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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
stämmen, konnten sich der abenteuernde Sinn, die kühne Wageluft, der rechnende
Erwerbssinn entwickeln, die in breiteren Schichten der Stämme Handelsgeist und
Handelsgewohnheiten, sowie Markteinrichtungen nach und nach schufen. Ihnen steht die
Mehrzahl der anderen Stämme und Rassen mit einer zähen, Jahrhunderte lang fest-
gehaltenen Abneigung gegen den Handel gegenüber; sie dulden Generationen hindurch
eher, daß fremde Händler zu ihnen kommen, als daß sie selbst den Handel erlernen und
ergreifen. So ist bei den meisten, besonders den indogermanischen Völkern der Handel
durch Fremde und Fremdenkolonien nur sehr langsam eingedrungen. Die Phöniker,
Araber, Syrer und Juden waren die Lehrer des Handels für ganz Europa. Die Araber
sind es noch heute in Afrika, wie die Armenier im Orient, die Malaien und Chinesen
vielfach in Ostasien. Bis auf den heutigen Tag sind in vielen Ländern einzelne Handels-
zweige in den Händen fremder Rassen, wie z. B. in London der Getreidehandel wesentlich
von Griechen und Deutschen, in Paris das Bankgeschäft hauptsächlich von Genfer Kauf-
leuten und deutschen Juden begründet wurde, in Manchester noch heute ein erheblicher
Teil des Baumwollwarenhandels in fremden Händen liegt. In Indien kann der Krämer
und Händler des Dorfes noch heute nicht Gemeindemitglied sein (Maine). Im Elsaß
wohnt der jüdische Vermittler nicht in dem Dorfe, das ihm von seinen Freunden still-
schweigend als Geschäftsgebiet überlassen ist. Am Handel klebt so sehr lange die Vor-
stellung, daß es sich um ein Geschäft mit Fremden handle.

Die älteren Händler sind Hausierer, die mit Karren, Lasttieren und Schiffen von
Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm, von Küste zu Küste ziehen; sie sind meist Groß-
und Kleinhändler, Frachtführer und Warenbesitzer, oft auch technische Künstler und
Handwerker zugleich. Die wertvollsten Waren, mit ihren großen örtlichen Wertdifferenzen,
Vieh und Menschen, Salz, Wein und Gewürze, Edelsteine, Metalle und Werkzeuge sind
die Lockmittel jenes ersten Verkehrs. Von dem römischen Weinhausierer, dem Caupo,
stammt das Wort Kaufmann. Es ist ein Handel, der stets Gefahren mit sich bringt,
Verhandlungen mit fremden Fürsten und Stämmen, ein gewisses Fremdenrecht, Be-
schenkung und Bestechung der zulassenden Häuptlinge oder auch Bedrohung und Ver-
gewaltigung derselben voraussetzt. Leichter erreichen die Händler ihr Ziel, wenn sie in
gemeinsamen Schiffs- und Karawanenzügen, unter einheitlichem Befehle, mit Waffen,
Gefolge und Knechten auftreten. So wird die Organisation dieses Handels in die
Fremde meist eine Angelegenheit der Fürsten oder gar des Stammes, jedenfalls der
Reichen und Angesehenen; Stationen und Kolonien werden nicht bloß für die einzelnen
Händler, sondern für das Mutterland erworben; die Händler desselben Stammes treten
draußen, ob verabredet oder nicht, als ein geschlossener Bund auf, der nach ausschließ-
lichen oder bevorzugten Rechten strebt. An der Spitze solcher Handelsunternehmungen
stehen Männer, die als Diplomaten, Feldherren, Koloniegründer sich ebenso auszeichnen
müssen wie durch ihr Geschäftstalent. Sie streben stets nach einer gewissen Handelsherrschaft
und suchen mit Gewalt ebenso oft wie durch gute Bedienung ihrer Kunden ihre Stellung
zu behaupten. Von den phönikischen und griechischen Seeräuberzügen und den Wikinger-
fahrten bis zu den holländisch-englischen Kaper-, Opium-, Gold- und Diamantenkriegen
klebt List und Betrug, Blut und Gewaltthat an diesem Handel in die Fremde, dessen
Formen außerhalb Europas heute noch vielfach vorherrschen.

