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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Gegensatz von privater und öffentlicher Wirtschaft.
Privatwirtschaft, obwohl sie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben.
Die geschichtliche Entwickelung wird so in einem steten Vordringen der öffentlichen An-
stalten innerhalb des für sie passenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück-
weichen verlaufen. Aber stets wird der Privatwirtschaft ihr eigentliches Gebiet bleiben.
Und stets wird die Schwankung zwischen Vordringen und Zurückweichen dadurch kom-
plizierter werden, daß die Staats- und die Unternehmerthätigkeit, ihre Formen und
Gepflogenheiten sehr verschieden sich gestalten können; die große Unternehmung hat mit
ähnlichen Schwierigkeiten wie Staat und Gemeinde zu kämpfen; sie kann aber auch die
Vorzüge dieser sich aneignen, kann durch weitsichtige, gemeinnützige Leitung, durch staat-
liche Kontrolle, durch Abgabe eines Teiles ihrer Gewinne an Staat und Gemeinde sich
diesen nähern; auch die staatliche Anstalt kann die Einrichtungen der Privatunternehmung
sich aneignen; es können gemischte Formen der Organisation sich bilden.

Sehen wir das einzelne in Staat und Gemeinde noch etwas näher an.

a) Die heutige Gemeinde hat ein viel dichteres Wohnen und durch die
moderne Technik eine unendlich kompliziertere, nur von wenigen Sachverständigen erkannte
Einwirkung der Nachbarn aufeinander. Der Zustand der Aborte und Dungstätten, des
Trinkwassers, die Beseitigung der Fäkalien, die mögliche Wirkung von Dampf und
Elektricität, von Rauch und Lärm, von Feuers- und Explosionsgefahr auf die Nachbarn,
das Zusammenwohnen von 5--40 statt von 1--2 Familien auf einem Grundstücke, die
Ordnung der Wege, der Platzanlagen, der Friedhöfe, die Beleuchtung der Märkte und
Straßen, die Verknüpfung aller Häuser und Straßen durch ober- und unterirdische
Leitungen aller Art hat einen technisch-wirtschaftlichen Zustand geschaffen, wobei nur
einheitliche Ordnungen, einheitliche Anstalten die einschlägigen Bedürfnisse befriedigen
können. Nun kann gewiß auch heute noch ausnahmsweise ohne zu große Mißstände
die Wasserleitung, die Gasanstalt, das Elektricitätswerk, das Abfuhrwesen, das Schlacht-
haus, die Markthalle in Privat-, Vereins- oder Aktienhänden liegen; aber das Monopol,
das entsteht, muß dann sehr streng in Leistungen und Preisen kontrolliert, es muß durch
Abgabe eines Teiles des Monopolgewinnes an die Gemeinde korrigiert werden; es
erzeugt sonst nur zu leicht übergroße Gewinne für die Inhaber, schlechte Bedienung
des Publikums. Die Übernahme auf die Gemeinde ist oft mit etwas größeren Kosten,
meist aber auch mit besserer Behandlung der Arbeiter und Beamten, mit besserer Ver-
sorgung aller Bürger verbunden.

Die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse, die der Erziehung der Jugend hat
früh zu gesellschaftlichen Organisationen geführt; Kirche und Gemeinde traten ein; es ist
klar, daß die Nachbarskinder billiger und besser durch einen gemeinsamen Lehrer im
gemeinsamen Schulhause unterrichtet werden, daß ohne diese Einrichtung nur die Reichsten
sich einen Lehrer halten können. Heute kommen dazu Fortbildungs-, Ackerbau-, Gewerbe-
schulen, Bibliotheken, Theater, Musik-, Turn- und Festhallen, Spielplätze und Parks; auch
Derartiges kann in Privat- oder Vereinshänden sein; am besten aber sorgt doch wohl
die Gemeinde dafür, sofern sie richtig organisiert, nicht von einer Clique beherrscht ist.
Man hat mit Recht heute oft schon gefragt, ob nicht die allgemeinen Vergnügungen
und ihre Lokale, die Wirtshäuser, Theater, Musikaufführungen besser unter Gemeinde-
kontrolle oder -Verwaltung stünden; der private Erwerbstrieb wenigstens hat hier vielfach
zur Großziehung von Laster und Mißbrauch geführt; er macht die größten Wucher-
gewinne, wenn er dem Leichtsinne des Augenblickes dient. Das Verlangen der Muni-
cipalisierung des Schankwesens wurde neulich von einem Gemeinderate Manchesters
aufgestellt.

