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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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Vorliebe zuwenden und nun auch mit großer logischer Schärfe deshalb
nichts Wertvolles erreichen, weil der beste und schärfste Mühlstein aus
Spreu kein vollwertiges Weizenmehl machen kann.

XI.
DIE URSACHEN

Beobachten und Beschreiben, Definieren und Klassifizieren sind die
vorbereitenden Tätigkeiten. Was wir aber damit erreichen wollen, ist
eine Erkenntnis des Zusammenhanges der volkswirtschaftlichen Er-
scheinungen; wir wollen wissen, was stets zugleich vorkomme, welche
Erscheinungen sich stets folgen, wir wollen das Gemeinsame im Vie-
len erkennen, eine Einsicht in die Notwendigkeit der Erscheinungen
bekommen.

Diese Einsicht kann keine vollkommene sein. Das komplizierte Neben-
einander des Seienden geht auf frühere Kombinationen, auf letzte un-
erforschliche Ursachen zurück; und auch die Folge der uns nahe-
liegenden einzelnen Erscheinungen ist keineswegs immer eine erklär-
bare. Aber immerhin, je mehr wir uns darauf beschränken, das ein-
zelne aus dem unmittelbar Vorhergehenden zu deuten, desto mehr ge-
lingt uns das. Und jedenfalls steht uns als Ideal des Erkennens die Erklä-
rung aus Ursachen vor Augen. Die Naturwissenschaften haben uns ge-
wöhnt, alles Folgende aufzufassen als bedingt durch Ursachen, die wir
uns als Kräfte vorstellen. Die Welt der Erscheinungen ist uns zu einem
Prozeß geworden, der nirgend Zufall und Willkür, überall zureichende
Ursachen zeigt. Dabei handelt es sich, je komplizierter die Erschei-
nungen sind, desto häufiger nicht um eine Ursache, sondern um eine
Summe von Zuständen und Bedingungen, welche in ihrem einheit-
lichen Zusammentreffen eine bestimmte Folge haben; fehlt nur eine, so
tritt die Folge nicht ein; der vulgäre Sprachgebrauch nennt das mo-
mentane Ereignis, das zuletzt hinzutrat, Ursache, die vorhergehenden,
länger dauernden der mitwirkenden Zustände Bedingungen. Dabei ist
die Folge zwar sachlich, aber nicht logisch in der Ursache enthalten,
sie ist aus ihr nicht reduzierbar, sie ist häufig etwas ganz Neues; den
Zusammenhang stellen wir eben erst durch die Erfahrung fest. Und
nicht jedes regelmäßig Vorhergehende ist Ursache der Folge, wie die
Nacht nicht die Ursache des Tages ist, der Schutzzoll dieses oder jenes
Landes nicht notwendig die Ursache seines Wohlstandes. Nur einen
vorhergehenden Zustand, der unbedingt auf die Erzeugung einer be-
stimmten Folge hinwirkt, bezeichnen wir als Ursache10.

Als Ursachen der volkswirtschaftlichen Erscheinungen stehen sich nun

Vorliebe zuwenden und nun auch mit großer logischer Schärfe deshalb
nichts Wertvolles erreichen, weil der beste und schärfste Mühlstein aus
Spreu kein vollwertiges Weizenmehl machen kann.

XI.
DIE URSACHEN

Beobachten und Beschreiben, Definieren und Klassifizieren sind die
vorbereitenden Tätigkeiten. Was wir aber damit erreichen wollen, ist
eine Erkenntnis des Zusammenhanges der volkswirtschaftlichen Er-
scheinungen; wir wollen wissen, was stets zugleich vorkomme, welche
Erscheinungen sich stets folgen, wir wollen das Gemeinsame im Vie-
len erkennen, eine Einsicht in die Notwendigkeit der Erscheinungen
bekommen.

