Emancipation des Weibes. Man beobachte, was heute eine tüchtige Hausfrau des
Mittelſtandes durch vollendete hauswirtſchaftliche und hygieniſche Thätigkeit, durch
Kindererziehung, durch Kenntnis und Benutzung der hauswirtſchaftlichen Maſchinen
leiſten kann; man überſehe nicht, wie einſeitig die großen naturwiſſenſchaftlichen und
techniſchen Fortſchritte ſich bisher in den Dienſt der Großinduſtrie geſtellt haben, welche
ſegenſpendende Vervollkommnung noch möglich iſt, wenn ſie nun auch in den Dienſt
des Hauſes treten. Nur die rohe, barbariſche Hauswirtin der unteren Klaſſen kann
ſagen, ſie habe heute nichts mehr im Hauſe zu thun; vollends bei geſunder Wohnweiſe,
wenn zu jeder Wohnung ein Gärtchen gehört, iſt die Hausfrau, ja ſie mit ihren halb-
erwachſenen Kindern, auch heute voll beſchäftigt und wird es künftig noch mehr ſein,
trotz aller ſie unterſtützenden Schulen, Kaufläden und Gewerbe, trotzdem daß ſie in
ſteigendem Maße fertige Produkte, ja fertiges Eſſen einkauft. Und neben ihrer Haus-
wirtſchaft ſoll ſie Zeit für Lektüre, Bildung, Muſik, gemeinnützige und Vereinsthätigkeit
haben, gerade auch bis in die unterſten Klaſſen hinein. Ohne das giebt es keine ſociale
Rettung und Heilung! —

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[253/0269] Die Vorzüge der Erhaltung der Familienwirtſchaft. Die Frauenfrage. Inſtitutionen kommen; geſund bleibt der ſociale Körper nur, wenn die Kraft und Selb- ſtändigkeit der Familie nach innen ebenſo wächſt, wie die Ausbildung der anderen Organe in ihrer Art gelingt. — Das ſchiefe Ideal der Gleichheit von Mann und Frau vergißt, daß alle höhere Kultur größere Differenzierung und größere Abhängigkeit der differenzierten Teile von einander, beſſere Verbindung der verſchiedenen unter einander bedeutet, vergißt den Nachweis, wie es zu machen, daß das Kindergebären und das Waffentragen auch ab- wechſelnd von Mann und Frau zu übernehmen ſei. Die Forderung, daß man heute die Frau zum Lehrberufe, zum Heilberufe und ſonſt noch manchem zulaſſe, iſt ganz richtig, aber ihre Erfüllung wird ſegensreicher wirken, wenn die Sitte, vielleicht auch das Recht dafür an beſtimmten Stellen die Männer ausſchließt; denn bloß in die Arena der atemloſen Männerkonkurrenz noch Tauſende von Weibern einführen und ſie unter der Hetzpeitſche des Wettbewerbes um die Erwerbsſtellen kämpfen laſſen, heißt nur den Lohn erniedrigen oder die Bevölkerung proletariſch vermehren. Die Kinder- und Frauen- arbeit unſerer Tage iſt nicht ein Beweis, daß unſere Technik, unſer Familienleben, unſere Produktion dieſe Kräfte hier am beſten verwenden, daß Ähnliches durch alle Schichten der Geſellſchaft hindurch zu geſchehen habe, ſondern zeigt nur, daß man ſich in der Zeit des Überganges zur Hausinduſtrie, zur Manufaktur- und Großinduſtrie, zumal in den Gegenden dichter Bevölkerung, über die Tragweite der beginnenden induſtriellen Frauen- und Kinderarbeit nicht klar war. Sind nicht die Bergdiſtrikte, in denen man nie Frauen zur Bergarbeit zuließ, die glücklichſten? Man könnte behaupten, es wäre ein großes Glück geweſen, wenn die Regel, daß die Frau ins Haus und nicht in die Produktion für den Weltmarkt gehöre, aus der Zunft in die moderne Zeit her- über ſich hätte erhalten laſſen: die Bevölkerung wäre langſamer gewachſen, furchtbares Elend wäre erſpart geblieben. Und heute handelt es ſich darum, wenigſtens ſo weit wie möglich und nach und nach wieder die verheiratete Frau und das Kind aus der Mehrzahl der großen Induſtrien zu verdrängen und für die unverheirateten Mädchen, die eines Erwerbes bedürfen, eine beſtimmte Zahl von Gebieten zu öffnen, für die ſie beſſer als die Männer paſſen. Alle Frauen bedürfen einer beſſeren Erziehung als heute; möglichſt viele mögen ſo weit gebracht werden, daß ſie eine Reihe von Jahren oder dauernd auf ſich ſelbſt ſtehen können; alle aber müſſen in erſter Linie ſo erzogen werden, daß ſie gute Mütter und Hausfrauen werden; denn jede Frau, die das nicht wird, hat ihren eigentlichen Beruf, den, in dem ſie das Höchſte, das Vollendetſte, das Segensreichſte leiſtet, verfehlt; und jede Frau, die eine ſchlechte Mutter und Hausfrau wird, ſchädigt ſittlich und wirt- ſchaftlich die Nation viel mehr als ſie ihr nützt, wenn ſie die trefflichſte Ärztin, Buch- führerin, Geſchäftsfrau oder ſonſt was wird. Nicht in der Vernichtung, ſondern in dem richtigen Wiederaufbau der Familien- wohnung und der Familienwirtſchaft liegt die Zukunft der Völker und die wahre Emancipation des Weibes. Man beobachte, was heute eine tüchtige Hausfrau des Mittelſtandes durch vollendete hauswirtſchaftliche und hygieniſche Thätigkeit, durch Kindererziehung, durch Kenntnis und Benutzung der hauswirtſchaftlichen Maſchinen leiſten kann; man überſehe nicht, wie einſeitig die großen naturwiſſenſchaftlichen und techniſchen Fortſchritte ſich bisher in den Dienſt der Großinduſtrie geſtellt haben, welche ſegenſpendende Vervollkommnung noch möglich iſt, wenn ſie nun auch in den Dienſt des Hauſes treten. Nur die rohe, barbariſche Hauswirtin der unteren Klaſſen kann ſagen, ſie habe heute nichts mehr im Hauſe zu thun; vollends bei geſunder Wohnweiſe, wenn zu jeder Wohnung ein Gärtchen gehört, iſt die Hausfrau, ja ſie mit ihren halb- erwachſenen Kindern, auch heute voll beſchäftigt und wird es künftig noch mehr ſein, trotz aller ſie unterſtützenden Schulen, Kaufläden und Gewerbe, trotzdem daß ſie in ſteigendem Maße fertige Produkte, ja fertiges Eſſen einkauft. Und neben ihrer Haus- wirtſchaft ſoll ſie Zeit für Lektüre, Bildung, Muſik, gemeinnützige und Vereinsthätigkeit haben, gerade auch bis in die unterſten Klaſſen hinein. Ohne das giebt es keine ſociale Rettung und Heilung! —

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/269>, abgerufen am 29.03.2024.