Die Unterstützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur-
sprünglich Sache der Gentilverbände, später der Großfamilien und Grundherrschaften,
der Dorf-, Zunft- und anderen Genossenschaften, aushülfsweise auch der Kirche gewesen;
als diese Organisationen versagten, sich auflösten, zahlreiche Bettler entstanden, legte der
Staat der Gemeinde als solcher die Pflicht der Armenunterstützung auf, und dies
erschien allerwärts um so natürlicher, als der Wohlstand, die Gesittung und die
Arbeitsgelegenheit am Orte von den guten oder schlechten Gemeindeverwaltung wesentlich

Der Gegenſatz von privater und öffentlicher Wirtſchaft.
Privatwirtſchaft, obwohl ſie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben.
Die geſchichtliche Entwickelung wird ſo in einem ſteten Vordringen der öffentlichen An-
ſtalten innerhalb des für ſie paſſenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück-
weichen verlaufen. Aber ſtets wird der Privatwirtſchaft ihr eigentliches Gebiet bleiben.
Und ſtets wird die Schwankung zwiſchen Vordringen und Zurückweichen dadurch kom-
plizierter werden, daß die Staats- und die Unternehmerthätigkeit, ihre Formen und
Gepflogenheiten ſehr verſchieden ſich geſtalten können; die große Unternehmung hat mit
ähnlichen Schwierigkeiten wie Staat und Gemeinde zu kämpfen; ſie kann aber auch die
Vorzüge dieſer ſich aneignen, kann durch weitſichtige, gemeinnützige Leitung, durch ſtaat-
liche Kontrolle, durch Abgabe eines Teiles ihrer Gewinne an Staat und Gemeinde ſich
dieſen nähern; auch die ſtaatliche Anſtalt kann die Einrichtungen der Privatunternehmung
ſich aneignen; es können gemiſchte Formen der Organiſation ſich bilden.

Sehen wir das einzelne in Staat und Gemeinde noch etwas näher an.

a) Die heutige Gemeinde hat ein viel dichteres Wohnen und durch die
moderne Technik eine unendlich kompliziertere, nur von wenigen Sachverſtändigen erkannte
Einwirkung der Nachbarn aufeinander. Der Zuſtand der Aborte und Dungſtätten, des
Trinkwaſſers, die Beſeitigung der Fäkalien, die mögliche Wirkung von Dampf und
Elektricität, von Rauch und Lärm, von Feuers- und Exploſionsgefahr auf die Nachbarn,
das Zuſammenwohnen von 5—40 ſtatt von 1—2 Familien auf einem Grundſtücke, die
Ordnung der Wege, der Platzanlagen, der Friedhöfe, die Beleuchtung der Märkte und
Straßen, die Verknüpfung aller Häuſer und Straßen durch ober- und unterirdiſche
Leitungen aller Art hat einen techniſch-wirtſchaftlichen Zuſtand geſchaffen, wobei nur
einheitliche Ordnungen, einheitliche Anſtalten die einſchlägigen Bedürfniſſe befriedigen
können. Nun kann gewiß auch heute noch ausnahmsweiſe ohne zu große Mißſtände
die Waſſerleitung, die Gasanſtalt, das Elektricitätswerk, das Abfuhrweſen, das Schlacht-
haus, die Markthalle in Privat-, Vereins- oder Aktienhänden liegen; aber das Monopol,
das entſteht, muß dann ſehr ſtreng in Leiſtungen und Preiſen kontrolliert, es muß durch
Abgabe eines Teiles des Monopolgewinnes an die Gemeinde korrigiert werden; es
erzeugt ſonſt nur zu leicht übergroße Gewinne für die Inhaber, ſchlechte Bedienung
des Publikums. Die Übernahme auf die Gemeinde iſt oft mit etwas größeren Koſten,
meiſt aber auch mit beſſerer Behandlung der Arbeiter und Beamten, mit beſſerer Ver-
ſorgung aller Bürger verbunden.

