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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Entwickelung der Familienwirtschaft zur Unternehmung.
zwingt; sie ist ein Organ, das Herden-, Land-, Kapitalbesitz zu sammeln, zu verwalten,
von Geschlecht zu Geschlecht zu überliefern versteht.

Aber ihre Hauswirtschaft hat ursprünglich nur die eigene Versorgung der Familie
zum Zweck, nicht eine Überschußproduktion für den Markt; höchstens so viel suchen die
Familien außer für den eigenen Bedarf zu schaffen, wie etwa für Gemeinde und Grund-
herren, für Kirche und Staat noch nötig ist; denn an diese gesellschaftlichen Verbände
muß die Familie Dienste und Naturalabgaben liefern; so groß ist ihre Hufe bemessen,
daß sie das kann; und auch der größere Vieh- oder Landbesitzer, der Grundherr, das
Kloster, sie haben in älterer Zeit nicht sowohl eine Überschußproduktion und Gewinn-
erzielung im Auge als eine so große Eigenproduktion, daß die lokalen Verwaltungs-
zwecke, die Zwecke einer militärischen, kirchlichen, aristokratischen Familienorganisation,
die mit dem größeren Besitz verbunden ist, befriedigt werden, so und so viel Diener,
Ritter, Klosterbrüder wie nötig, behaust, gespeist und sonst unterhalten werden können.

Die Haus- und Familienwirtschaft der älteren Zeit ist so keine Unter-
nehmung, es fehlt ihr die Geschäftsseite, die Verbindung mit dem Markt; ihr Zweck
ist nicht Gewinn, sondern Unterhalt. Aber sie hat eine feste, klare, leistungsfähige
Organisation, sie bildet eine Arbeitsteilung aus; sie lehrt die Menschen, planvoll für
die Zukunft arbeiten und sparen; sie ist ein ausgezeichnetes Mittel der Schulung und
Heranziehung jüngerer Arbeitskräfte; sie hat in dem unbestrittenen Kommando des
Familienvaters das einfachste Mittel, mehrere, ja viele ohne Reibung zusammen wirken
und die Fähigkeiten des Befehlenden zu vollstem Effekt gelangen zu lassen. Sie ist
hierin der Arbeitsgenossenschaft unendlich überlegen. Und deshalb wird sie für Jahr-
hunderte und Jahrtausende nicht bloß das Organ der menschlichen Fortpflanzung, des
Wohnens und des Haushalts, des sittlichen Lebens, sondern auch der Keimpunkt, an
den sich ganz überwiegend die entstehende Unternehmung ansetzt.

Die Familienwirtschaften, die zu Unternehmungen werden, tragen
sehr lange Zeit noch überwiegend den Stempel der Haus- und Familienwirtschaft mit dem
Zweck der Eigenproduktion an sich; nur langsam knüpft sich je nach den Naturverhältnissen,
je nach den produzierten Früchten und Tieren, Geräten und Gegenständen ein Verkaufs-
geschäft, eine Überschußproduktion an sie an; aber letzteres bleibt Nebensache; die ganze
Organisation, die Wohnung, die Arbeitsstätten, die Sinnes- und Lebensweise der Betreffenden
bleibt die familienwirtschaftliche. Die Fischer und Zeidler, die Köhler und Salzsieder des
älteren Mittelalters haben früher und mehr zu verkaufen als der Bauer; aber alle leben
in erster Linie von den Erzeugnissen ihres Fleißes, stellen sich Wohnung, Kleidung und
Essen, ja die Mehrzahl der Werkzeuge selbst her. Auch der Handwerker, der Berg-
arbeiter, der Kaufmann hat vielfach noch lange in erster Linie eine agrarische Haus-
wirtschaft, seine anderweite Thätigkeit ist lange nur ein Anhängsel dieser. Aber doch
gelangt, der Natur dieser auf den Markt gerichteten Thätigkeiten entsprechend, das
"foro rerum venalium studere" nach und nach zu einer Bedeutung, die es beim Bauer
nicht hat, oder erst in unsern Tagen der vollendeten Geld- und Verkehrswirtschaft da
und dort bekommt. So lange der Kleinbauer, sei er Eigentümer, vertreibbarer Stellen-
inhaber oder Halbpächter, seine etwaigen Überschüsse in natura dem Grundherren abliefern
muß, kann das, was er zu Markt liefert, nicht viel sein; er hat darum auch wenig
Sinn für technischen Fortschritt, Kapitalbildung, Gewinn; hat er gelegentlich übriges
Geld, so legt er es in den Schrank oder kauft Land oder verspielt und vertrinkt es.
Muß er aber staatliche Geldsteuern aufbringen, entstehen Märkte, Verkehr, Geldwirtschaft
in seiner Nähe, so beginnt er doch, in steigendem Maße für den Verkauf zu produzieren;
zuerst und lange handelt es sich nur um einige Prozente seiner Früchte, die er verkauft,
heute können wir jedenfalls annehmen, daß es in Deutschland die Hälfte derselben,
vielfach auch mehr seien. Der heutige Bauer ist damit auch zum halben Unternehmer
geworden und kommt täglich mehr unter die Gewalt der Gesichtspunkte, die mit der
Unternehmung an sich gegeben sind. Am meisten der Gärtner, der vorstädtische, der
Tabaks-, der Gemüsebauer.

Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 27

Die Entwickelung der Familienwirtſchaft zur Unternehmung.
zwingt; ſie iſt ein Organ, das Herden-, Land-, Kapitalbeſitz zu ſammeln, zu verwalten,
von Geſchlecht zu Geſchlecht zu überliefern verſteht.

Aber ihre Hauswirtſchaft hat urſprünglich nur die eigene Verſorgung der Familie
zum Zweck, nicht eine Überſchußproduktion für den Markt; höchſtens ſo viel ſuchen die
Familien außer für den eigenen Bedarf zu ſchaffen, wie etwa für Gemeinde und Grund-
herren, für Kirche und Staat noch nötig iſt; denn an dieſe geſellſchaftlichen Verbände
muß die Familie Dienſte und Naturalabgaben liefern; ſo groß iſt ihre Hufe bemeſſen,
daß ſie das kann; und auch der größere Vieh- oder Landbeſitzer, der Grundherr, das
Kloſter, ſie haben in älterer Zeit nicht ſowohl eine Überſchußproduktion und Gewinn-
erzielung im Auge als eine ſo große Eigenproduktion, daß die lokalen Verwaltungs-
zwecke, die Zwecke einer militäriſchen, kirchlichen, ariſtokratiſchen Familienorganiſation,
die mit dem größeren Beſitz verbunden iſt, befriedigt werden, ſo und ſo viel Diener,
Ritter, Kloſterbrüder wie nötig, behauſt, geſpeiſt und ſonſt unterhalten werden können.

Die Haus- und Familienwirtſchaft der älteren Zeit iſt ſo keine Unter-
nehmung, es fehlt ihr die Geſchäftsſeite, die Verbindung mit dem Markt; ihr Zweck
iſt nicht Gewinn, ſondern Unterhalt. Aber ſie hat eine feſte, klare, leiſtungsfähige
Organiſation, ſie bildet eine Arbeitsteilung aus; ſie lehrt die Menſchen, planvoll für
die Zukunft arbeiten und ſparen; ſie iſt ein ausgezeichnetes Mittel der Schulung und
Heranziehung jüngerer Arbeitskräfte; ſie hat in dem unbeſtrittenen Kommando des
Familienvaters das einfachſte Mittel, mehrere, ja viele ohne Reibung zuſammen wirken
und die Fähigkeiten des Befehlenden zu vollſtem Effekt gelangen zu laſſen. Sie iſt
hierin der Arbeitsgenoſſenſchaft unendlich überlegen. Und deshalb wird ſie für Jahr-
hunderte und Jahrtauſende nicht bloß das Organ der menſchlichen Fortpflanzung, des
Wohnens und des Haushalts, des ſittlichen Lebens, ſondern auch der Keimpunkt, an
den ſich ganz überwiegend die entſtehende Unternehmung anſetzt.