Meist leben diese älteren Kaufleute nicht ausschließlich von Handel und Verkehr;
sie sind zu Hause Grundbesitzer, Aristokraten, Häuptlinge, oft auch Priester; der römische
Handel tritt uns bis in die Kaiserzeit als eine Nebenbeschäftigung des Großgrundbesitzes
entgegen; der punische Kaufmann ist Plantagenbesitzer, der mittelalterliche vielfach zugleich
Brauer und städtischer Grund-, oft auch ländlicher Rittergutsbesitzer. Aber wo der
Handel dann eine gewisse Blüte erreicht hat, da sind es die jüngeren Söhne, die Knechte
und Schiffer, die Träger und Kamelführer, die nach und nach mit eigener Ersparnis
und auf eigene Rechnung anfangen zu handeln; so entsteht ein Kaufmannsstand, der
ausschließlich oder überwiegend vom Handelsverdienst lebt, soweit die betreffenden nicht,
wie ihre Principale, wieder durch ihren Besitz zugleich in die höhere Klasse der Grund-
besitzer und Aristokraten einrücken.

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ſtämmen, konnten ſich der abenteuernde Sinn, die kühne Wageluft, der rechnende
Erwerbsſinn entwickeln, die in breiteren Schichten der Stämme Handelsgeiſt und
Handelsgewohnheiten, ſowie Markteinrichtungen nach und nach ſchufen. Ihnen ſteht die
Mehrzahl der anderen Stämme und Raſſen mit einer zähen, Jahrhunderte lang feſt-
gehaltenen Abneigung gegen den Handel gegenüber; ſie dulden Generationen hindurch
eher, daß fremde Händler zu ihnen kommen, als daß ſie ſelbſt den Handel erlernen und
ergreifen. So iſt bei den meiſten, beſonders den indogermaniſchen Völkern der Handel
durch Fremde und Fremdenkolonien nur ſehr langſam eingedrungen. Die Phöniker,
Araber, Syrer und Juden waren die Lehrer des Handels für ganz Europa. Die Araber
ſind es noch heute in Afrika, wie die Armenier im Orient, die Malaien und Chineſen
vielfach in Oſtaſien. Bis auf den heutigen Tag ſind in vielen Ländern einzelne Handels-
zweige in den Händen fremder Raſſen, wie z. B. in London der Getreidehandel weſentlich
von Griechen und Deutſchen, in Paris das Bankgeſchäft hauptſächlich von Genfer Kauf-
leuten und deutſchen Juden begründet wurde, in Mancheſter noch heute ein erheblicher
Teil des Baumwollwarenhandels in fremden Händen liegt. In Indien kann der Krämer
und Händler des Dorfes noch heute nicht Gemeindemitglied ſein (Maine). Im Elſaß
wohnt der jüdiſche Vermittler nicht in dem Dorfe, das ihm von ſeinen Freunden ſtill-
ſchweigend als Geſchäftsgebiet überlaſſen iſt. Am Handel klebt ſo ſehr lange die Vor-
ſtellung, daß es ſich um ein Geſchäft mit Fremden handle.