Die Befriedigung der religiöſen Bedürfniſſe, die der Erziehung der Jugend hat
früh zu geſellſchaftlichen Organiſationen geführt; Kirche und Gemeinde traten ein; es iſt
klar, daß die Nachbarskinder billiger und beſſer durch einen gemeinſamen Lehrer im
gemeinſamen Schulhauſe unterrichtet werden, daß ohne dieſe Einrichtung nur die Reichſten
ſich einen Lehrer halten können. Heute kommen dazu Fortbildungs-, Ackerbau-, Gewerbe-
ſchulen, Bibliotheken, Theater, Muſik-, Turn- und Feſthallen, Spielplätze und Parks; auch
Derartiges kann in Privat- oder Vereinshänden ſein; am beſten aber ſorgt doch wohl
die Gemeinde dafür, ſofern ſie richtig organiſiert, nicht von einer Clique beherrſcht iſt.
Man hat mit Recht heute oft ſchon gefragt, ob nicht die allgemeinen Vergnügungen
und ihre Lokale, die Wirtshäuſer, Theater, Muſikaufführungen beſſer unter Gemeinde-
kontrolle oder -Verwaltung ſtünden; der private Erwerbstrieb wenigſtens hat hier vielfach
zur Großziehung von Laſter und Mißbrauch geführt; er macht die größten Wucher-
gewinne, wenn er dem Leichtſinne des Augenblickes dient. Das Verlangen der Muni-
cipaliſierung des Schankweſens wurde neulich von einem Gemeinderate Mancheſters
aufgeſtellt.

Die Unterſtützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur-
ſprünglich Sache der Gentilverbände, ſpäter der Großfamilien und Grundherrſchaften,
der Dorf-, Zunft- und anderen Genoſſenſchaften, aushülfsweiſe auch der Kirche geweſen;
als dieſe Organiſationen verſagten, ſich auflöſten, zahlreiche Bettler entſtanden, legte der
Staat der Gemeinde als ſolcher die Pflicht der Armenunterſtützung auf, und dies
erſchien allerwärts um ſo natürlicher, als der Wohlſtand, die Geſittung und die
Arbeitsgelegenheit am Orte von den guten oder ſchlechten Gemeindeverwaltung weſentlich

