Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

wie diese Methode weiter entwickelt und angewandt werden muß, um
das erstrebte Ziel einer Theorie nach historischer Methode zu erreichen,
und hat in seiner Krisenlehre ein Musterbeispiel dafür gegeben, wie
sich Tatsachensammlung und theoretische Analyse miteinander verbin-
den lassen. Joseph Schumpeter hat in seinem weit ausholenden Auf-
satz "Gustav v. Schmoller und die Probleme von heute" gezeigt, wie
Schmoller bestrebt gewesen ist, die Türen offen zu halten, um eine
Weiterentwicklung der Forschung nach historischer Methode zu er-
möglichen. So mag es zu verstehen sein, wenn Schmoller seine ver-
allgemeinernden Aussagen aufs vorsichtigste zu formulieren suchte,
eine Neigung, die bei Schmoller, je älter und je weiser er wurde, um
so stärker hervortritt. Das hat ihm den Vorwurf "eines müden rela-
tivistischen Historismus" eingebracht. Wie ungerechtfertigt das ist, zei-
gen am besten seine Aufsätze, die überhaupt Schmollers Denkart besser
erkennen lassen als sein Grundriß, in dem er vom Standpunkt seiner
Führerstellung aus sich eine reservierte Haltung auferlegen zu müssen
glaubte.

Heute ist mehr als ein Menschenalter vergangen, daß Schmoller in ho-
hem Alter starb (1917). Wir haben den geschichtlichen Abstand ge-
wonnen, ihm und seinem Werk gerecht zu werden. Er hat eine wissen-
schaftliche Bewegung eingeleitet, die nötig war, um die National-
ökonomie aus einem Zustand steriler Stagnation, in die sie geraten war,
zu erlösen und zu einer neuen Entwicklung hinüberzuführen. Als Re-
präsentant dieser Bewegung ist er in die Geschichte der volkswirtschaft-
lichen Lehrmeinungen eingegangen und als solcher wird er in ihr
seinen Platz behaupten. Abfallen die Schlacken, die sich im Streit der
Meinungen an seinem Namen gehängt haben. Was geblieben, um mit
Schumpeter zu sprechen, ist das Bild "eines selbstverleugnenden Die-
ners am ewig unserer Kraft entwachsenden Werke der Erfüllung,
achtunggebietend für Freund und Feind, unerhöhbar durch Lob, un-
verwundbar durch Tadel." Sk.


wie diese Methode weiter entwickelt und angewandt werden muß, um
das erstrebte Ziel einer Theorie nach historischer Methode zu erreichen,
und hat in seiner Krisenlehre ein Musterbeispiel dafür gegeben, wie
sich Tatsachensammlung und theoretische Analyse miteinander verbin-
den lassen. Joseph Schumpeter hat in seinem weit ausholenden Auf-
satz „Gustav v. Schmoller und die Probleme von heute“ gezeigt, wie
Schmoller bestrebt gewesen ist, die Türen offen zu halten, um eine
Weiterentwicklung der Forschung nach historischer Methode zu er-
möglichen. So mag es zu verstehen sein, wenn Schmoller seine ver-
allgemeinernden Aussagen aufs vorsichtigste zu formulieren suchte,
eine Neigung, die bei Schmoller, je älter und je weiser er wurde, um
so stärker hervortritt. Das hat ihm den Vorwurf „eines müden rela-
tivistischen Historismus“ eingebracht. Wie ungerechtfertigt das ist, zei-
gen am besten seine Aufsätze, die überhaupt Schmollers Denkart besser
erkennen lassen als sein Grundriß, in dem er vom Standpunkt seiner
Führerstellung aus sich eine reservierte Haltung auferlegen zu müssen
glaubte.

Heute ist mehr als ein Menschenalter vergangen, daß Schmoller in ho-
hem Alter starb (1917). Wir haben den geschichtlichen Abstand ge-
wonnen, ihm und seinem Werk gerecht zu werden. Er hat eine wissen-
schaftliche Bewegung eingeleitet, die nötig war, um die National-
ökonomie aus einem Zustand steriler Stagnation, in die sie geraten war,
zu erlösen und zu einer neuen Entwicklung hinüberzuführen. Als Re-
präsentant dieser Bewegung ist er in die Geschichte der volkswirtschaft-
lichen Lehrmeinungen eingegangen und als solcher wird er in ihr
seinen Platz behaupten. Abfallen die Schlacken, die sich im Streit der
Meinungen an seinem Namen gehängt haben. Was geblieben, um mit
Schumpeter zu sprechen, ist das Bild „eines selbstverleugnenden Die-
ners am ewig unserer Kraft entwachsenden Werke der Erfüllung,
achtunggebietend für Freund und Feind, unerhöhbar durch Lob, un-
verwundbar durch Tadel.“ Sk.