Die Familienwirtſchaften, die zu Unternehmungen werden, tragen
ſehr lange Zeit noch überwiegend den Stempel der Haus- und Familienwirtſchaft mit dem
Zweck der Eigenproduktion an ſich; nur langſam knüpft ſich je nach den Naturverhältniſſen,
je nach den produzierten Früchten und Tieren, Geräten und Gegenſtänden ein Verkaufs-
geſchäft, eine Überſchußproduktion an ſie an; aber letzteres bleibt Nebenſache; die ganze
Organiſation, die Wohnung, die Arbeitsſtätten, die Sinnes- und Lebensweiſe der Betreffenden
bleibt die familienwirtſchaftliche. Die Fiſcher und Zeidler, die Köhler und Salzſieder des
älteren Mittelalters haben früher und mehr zu verkaufen als der Bauer; aber alle leben
in erſter Linie von den Erzeugniſſen ihres Fleißes, ſtellen ſich Wohnung, Kleidung und
Eſſen, ja die Mehrzahl der Werkzeuge ſelbſt her. Auch der Handwerker, der Berg-
arbeiter, der Kaufmann hat vielfach noch lange in erſter Linie eine agrariſche Haus-
wirtſchaft, ſeine anderweite Thätigkeit iſt lange nur ein Anhängſel dieſer. Aber doch
gelangt, der Natur dieſer auf den Markt gerichteten Thätigkeiten entſprechend, das
„foro rerum venalium studere“ nach und nach zu einer Bedeutung, die es beim Bauer
nicht hat, oder erſt in unſern Tagen der vollendeten Geld- und Verkehrswirtſchaft da
und dort bekommt. So lange der Kleinbauer, ſei er Eigentümer, vertreibbarer Stellen-
inhaber oder Halbpächter, ſeine etwaigen Überſchüſſe in natura dem Grundherren abliefern
muß, kann das, was er zu Markt liefert, nicht viel ſein; er hat darum auch wenig
Sinn für techniſchen Fortſchritt, Kapitalbildung, Gewinn; hat er gelegentlich übriges
Geld, ſo legt er es in den Schrank oder kauft Land oder verſpielt und vertrinkt es.
Muß er aber ſtaatliche Geldſteuern aufbringen, entſtehen Märkte, Verkehr, Geldwirtſchaft
in ſeiner Nähe, ſo beginnt er doch, in ſteigendem Maße für den Verkauf zu produzieren;
zuerſt und lange handelt es ſich nur um einige Prozente ſeiner Früchte, die er verkauft,
heute können wir jedenfalls annehmen, daß es in Deutſchland die Hälfte derſelben,
vielfach auch mehr ſeien. Der heutige Bauer iſt damit auch zum halben Unternehmer
geworden und kommt täglich mehr unter die Gewalt der Geſichtspunkte, die mit der
Unternehmung an ſich gegeben ſind. Am meiſten der Gärtner, der vorſtädtiſche, der
Tabaks-, der Gemüſebauer.

Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 27
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[417/0433] Die Entwickelung der Familienwirtſchaft zur Unternehmung. zwingt; ſie iſt ein Organ, das Herden-, Land-, Kapitalbeſitz zu ſammeln, zu verwalten, von Geſchlecht zu Geſchlecht zu überliefern verſteht. Aber ihre Hauswirtſchaft hat urſprünglich nur die eigene Verſorgung der Familie zum Zweck, nicht eine Überſchußproduktion für den Markt; höchſtens ſo viel ſuchen die Familien außer für den eigenen Bedarf zu ſchaffen, wie etwa für Gemeinde und Grund- herren, für Kirche und Staat noch nötig iſt; denn an dieſe geſellſchaftlichen Verbände muß die Familie Dienſte und Naturalabgaben liefern; ſo groß iſt ihre Hufe bemeſſen, daß ſie das kann; und auch der größere Vieh- oder Landbeſitzer, der Grundherr, das Kloſter, ſie haben in älterer Zeit nicht ſowohl eine Überſchußproduktion und Gewinn- erzielung im Auge als eine ſo große Eigenproduktion, daß die lokalen Verwaltungs- zwecke, die Zwecke einer militäriſchen, kirchlichen, ariſtokratiſchen Familienorganiſation, die mit dem größeren Beſitz verbunden iſt, befriedigt werden, ſo und ſo viel Diener, Ritter, Kloſterbrüder wie nötig, behauſt, geſpeiſt und ſonſt unterhalten werden können. Die Haus- und Familienwirtſchaft der älteren Zeit iſt ſo keine Unter- nehmung, es fehlt ihr die Geſchäftsſeite, die Verbindung mit dem Markt; ihr Zweck iſt nicht Gewinn, ſondern Unterhalt. Aber ſie hat eine feſte, klare, leiſtungsfähige Organiſation, ſie bildet eine Arbeitsteilung aus; ſie lehrt die Menſchen, planvoll für die Zukunft arbeiten und ſparen; ſie iſt ein ausgezeichnetes Mittel der Schulung und Heranziehung jüngerer Arbeitskräfte; ſie hat in dem unbeſtrittenen Kommando des Familienvaters das einfachſte Mittel, mehrere, ja viele ohne Reibung zuſammen wirken und die Fähigkeiten des Befehlenden zu vollſtem Effekt gelangen zu laſſen. Sie iſt hierin der Arbeitsgenoſſenſchaft unendlich überlegen. Und deshalb wird ſie für Jahr- hunderte und Jahrtauſende nicht bloß das Organ der menſchlichen Fortpflanzung, des Wohnens und des Haushalts, des ſittlichen Lebens, ſondern auch der Keimpunkt, an den ſich ganz überwiegend die entſtehende Unternehmung anſetzt. Die Familienwirtſchaften, die zu Unternehmungen werden, tragen ſehr lange Zeit noch überwiegend den Stempel der Haus- und Familienwirtſchaft mit dem Zweck der Eigenproduktion an ſich; nur langſam knüpft ſich je nach den Naturverhältniſſen, je nach den produzierten Früchten und Tieren, Geräten und Gegenſtänden ein Verkaufs- geſchäft, eine Überſchußproduktion an ſie an; aber letzteres bleibt Nebenſache; die ganze Organiſation, die Wohnung, die Arbeitsſtätten, die Sinnes- und Lebensweiſe der Betreffenden bleibt die familienwirtſchaftliche. Die Fiſcher und Zeidler, die Köhler und Salzſieder des älteren Mittelalters haben früher und mehr zu verkaufen als der Bauer; aber alle leben in erſter Linie von den Erzeugniſſen ihres Fleißes, ſtellen ſich Wohnung, Kleidung und Eſſen, ja die Mehrzahl der Werkzeuge ſelbſt her. Auch der Handwerker, der Berg- arbeiter, der Kaufmann hat vielfach noch lange in erſter Linie eine agrariſche Haus- wirtſchaft, ſeine anderweite Thätigkeit iſt lange nur ein Anhängſel dieſer. Aber doch gelangt, der Natur dieſer auf den Markt gerichteten Thätigkeiten entſprechend, das „foro rerum venalium studere“ nach und nach zu einer Bedeutung, die es beim Bauer nicht hat, oder erſt in unſern Tagen der vollendeten Geld- und Verkehrswirtſchaft da und dort bekommt. So lange der Kleinbauer, ſei er Eigentümer, vertreibbarer Stellen- inhaber oder Halbpächter, ſeine etwaigen Überſchüſſe in natura dem Grundherren abliefern muß, kann das, was er zu Markt liefert, nicht viel ſein; er hat darum auch wenig Sinn für techniſchen Fortſchritt, Kapitalbildung, Gewinn; hat er gelegentlich übriges Geld, ſo legt er es in den Schrank oder kauft Land oder verſpielt und vertrinkt es. Muß er aber ſtaatliche Geldſteuern aufbringen, entſtehen Märkte, Verkehr, Geldwirtſchaft in ſeiner Nähe, ſo beginnt er doch, in ſteigendem Maße für den Verkauf zu produzieren; zuerſt und lange handelt es ſich nur um einige Prozente ſeiner Früchte, die er verkauft, heute können wir jedenfalls annehmen, daß es in Deutſchland die Hälfte derſelben, vielfach auch mehr ſeien. Der heutige Bauer iſt damit auch zum halben Unternehmer geworden und kommt täglich mehr unter die Gewalt der Geſichtspunkte, die mit der Unternehmung an ſich gegeben ſind. Am meiſten der Gärtner, der vorſtädtiſche, der Tabaks-, der Gemüſebauer. Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 27

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/433>, abgerufen am 29.03.2024.