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[319/0335] Der Gegenſatz von privater und öffentlicher Wirtſchaft. Privatwirtſchaft, obwohl ſie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben. Die geſchichtliche Entwickelung wird ſo in einem ſteten Vordringen der öffentlichen An- ſtalten innerhalb des für ſie paſſenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück- weichen verlaufen. Aber ſtets wird der Privatwirtſchaft ihr eigentliches Gebiet bleiben. Und ſtets wird die Schwankung zwiſchen Vordringen und Zurückweichen dadurch kom- plizierter werden, daß die Staats- und die Unternehmerthätigkeit, ihre Formen und Gepflogenheiten ſehr verſchieden ſich geſtalten können; die große Unternehmung hat mit ähnlichen Schwierigkeiten wie Staat und Gemeinde zu kämpfen; ſie kann aber auch die Vorzüge dieſer ſich aneignen, kann durch weitſichtige, gemeinnützige Leitung, durch ſtaat- liche Kontrolle, durch Abgabe eines Teiles ihrer Gewinne an Staat und Gemeinde ſich dieſen nähern; auch die ſtaatliche Anſtalt kann die Einrichtungen der Privatunternehmung ſich aneignen; es können gemiſchte Formen der Organiſation ſich bilden. Sehen wir das einzelne in Staat und Gemeinde noch etwas näher an. a) Die heutige Gemeinde hat ein viel dichteres Wohnen und durch die moderne Technik eine unendlich kompliziertere, nur von wenigen Sachverſtändigen erkannte Einwirkung der Nachbarn aufeinander. Der Zuſtand der Aborte und Dungſtätten, des Trinkwaſſers, die Beſeitigung der Fäkalien, die mögliche Wirkung von Dampf und Elektricität, von Rauch und Lärm, von Feuers- und Exploſionsgefahr auf die Nachbarn, das Zuſammenwohnen von 5—40 ſtatt von 1—2 Familien auf einem Grundſtücke, die Ordnung der Wege, der Platzanlagen, der Friedhöfe, die Beleuchtung der Märkte und Straßen, die Verknüpfung aller Häuſer und Straßen durch ober- und unterirdiſche Leitungen aller Art hat einen techniſch-wirtſchaftlichen Zuſtand geſchaffen, wobei nur einheitliche Ordnungen, einheitliche Anſtalten die einſchlägigen Bedürfniſſe befriedigen können. Nun kann gewiß auch heute noch ausnahmsweiſe ohne zu große Mißſtände die Waſſerleitung, die Gasanſtalt, das Elektricitätswerk, das Abfuhrweſen, das Schlacht- haus, die Markthalle in Privat-, Vereins- oder Aktienhänden liegen; aber das Monopol, das entſteht, muß dann ſehr ſtreng in Leiſtungen und Preiſen kontrolliert, es muß durch Abgabe eines Teiles des Monopolgewinnes an die Gemeinde korrigiert werden; es erzeugt ſonſt nur zu leicht übergroße Gewinne für die Inhaber, ſchlechte Bedienung des Publikums. Die Übernahme auf die Gemeinde iſt oft mit etwas größeren Koſten, meiſt aber auch mit beſſerer Behandlung der Arbeiter und Beamten, mit beſſerer Ver- ſorgung aller Bürger verbunden. Die Befriedigung der religiöſen Bedürfniſſe, die der Erziehung der Jugend hat früh zu geſellſchaftlichen Organiſationen geführt; Kirche und Gemeinde traten ein; es iſt klar, daß die Nachbarskinder billiger und beſſer durch einen gemeinſamen Lehrer im gemeinſamen Schulhauſe unterrichtet werden, daß ohne dieſe Einrichtung nur die Reichſten ſich einen Lehrer halten können. Heute kommen dazu Fortbildungs-, Ackerbau-, Gewerbe- ſchulen, Bibliotheken, Theater, Muſik-, Turn- und Feſthallen, Spielplätze und Parks; auch Derartiges kann in Privat- oder Vereinshänden ſein; am beſten aber ſorgt doch wohl die Gemeinde dafür, ſofern ſie richtig organiſiert, nicht von einer Clique beherrſcht iſt. Man hat mit Recht heute oft ſchon gefragt, ob nicht die allgemeinen Vergnügungen und ihre Lokale, die Wirtshäuſer, Theater, Muſikaufführungen beſſer unter Gemeinde- kontrolle oder -Verwaltung ſtünden; der private Erwerbstrieb wenigſtens hat hier vielfach zur Großziehung von Laſter und Mißbrauch geführt; er macht die größten Wucher- gewinne, wenn er dem Leichtſinne des Augenblickes dient. Das Verlangen der Muni- cipaliſierung des Schankweſens wurde neulich von einem Gemeinderate Mancheſters aufgeſtellt. Die Unterſtützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur- ſprünglich Sache der Gentilverbände, ſpäter der Großfamilien und Grundherrſchaften, der Dorf-, Zunft- und anderen Genoſſenſchaften, aushülfsweiſe auch der Kirche geweſen; als dieſe Organiſationen verſagten, ſich auflöſten, zahlreiche Bettler entſtanden, legte der Staat der Gemeinde als ſolcher die Pflicht der Armenunterſtützung auf, und dies erſchien allerwärts um ſo natürlicher, als der Wohlſtand, die Geſittung und die Arbeitsgelegenheit am Orte von den guten oder ſchlechten Gemeindeverwaltung weſentlich

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/335>, abgerufen am 29.03.2024.