Die älteren Händler ſind Hauſierer, die mit Karren, Laſttieren und Schiffen von
Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm, von Küſte zu Küſte ziehen; ſie ſind meiſt Groß-
und Kleinhändler, Frachtführer und Warenbeſitzer, oft auch techniſche Künſtler und
Handwerker zugleich. Die wertvollſten Waren, mit ihren großen örtlichen Wertdifferenzen,
Vieh und Menſchen, Salz, Wein und Gewürze, Edelſteine, Metalle und Werkzeuge ſind
die Lockmittel jenes erſten Verkehrs. Von dem römiſchen Weinhauſierer, dem Caupo,
ſtammt das Wort Kaufmann. Es iſt ein Handel, der ſtets Gefahren mit ſich bringt,
Verhandlungen mit fremden Fürſten und Stämmen, ein gewiſſes Fremdenrecht, Be-
ſchenkung und Beſtechung der zulaſſenden Häuptlinge oder auch Bedrohung und Ver-
gewaltigung derſelben vorausſetzt. Leichter erreichen die Händler ihr Ziel, wenn ſie in
gemeinſamen Schiffs- und Karawanenzügen, unter einheitlichem Befehle, mit Waffen,
Gefolge und Knechten auftreten. So wird die Organiſation dieſes Handels in die
Fremde meiſt eine Angelegenheit der Fürſten oder gar des Stammes, jedenfalls der
Reichen und Angeſehenen; Stationen und Kolonien werden nicht bloß für die einzelnen
Händler, ſondern für das Mutterland erworben; die Händler desſelben Stammes treten
draußen, ob verabredet oder nicht, als ein geſchloſſener Bund auf, der nach ausſchließ-
lichen oder bevorzugten Rechten ſtrebt. An der Spitze ſolcher Handelsunternehmungen
ſtehen Männer, die als Diplomaten, Feldherren, Koloniegründer ſich ebenſo auszeichnen
müſſen wie durch ihr Geſchäftstalent. Sie ſtreben ſtets nach einer gewiſſen Handelsherrſchaft
und ſuchen mit Gewalt ebenſo oft wie durch gute Bedienung ihrer Kunden ihre Stellung
zu behaupten. Von den phönikiſchen und griechiſchen Seeräuberzügen und den Wikinger-
fahrten bis zu den holländiſch-engliſchen Kaper-, Opium-, Gold- und Diamantenkriegen
klebt Liſt und Betrug, Blut und Gewaltthat an dieſem Handel in die Fremde, deſſen
Formen außerhalb Europas heute noch vielfach vorherrſchen.

Meiſt leben dieſe älteren Kaufleute nicht ausſchließlich von Handel und Verkehr;
ſie ſind zu Hauſe Grundbeſitzer, Ariſtokraten, Häuptlinge, oft auch Prieſter; der römiſche
Handel tritt uns bis in die Kaiſerzeit als eine Nebenbeſchäftigung des Großgrundbeſitzes
entgegen; der puniſche Kaufmann iſt Plantagenbeſitzer, der mittelalterliche vielfach zugleich
Brauer und ſtädtiſcher Grund-, oft auch ländlicher Rittergutsbeſitzer. Aber wo der
Handel dann eine gewiſſe Blüte erreicht hat, da ſind es die jüngeren Söhne, die Knechte
und Schiffer, die Träger und Kamelführer, die nach und nach mit eigener Erſparnis
und auf eigene Rechnung anfangen zu handeln; ſo entſteht ein Kaufmannsſtand, der
ausſchließlich oder überwiegend vom Handelsverdienſt lebt, ſoweit die betreffenden nicht,
wie ihre Principale, wieder durch ihren Beſitz zugleich in die höhere Klaſſe der Grund-
beſitzer und Ariſtokraten einrücken.

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[334/0350] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. ſtämmen, konnten ſich der abenteuernde Sinn, die kühne Wageluft, der rechnende Erwerbsſinn entwickeln, die in breiteren Schichten der Stämme Handelsgeiſt und Handelsgewohnheiten, ſowie Markteinrichtungen nach und nach ſchufen. Ihnen ſteht die Mehrzahl der anderen Stämme und Raſſen mit einer zähen, Jahrhunderte lang feſt- gehaltenen Abneigung gegen den Handel gegenüber; ſie dulden Generationen hindurch eher, daß fremde Händler zu ihnen kommen, als daß ſie ſelbſt den Handel erlernen und ergreifen. So iſt bei den meiſten, beſonders den indogermaniſchen Völkern der Handel durch Fremde und Fremdenkolonien nur ſehr langſam eingedrungen. Die Phöniker, Araber, Syrer und Juden waren die Lehrer des Handels für ganz Europa. Die Araber ſind es noch heute in