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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Rückgang der Hausindustrie. Entstehung und Wesen des Großbetriebes.

Das ganze Mittelalter war von Ähnlichem weit entfernt, wenn auch auf einzelnen
Fronhöfen und in manchen Klöstern Werk- und Arbeitshäuser mit einem Dutzend Arbeiter
und mehr sich fanden. Einzelne größere Handels- und Bankhäuser haben sich dann
zuerst in Italien, später im Norden gebildet. Aber im ganzen blieb der kleine, von
der Familienwirtschaft beherrschte agrarische, gewerbliche, Handelsbetrieb vorherrschend
bis in die letzten Generationen; Technik und Absatz, Sitte und Recht forderten es so
und ließen lange anderes nicht recht zu. Doch entstehen mit der Renaissancezeit in
den großen italienischen Kommunen neben Handwerk und Hausindustrie große gewerb-
liche, da und dort beginnen im Norden die größeren Gutsbetriebe; vollends Handel,
Schiffahrt, Bankwesen konzentrieren sich relativ früh; die kleinen Salzkoten und Erz-
gruben verschmelzen zu größeren; größere Hüttenwerke entstehen (S. 210). Die Italiener,
Franzosen, Holländer bringen mit ihren Wanderungen auch die neuen Formen des
Geschäftsbetriebes nach den Ländern ihrer Einwanderung. Im 18. Jahrhundert treffen
wir in den europäischen Kulturstaaten da und dort schon große Geschäfte mit 10, 50,
ja über 100 Arbeitern, zumal in neuen bisher unzünftigen Zweigen der Industrie;
man fördert sie durch Konzessionen und Privilegien, teilweise liegen sie in der Hand
des Staates; sie erscheinen als eine höhere Form des wirtschaftlichen Lebens.

Aber doch erst im Laufe unseres Jahrhunderts, und hauptsächlich seit 1850 hat
der Großbetrieb eine erheblichere Verbreitung in Westeuropa und den Vereinigten
Staaten gefunden. Auch heute noch beschränkt er sich wesentlich auf bestimmte Geschäfts-
branchen: Bank-, Verkehrs-, Versicherungswesen, Bergwerke und Hütten, Spinnerei,
Maschinenindustrie, chemische, Papier-, Zuckerindustrie, einzelne Handels- und Land-
wirtschaftszweige; aber die Tendenzen erstrecken sich viel weiter, dringen auch in Tausende
kleiner und mittlerer Geschäfte ein; es sind die Tendenzen der spekulativen Markt-, Kurs-
und Kapitalausnutzung und der Kraftsteigerung durch möglichst geschickte Kombination
der Arbeitskräfte mit vollendeter Technik, mit Kraft- und Arbeitsmaschinen; erstere
gelangen im Bankgeschäft, diese in der Fabrik zum vollendetsten Ausdruck.

Wir können so die moderne Geschäftsunternehmung, welche im Groß-
betrieb
gewöhnlich ihre Natur am prägnantesten ausbildet, definieren als die selbständige,
von der Familienwirtschaft der Unternehmer, Beamten und Arbeiter äußerlich, lokal los-
gelöste Geschäftsanstalt, welche nach rein kaufmännischen und technischen Gesichtspunkten
angelegt und betrieben, in der Hand des das Kapital beschaffenden oder besitzenden Unter-
nehmers mit Hülfe geldgelohnter Beamter, Commis, Techniker und Arbeiter einen Zweig
des Handels oder der Produktion auf ihre Gefahr übernimmt, für den großen Markt,
oft einen nationalen und internationalen, arbeitet, aber in erster Linie einen Gewinn
machen will. Sie unterscheidet sich von dem mit einer Hauswirtschaft verbundenen
landwirtschaftlichen Betriebe, wie vom handwerks- und hausindustriellen Geschäft eben
durch die Vorherrschaft der rein geschäftlichen Tendenzen; sie will nicht Familienglieder
und Kinder versorgen, sondern nur Gewinn erzielen; die Geschäftszwecke sind hier Selbst-
zweck geworden, und darum ist hier die räumliche und bauliche Anordnung, die Kapital-,
die Maschinenanwendung, die Technik, die Menschenbehandlung, die Organisation des
Absatzes rein und unbehindert, zielbewußt und folgerichtig. Es konnte mit dieser
Betriebsform erst eine gleichsam wirtschaftlich vollendete Produktion, ein virtuos
ausgebildeter Handel entstehen. Das ist die weltgeschichtliche Bedeutung der modernen
Geschäftsunternehmung, wie sie auch vom Socialismus anerkannt wird. Nicht die Zahl
der beschäftigten Personen bestimmt ihre Natur, sondern die in ihr lebenden
Tendenzen, ihre Struktur, ihre Art, die Beschäftigten zu behandeln und zu verbinden,
ihr Verhältnis zur übrigen Volkswirtschaft und zum Familienleben. Manche Geschäfte
von 6--20 Personen gehören dazu, jedenfalls aber die, welche regelmäßig über 50
beschäftigen.