Diese Einsicht kann keine vollkommene sein. Das komplizierte Neben-
einander des Seienden geht auf frühere Kombinationen, auf letzte un-
erforschliche Ursachen zurück; und auch die Folge der uns nahe-
liegenden einzelnen Erscheinungen ist keineswegs immer eine erklär-
bare. Aber immerhin, je mehr wir uns darauf beschränken, das ein-
zelne aus dem unmittelbar Vorhergehenden zu deuten, desto mehr ge-
lingt uns das. Und jedenfalls steht uns als Ideal des Erkennens die Erklä-
rung aus Ursachen vor Augen. Die Naturwissenschaften haben uns ge-
wöhnt, alles Folgende aufzufassen als bedingt durch Ursachen, die wir
uns als Kräfte vorstellen. Die Welt der Erscheinungen ist uns zu einem
Prozeß geworden, der nirgend Zufall und Willkür, überall zureichende
Ursachen zeigt. Dabei handelt es sich, je komplizierter die Erschei-
nungen sind, desto häufiger nicht um eine Ursache, sondern um eine
Summe von Zuständen und Bedingungen, welche in ihrem einheit-
lichen Zusammentreffen eine bestimmte Folge haben; fehlt nur eine, so
tritt die Folge nicht ein; der vulgäre Sprachgebrauch nennt das mo-
mentane Ereignis, das zuletzt hinzutrat, Ursache, die vorhergehenden,
länger dauernden der mitwirkenden Zustände Bedingungen. Dabei ist
die Folge zwar sachlich, aber nicht logisch in der Ursache enthalten,
sie ist aus ihr nicht reduzierbar, sie ist häufig etwas ganz Neues; den
Zusammenhang stellen wir eben erst durch die Erfahrung fest. Und
nicht jedes regelmäßig Vorhergehende ist Ursache der Folge, wie die
Nacht nicht die Ursache des Tages ist, der Schutzzoll dieses oder jenes
Landes nicht notwendig die Ursache seines Wohlstandes. Nur einen
vorhergehenden Zustand, der unbedingt auf die Erzeugung einer be-
stimmten Folge hinwirkt, bezeichnen wir als Ursache10.

Als Ursachen der volkswirtschaftlichen Erscheinungen stehen sich nun

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[50/0054] Vorliebe zuwenden und nun auch mit großer logischer Schärfe deshalb nichts Wertvolles erreichen, weil der beste und schärfste Mühlstein aus Spreu kein vollwertiges Weizenmehl machen kann. XI. DIE URSACHEN Beobachten und Beschreiben, Definieren und Klassifizieren sind die vorbereitenden Tätigkeiten. Was wir aber damit erreichen wollen, ist eine Erkenntnis des Zusammenhanges der volkswirtschaftlichen Er- scheinungen; wir wollen wissen, was stets zugleich vorkomme, welche Erscheinungen sich stets folgen, wir wollen das Gemeinsame im Vie- len erkennen, eine Einsicht in die Notwendigkeit der Erscheinungen bekommen. Diese Einsicht kann keine vollkommene sein. Das komplizierte Neben- einander des Seienden geht auf frühere Kombinationen, auf letzte un- erforschliche Ursachen zurück; und auch die Folge der uns nahe- liegenden einzelnen Erscheinungen ist keineswegs immer eine erklär- bare. Aber immerhin, je mehr wir uns darauf beschränken, das ein- zelne aus dem unmittelbar Vorhergehenden zu deuten, desto mehr ge- lingt uns das. Und jedenfalls steht uns als Ideal des Erkennens die Erklä- rung aus Ursachen vor Augen. Die Naturwissenschaften haben uns ge- wöhnt, alles Folgende aufzufassen als bedingt durch Ursachen, die wir uns als Kräfte vorstellen. Die Welt der Erscheinungen ist uns zu einem Prozeß geworden, der nirgend Zufall und Willkür, überall zureichende Ursachen zeigt. Dabei handelt es sich, je komplizierter die Erschei- nungen sind, desto häufiger nicht um eine Ursache, sondern um eine Summe von Zuständen und Bedingungen, welche in ihrem einheit- lichen Zusammentreffen eine bestimmte Folge haben; fehlt nur eine, so tritt die Folge nicht ein; der vulgäre Sprachgebrauch nennt das mo- mentane Ereignis, das zuletzt hinzutrat, Ursache, die vorhergehenden, länger dauernden der mitwirkenden Zustände Bedingungen. Dabei ist die Folge zwar sachlich, aber nicht logisch in der Ursache enthalten, sie ist aus ihr nicht reduzierbar, sie ist häufig etwas ganz Neues; den Zusammenhang stellen wir eben erst durch die Erfahrung fest. Und nicht jedes regelmäßig Vorhergehende ist Ursache der Folge, wie die Nacht nicht die Ursache des Tages ist, der Schutzzoll dieses oder jenes Landes nicht notwendig die Ursache seines Wohlstandes. Nur einen vorhergehenden Zustand, der unbedingt auf die Erzeugung einer be- stimmten Folge hinwirkt, bezeichnen wir als Ursache10. Als Ursachen der volkswirtschaftlichen Erscheinungen stehen sich nun

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/54>, abgerufen am 28.03.2024.