Afrika, wie die Armenier im Orient, die Malaien und Chineſen vielfach in Oſtaſien. Bis auf den heutigen Tag ſind in vielen Ländern einzelne Handels- zweige in den Händen fremder Raſſen, wie z. B. in London der Getreidehandel weſentlich von Griechen und Deutſchen, in Paris das Bankgeſchäft hauptſächlich von Genfer Kauf- leuten und deutſchen Juden begründet wurde, in Mancheſter noch heute ein erheblicher Teil des Baumwollwarenhandels in fremden Händen liegt. In Indien kann der Krämer und Händler des Dorfes noch heute nicht Gemeindemitglied ſein (Maine). Im Elſaß wohnt der jüdiſche Vermittler nicht in dem Dorfe, das ihm von ſeinen Freunden ſtill- ſchweigend als Geſchäftsgebiet überlaſſen iſt. Am Handel klebt ſo ſehr lange die Vor- ſtellung, daß es ſich um ein Geſchäft mit Fremden handle. Die älteren Händler ſind Hauſierer, die mit Karren, Laſttieren und Schiffen von Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm, von Küſte zu Küſte ziehen; ſie ſind meiſt Groß- und Kleinhändler, Frachtführer und Warenbeſitzer, oft auch techniſche Künſtler und Handwerker zugleich. Die wertvollſten Waren, mit ihren großen örtlichen Wertdifferenzen, Vieh und Menſchen, Salz, Wein und Gewürze, Edelſteine, Metalle und Werkzeuge ſind die Lockmittel jenes erſten Verkehrs. Von dem römiſchen Weinhauſierer, dem Caupo, ſtammt das Wort Kaufmann. Es iſt ein Handel, der ſtets Gefahren mit ſich bringt, Verhandlungen mit fremden Fürſten und Stämmen, ein gewiſſes Fremdenrecht, Be- ſchenkung und Beſtechung der zulaſſenden Häuptlinge oder auch Bedrohung und Ver- gewaltigung derſelben vorausſetzt. Leichter erreichen die Händler ihr Ziel, wenn ſie in gemeinſamen Schiffs- und Karawanenzügen, unter einheitlichem Befehle, mit Waffen, Gefolge und Knechten auftreten. So wird die Organiſation dieſes Handels in die Fremde meiſt eine Angelegenheit der Fürſten oder gar des Stammes, jedenfalls der Reichen und Angeſehenen; Stationen und Kolonien werden nicht bloß für die einzelnen Händler, ſondern für das Mutterland erworben; die Händler desſelben Stammes treten draußen, ob verabredet oder nicht, als ein geſchloſſener Bund auf, der nach ausſchließ- lichen oder bevorzugten Rechten ſtrebt. An der Spitze ſolcher Handelsunternehmungen ſtehen Männer, die als Diplomaten, Feldherren, Koloniegründer ſich ebenſo auszeichnen müſſen wie durch ihr Geſchäftstalent. Sie ſtreben ſtets nach einer gewiſſen Handelsherrſchaft und ſuchen mit Gewalt ebenſo oft wie durch gute Bedienung ihrer Kunden ihre Stellung zu behaupten. Von den phönikiſchen und griechiſchen Seeräuberzügen und den Wikinger- fahrten bis zu den holländiſch-engliſchen Kaper-, Opium-, Gold- und Diamantenkriegen klebt Liſt und Betrug, Blut und Gewaltthat an dieſem Handel in die Fremde, deſſen Formen außerhalb Europas heute noch vielfach vorherrſchen. Meiſt leben dieſe älteren Kaufleute nicht ausſchließlich von Handel und Verkehr; ſie ſind zu Hauſe Grundbeſitzer, Ariſtokraten, Häuptlinge, oft auch Prieſter; der römiſche Handel tritt uns bis in die Kaiſerzeit als eine Nebenbeſchäftigung des Großgrundbeſitzes entgegen; der puniſche Kaufmann iſt Plantagenbeſitzer, der mittelalterliche vielfach zugleich Brauer und ſtädtiſcher Grund-, oft auch ländlicher Rittergutsbeſitzer. Aber wo der Handel dann eine gewiſſe Blüte erreicht hat, da ſind es die jüngeren Söhne, die Knechte und Schiffer, die Träger und Kamelführer, die nach und nach mit eigener Erſparnis und auf eigene Rechnung anfangen zu handeln; ſo entſteht ein Kaufmannsſtand, der ausſchließlich oder überwiegend vom Handelsverdienſt lebt, ſoweit die betreffenden nicht, wie ihre Principale, wieder durch ihren Beſitz zugleich in die höhere Klaſſe der Grund- beſitzer und Ariſtokraten einrücken.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/350>, abgerufen am 19.04.2024.