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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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will, als eine eigentümliche Art der Illustration von Bekannten, auf
einer Verkennung der Natur volkswirtschaftlicher Erscheinungen und
ihrer Ursachen. Die Konstruktionen und Formeln verwenden Ele-
mente, die alle in Wirklichkeit nicht bestimmbar, einer Messung nicht
fähig sind, und erwecken durch Einsetzung von fiktiven Größen für
psychische Ursachen und unmeßbare Marktverhältnisse den Schein
einer Exaktheit, die nicht besteht.

XII.
DIE INDUKTIVE UND DIE DEDUKTIVE METHODE

Wie kommen wir nun aber zur Erkenntnis der einzelnen Ursachen?
Wenn B dem A regelmäßig in dem Gange der Erscheinungen folgt,
so verknüpfen sie sich als Ideenassoziation in unserer Einbildungs-
kraft; sobald ich etwas Gleiches oder Ähnliches wie B sehe, denke ich
an A, forsche nach, ob es vorhanden war. Und wenn ich eine Reibe
solcher Sequenzen richtig beobachtet habe, so nötigt mich "ein mäch-
tiger, überall wirksamer Trieb zur Generalisation", wie Sigwart sagt,
die Verbindung für eine konstante zu halten; und wenn ich zur
festen Überzeugung von dem gleichmäßigen Gange der Erscheinungen
gelangt bin, so erkläre ich A für die Ursache von B, sobald ich A und
zwar A allein für das unbedingte und notwendige Antecedens halte.
Natürlich ist dabei die Ideenassoziation nur der Ausdruck für die
innere Zusammengehörigkeit, für die Tatsache, daß, wie Höffding
sagt, A und B Glieder desselben Prozesses, Teile derselben Totalität
sind. Das Kausalprinzip geht so nach Höffding auf das Prinzip der
Identität zurück. Das immer und notwendig in der Folge Verbundene
behandeln wir als Ursache und Wirkung. Unser Geist ist beruhigt,
wenn er die einzelne Erfahrung als einen Fall einer allgemeinen
Regel ansehen kann; er muß sich stets solche Regeln konstruieren,
die in dem Maße wahrer werden, als sie auf vollendeterer Beobach-
tung ruhen und als sie weiter angewendet in der aufgestellten Form
und Begrenzung immer wieder als wahr sich herausstellen.

Dies nennen wir das induktive Verfahren; es geht vom einzelnen aus,
von der Beobachtung und sucht dazu die Regel, die das Beobachtete
erklärt, die von einer Klasse von Erscheinungen das für wahr erklärt,
was von den beobachteten Fällen wahr ist. Je komplizierter eine Er-
scheinung ist und je unvollkommener noch unsere Beobachtung zumal
solcher zusammengesetzter Gegenstände, welche von einer Summe der
verschiedenartigsten Ursachen abhängen, desto schwieriger ist das
Geschäft, die rechte Regel zu finden, desto häufiger kommen wir nur

will, als eine eigentümliche Art der Illustration von Bekannten, auf
einer Verkennung der Natur volkswirtschaftlicher Erscheinungen und
ihrer Ursachen. Die Konstruktionen und Formeln verwenden Ele-
mente, die alle in Wirklichkeit nicht bestimmbar, einer Messung nicht
fähig sind, und erwecken durch Einsetzung von fiktiven Größen für
psychische Ursachen und unmeßbare Marktverhältnisse den Schein
einer Exaktheit, die nicht besteht.