Die Entstehung solcher Betriebe hing von folgenden Vorbedingungen ab:
a) ein entwickeltes Verkehrswesen und größere Staaten, eine glückliche Handels- und
Kolonialpolitik mußte große, leicht zugängliche Märkte geschaffen haben; die inneren
Schranken des Verkehrs und der Konkurrenz, wie sie in dem älteren Stadt-, Markt-

Rückgang der Hausinduſtrie. Entſtehung und Weſen des Großbetriebes.

Das ganze Mittelalter war von Ähnlichem weit entfernt, wenn auch auf einzelnen
Fronhöfen und in manchen Klöſtern Werk- und Arbeitshäuſer mit einem Dutzend Arbeiter
und mehr ſich fanden. Einzelne größere Handels- und Bankhäuſer haben ſich dann
zuerſt in Italien, ſpäter im Norden gebildet. Aber im ganzen blieb der kleine, von
der Familienwirtſchaft beherrſchte agrariſche, gewerbliche, Handelsbetrieb vorherrſchend
bis in die letzten Generationen; Technik und Abſatz, Sitte und Recht forderten es ſo
und ließen lange anderes nicht recht zu. Doch entſtehen mit der Renaiſſancezeit in
den großen italieniſchen Kommunen neben Handwerk und Hausinduſtrie große gewerb-
liche, da und dort beginnen im Norden die größeren Gutsbetriebe; vollends Handel,
Schiffahrt, Bankweſen konzentrieren ſich relativ früh; die kleinen Salzkoten und Erz-
gruben verſchmelzen zu größeren; größere Hüttenwerke entſtehen (S. 210). Die Italiener,
Franzoſen, Holländer bringen mit ihren Wanderungen auch die neuen Formen des
Geſchäftsbetriebes nach den Ländern ihrer Einwanderung. Im 18. Jahrhundert treffen
wir in den europäiſchen Kulturſtaaten da und dort ſchon große Geſchäfte mit 10, 50,
ja über 100 Arbeitern, zumal in neuen bisher unzünftigen Zweigen der Induſtrie;
man fördert ſie durch Konzeſſionen und Privilegien, teilweiſe liegen ſie in der Hand
des Staates; ſie erſcheinen als eine höhere Form des wirtſchaftlichen Lebens.

Aber doch erſt im Laufe unſeres Jahrhunderts, und hauptſächlich ſeit 1850 hat
der Großbetrieb eine erheblichere Verbreitung in Weſteuropa und den Vereinigten
Staaten gefunden. Auch heute noch beſchränkt er ſich weſentlich auf beſtimmte Geſchäfts-
branchen: Bank-, Verkehrs-, Verſicherungsweſen, Bergwerke und Hütten, Spinnerei,
Maſchineninduſtrie, chemiſche, Papier-, Zuckerinduſtrie, einzelne Handels- und Land-
wirtſchaftszweige; aber die Tendenzen erſtrecken ſich viel weiter, dringen auch in Tauſende
kleiner und mittlerer Geſchäfte ein; es ſind die Tendenzen der ſpekulativen Markt-, Kurs-
und Kapitalausnutzung und der Kraftſteigerung durch möglichſt geſchickte Kombination
der Arbeitskräfte mit vollendeter Technik, mit Kraft- und Arbeitsmaſchinen; erſtere
gelangen im Bankgeſchäft, dieſe in der Fabrik zum vollendetſten Ausdruck.

Wir können ſo die moderne Geſchäftsunternehmung, welche im Groß-
betrieb
gewöhnlich ihre Natur am prägnanteſten ausbildet, definieren als die ſelbſtändige,
von der Familienwirtſchaft der Unternehmer, Beamten und Arbeiter äußerlich, lokal los-
gelöſte Geſchäftsanſtalt, welche nach rein kaufmänniſchen und techniſchen Geſichtspunkten
angelegt und betrieben, in der Hand des das Kapital beſchaffenden oder beſitzenden Unter-
nehmers mit Hülfe geldgelohnter Beamter, Commis, Techniker und Arbeiter einen Zweig
des Handels oder der Produktion auf ihre Gefahr übernimmt, für den großen Markt,
oft einen nationalen und internationalen, arbeitet, aber in erſter Linie einen Gewinn
machen will. Sie unterſcheidet ſich von dem mit einer Hauswirtſchaft verbundenen
landwirtſchaftlichen Betriebe, wie vom handwerks- und hausinduſtriellen Geſchäft eben
durch die Vorherrſchaft der rein geſchäftlichen Tendenzen; ſie will nicht Familienglieder
und Kinder verſorgen, ſondern nur Gewinn erzielen; die Geſchäftszwecke ſind hier Selbſt-
zweck geworden, und darum iſt hier die räumliche und bauliche Anordnung, die Kapital-,
die Maſchinenanwendung, die Technik, die Menſchenbehandlung, die Organiſation des
Abſatzes rein und unbehindert, zielbewußt und folgerichtig. Es konnte mit dieſer
Betriebsform erſt eine gleichſam wirtſchaftlich vollendete Produktion, ein virtuos
ausgebildeter Handel entſtehen. Das iſt die weltgeſchichtliche Bedeutung der modernen
Geſchäftsunternehmung, wie ſie auch vom Socialismus anerkannt wird. Nicht die Zahl
der beſchäftigten Perſonen beſtimmt ihre Natur, ſondern die in ihr lebenden
Tendenzen, ihre Struktur, ihre Art, die Beſchäftigten zu behandeln und zu verbinden,
ihr Verhältnis zur übrigen Volkswirtſchaft und zum Familienleben. Manche Geſchäfte
von 6—20 Perſonen gehören dazu, jedenfalls aber die, welche regelmäßig über 50
beſchäftigen.

Die Entſtehung ſolcher Betriebe hing von folgenden Vorbedingungen ab:
a) ein entwickeltes Verkehrsweſen und größere Staaten, eine glückliche Handels- und
Kolonialpolitik mußte große, leicht zugängliche Märkte geſchaffen haben; die inneren
Schranken des Verkehrs und der Konkurrenz, wie ſie in dem älteren Stadt-, Markt-