XII.
DIE INDUKTIVE UND DIE DEDUKTIVE METHODE

Wie kommen wir nun aber zur Erkenntnis der einzelnen Ursachen?
Wenn B dem A regelmäßig in dem Gange der Erscheinungen folgt,
so verknüpfen sie sich als Ideenassoziation in unserer Einbildungs-
kraft; sobald ich etwas Gleiches oder Ähnliches wie B sehe, denke ich
an A, forsche nach, ob es vorhanden war. Und wenn ich eine Reibe
solcher Sequenzen richtig beobachtet habe, so nötigt mich „ein mäch-
tiger, überall wirksamer Trieb zur Generalisation“, wie Sigwart sagt,
die Verbindung für eine konstante zu halten; und wenn ich zur
festen Überzeugung von dem gleichmäßigen Gange der Erscheinungen
gelangt bin, so erkläre ich A für die Ursache von B, sobald ich A und
zwar A allein für das unbedingte und notwendige Antecedens halte.
Natürlich ist dabei die Ideenassoziation nur der Ausdruck für die
innere Zusammengehörigkeit, für die Tatsache, daß, wie Höffding
sagt, A und B Glieder desselben Prozesses, Teile derselben Totalität
sind. Das Kausalprinzip geht so nach Höffding auf das Prinzip der
Identität zurück. Das immer und notwendig in der Folge Verbundene
behandeln wir als Ursache und Wirkung. Unser Geist ist beruhigt,
wenn er die einzelne Erfahrung als einen Fall einer allgemeinen
Regel ansehen kann; er muß sich stets solche Regeln konstruieren,
die in dem Maße wahrer werden, als sie auf vollendeterer Beobach-
tung ruhen und als sie weiter angewendet in der aufgestellten Form
und Begrenzung immer wieder als wahr sich herausstellen.

Dies nennen wir das induktive Verfahren; es geht vom einzelnen aus,
von der Beobachtung und sucht dazu die Regel, die das Beobachtete
erklärt, die von einer Klasse von Erscheinungen das für wahr erklärt,
was von den beobachteten Fällen wahr ist. Je komplizierter eine Er-
scheinung ist und je unvollkommener noch unsere Beobachtung zumal
solcher zusammengesetzter Gegenstände, welche von einer Summe der
verschiedenartigsten Ursachen abhängen, desto schwieriger ist das
Geschäft, die rechte Regel zu finden, desto häufiger kommen wir nur

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[60/0064] will, als eine eigentümliche Art der Illustration von Bekannten, auf einer Verkennung der Natur volkswirtschaftlicher Erscheinungen und ihrer Ursachen. Die Konstruktionen und Formeln verwenden Ele- mente, die alle in Wirklichkeit nicht bestimmbar, einer Messung nicht fähig sind, und erwecken durch Einsetzung von fiktiven Größen für psychische Ursachen und unmeßbare Marktverhältnisse den Schein einer Exaktheit, die nicht besteht. XII. DIE INDUKTIVE UND DIE DEDUKTIVE METHODE Wie kommen wir nun aber zur Erkenntnis der einzelnen Ursachen? Wenn B dem A regelmäßig in dem Gange der Erscheinungen folgt, so verknüpfen sie sich als Ideenassoziation in unserer Einbildungs- kraft; sobald ich etwas Gleiches oder Ähnliches wie B sehe, denke ich an A, forsche nach, ob es vorhanden war. Und wenn ich eine Reibe solcher Sequenzen richtig beobachtet habe, so nötigt mich „ein mäch- tiger, überall wirksamer Trieb zur Generalisation“, wie Sigwart sagt, die Verbindung für eine konstante zu halten; und wenn ich zur festen Überzeugung von dem gleichmäßigen Gange der Erscheinungen gelangt bin, so erkläre ich A für die Ursache von B, sobald ich A und zwar A allein für das unbedingte und notwendige Antecedens halte. Natürlich ist dabei die Ideenassoziation nur der Ausdruck für die innere Zusammengehörigkeit, für die Tatsache, daß, wie Höffding sagt, A und B Glieder desselben Prozesses, Teile derselben Totalität sind. Das Kausalprinzip geht so nach Höffding auf das Prinzip der Identität zurück. Das immer und notwendig in der Folge Verbundene behandeln wir als Ursache und Wirkung. Unser Geist ist beruhigt, wenn er die einzelne Erfahrung als einen Fall einer allgemeinen Regel ansehen kann; er muß sich stets solche Regeln konstruieren, die in dem Maße wahrer werden, als sie auf vollendeterer Beobach- tung ruhen und als sie weiter angewendet in der aufgestellten Form und Begrenzung immer wieder als wahr sich herausstellen. Dies nennen wir das induktive Verfahren; es geht vom einzelnen aus, von der Beobachtung und sucht dazu die Regel, die das Beobachtete erklärt, die von einer Klasse von Erscheinungen das für wahr erklärt, was von den beobachteten Fällen wahr ist. Je komplizierter eine Er- scheinung ist und je unvollkommener noch unsere Beobachtung zumal solcher zusammengesetzter Gegenstände, welche von einer Summe der verschiedenartigsten Ursachen abhängen, desto schwieriger ist das Geschäft, die rechte Regel zu finden, desto häufiger kommen wir nur

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/64>, abgerufen am 23.04.2024.