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[429/0445] Rückgang der Hausinduſtrie. Entſtehung und Weſen des Großbetriebes. Das ganze Mittelalter war von Ähnlichem weit entfernt, wenn auch auf einzelnen Fronhöfen und in manchen Klöſtern Werk- und Arbeitshäuſer mit einem Dutzend Arbeiter und mehr ſich fanden. Einzelne größere Handels- und Bankhäuſer haben ſich dann zuerſt in Italien, ſpäter im Norden gebildet. Aber im ganzen blieb der kleine, von der Familienwirtſchaft beherrſchte agrariſche, gewerbliche, Handelsbetrieb vorherrſchend bis in die letzten Generationen; Technik und Abſatz, Sitte und Recht forderten es ſo und ließen lange anderes nicht recht zu. Doch entſtehen mit der Renaiſſancezeit in den großen italieniſchen Kommunen neben Handwerk und Hausinduſtrie große gewerb- liche, da und dort beginnen im Norden die größeren Gutsbetriebe; vollends Handel, Schiffahrt, Bankweſen konzentrieren ſich relativ früh; die kleinen Salzkoten und Erz- gruben verſchmelzen zu größeren; größere Hüttenwerke entſtehen (S. 210). Die Italiener, Franzoſen, Holländer bringen mit ihren Wanderungen auch die neuen Formen des Geſchäftsbetriebes nach den Ländern ihrer Einwanderung. Im 18. Jahrhundert treffen wir in den europäiſchen Kulturſtaaten da und dort ſchon große Geſchäfte mit 10, 50, ja über 100 Arbeitern, zumal in neuen bisher unzünftigen Zweigen der Induſtrie; man fördert ſie durch Konzeſſionen und Privilegien, teilweiſe liegen ſie in der Hand des Staates; ſie erſcheinen als eine höhere Form des wirtſchaftlichen Lebens. Aber doch erſt im Laufe unſeres Jahrhunderts, und hauptſächlich ſeit 1850 hat der Großbetrieb eine erheblichere Verbreitung in Weſteuropa und den Vereinigten Staaten gefunden. Auch heute noch beſchränkt er ſich weſentlich auf beſtimmte Geſchäfts- branchen: Bank-, Verkehrs-, Verſicherungsweſen, Bergwerke und Hütten, Spinnerei, Maſchineninduſtrie, chemiſche, Papier-, Zuckerinduſtrie, einzelne Handels- und Land- wirtſchaftszweige; aber die Tendenzen erſtrecken ſich viel weiter, dringen auch in Tauſende kleiner und mittlerer Geſchäfte ein; es ſind die Tendenzen der ſpekulativen Markt-, Kurs- und Kapitalausnutzung und der Kraftſteigerung durch möglichſt geſchickte Kombination der Arbeitskräfte mit vollendeter Technik, mit Kraft- und Arbeitsmaſchinen; erſtere gelangen im Bankgeſchäft, dieſe in der Fabrik zum vollendetſten Ausdruck. Wir können ſo die moderne Geſchäftsunternehmung, welche im Groß- betrieb gewöhnlich ihre Natur am prägnanteſten ausbildet, definieren als die ſelbſtändige, von der Familienwirtſchaft der Unternehmer, Beamten und Arbeiter äußerlich, lokal los- gelöſte Geſchäftsanſtalt, welche nach rein kaufmänniſchen und techniſchen Geſichtspunkten angelegt und betrieben, in der Hand des das Kapital beſchaffenden oder beſitzenden Unter- nehmers mit Hülfe geldgelohnter Beamter, Commis, Techniker und Arbeiter einen Zweig des Handels oder der Produktion auf ihre Gefahr übernimmt, für den großen Markt, oft einen nationalen und internationalen, arbeitet, aber in erſter Linie einen Gewinn machen will. Sie unterſcheidet ſich von dem mit einer Hauswirtſchaft verbundenen landwirtſchaftlichen Betriebe, wie vom handwerks- und hausinduſtriellen Geſchäft eben durch die Vorherrſchaft der rein geſchäftlichen Tendenzen; ſie will nicht Familienglieder und Kinder verſorgen, ſondern nur Gewinn erzielen; die Geſchäftszwecke ſind hier Selbſt- zweck geworden, und darum iſt hier die räumliche und bauliche Anordnung, die Kapital-, die Maſchinenanwendung, die Technik, die Menſchenbehandlung, die Organiſation des Abſatzes rein und unbehindert, zielbewußt und folgerichtig. Es konnte mit dieſer Betriebsform erſt eine gleichſam wirtſchaftlich vollendete Produktion, ein virtuos ausgebildeter Handel entſtehen. Das iſt die weltgeſchichtliche Bedeutung der modernen Geſchäftsunternehmung, wie ſie auch vom Socialismus anerkannt wird. Nicht die Zahl der beſchäftigten Perſonen beſtimmt ihre Natur, ſondern die in ihr lebenden Tendenzen, ihre Struktur, ihre Art, die Beſchäftigten zu behandeln und zu verbinden, ihr Verhältnis zur übrigen Volkswirtſchaft und zum Familienleben. Manche Geſchäfte von 6—20 Perſonen gehören dazu, jedenfalls aber die, welche regelmäßig über 50 beſchäftigen. Die Entſtehung ſolcher Betriebe hing von folgenden Vorbedingungen ab: a) ein entwickeltes Verkehrsweſen und größere Staaten, eine glückliche Handels- und Kolonialpolitik mußte große, leicht zugängliche Märkte geſchaffen haben; die inneren Schranken des Verkehrs und der Konkurrenz, wie ſie in dem älteren Stadt-, Markt-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/445>, abgerufen am 19.04.2024.