<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="8"/>
wie diese Methode weiter entwickelt und angewandt werden muß, um<lb/>
das erstrebte Ziel einer Theorie nach historischer Methode zu erreichen,<lb/>
und hat in seiner Krisenlehre ein Musterbeispiel dafür gegeben, wie<lb/>
sich Tatsachensammlung und theoretische Analyse miteinander verbin-<lb/>
den lassen. Joseph Schumpeter hat in seinem weit ausholenden Auf-<lb/>
satz &#x201E;Gustav v. Schmoller und die Probleme von heute&#x201C; gezeigt, wie<lb/>
Schmoller bestrebt gewesen ist, die Türen offen zu halten, um eine<lb/>
Weiterentwicklung der Forschung nach historischer Methode zu er-<lb/>
möglichen. So mag es zu verstehen sein, wenn Schmoller seine ver-<lb/>
allgemeinernden Aussagen aufs vorsichtigste zu formulieren suchte,<lb/>
eine Neigung, die bei Schmoller, je älter und je weiser er wurde, um<lb/>
so stärker hervortritt. Das hat ihm den Vorwurf &#x201E;eines müden rela-<lb/>
tivistischen Historismus&#x201C; eingebracht. Wie ungerechtfertigt das ist, zei-<lb/>
gen am besten seine Aufsätze, die überhaupt Schmollers Denkart besser<lb/>
erkennen lassen als sein Grundriß, in dem er vom Standpunkt seiner<lb/>
Führerstellung aus sich eine reservierte Haltung auferlegen zu müssen<lb/>
glaubte.</p><lb/>
        <p>Heute ist mehr als ein Menschenalter vergangen, daß Schmoller in ho-<lb/>
hem Alter starb (1917). Wir haben den geschichtlichen Abstand ge-<lb/>
wonnen, ihm und seinem Werk gerecht zu werden. Er hat eine wissen-<lb/>
schaftliche Bewegung eingeleitet, die nötig war, um die National-<lb/>
ökonomie aus einem Zustand steriler Stagnation, in die sie geraten war,<lb/>
zu erlösen und zu einer neuen Entwicklung hinüberzuführen. Als Re-<lb/>
präsentant dieser Bewegung ist er in die Geschichte der volkswirtschaft-<lb/>
lichen Lehrmeinungen eingegangen und als solcher wird er in ihr<lb/>
seinen Platz behaupten. Abfallen die Schlacken, die sich im Streit der<lb/>
Meinungen an seinem Namen gehängt haben. Was geblieben, um mit<lb/>
Schumpeter zu sprechen, ist das Bild &#x201E;eines selbstverleugnenden Die-<lb/>
ners am ewig unserer Kraft entwachsenden Werke der Erfüllung,<lb/>
achtunggebietend für Freund und Feind, unerhöhbar durch Lob, un-<lb/>
verwundbar durch Tadel.&#x201C; <hi rendition="#et">Sk.</hi></p>
      </div>
    </front>
    <body><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0012] wie diese Methode weiter entwickelt und angewandt werden muß, um das erstrebte Ziel einer Theorie nach historischer Methode zu erreichen, und hat in seiner Krisenlehre ein Musterbeispiel dafür gegeben, wie sich Tatsachensammlung und theoretische Analyse miteinander verbin- den lassen. Joseph Schumpeter hat in seinem weit ausholenden Auf- satz „Gustav v. Schmoller und die Probleme von heute“ gezeigt, wie Schmoller bestrebt gewesen ist, die Türen offen zu halten, um eine Weiterentwicklung der Forschung nach historischer Methode zu er- möglichen. So mag es zu verstehen sein, wenn Schmoller seine ver- allgemeinernden Aussagen aufs vorsichtigste zu formulieren suchte, eine Neigung, die bei Schmoller, je älter und je weiser er wurde, um so stärker hervortritt. Das hat ihm den Vorwurf „eines müden rela- tivistischen Historismus“ eingebracht. Wie ungerechtfertigt das ist, zei- gen am besten seine Aufsätze, die überhaupt Schmollers Denkart besser erkennen lassen als sein Grundriß, in dem er vom Standpunkt seiner Führerstellung aus sich eine reservierte Haltung auferlegen zu müssen glaubte. Heute ist mehr als ein Menschenalter vergangen, daß Schmoller in ho- hem Alter starb (1917). Wir haben den geschichtlichen Abstand ge- wonnen, ihm und seinem Werk gerecht zu werden. Er hat eine wissen- schaftliche Bewegung eingeleitet, die nötig war, um die National- ökonomie aus einem Zustand steriler Stagnation, in die sie geraten war, zu erlösen und zu einer neuen Entwicklung hinüberzuführen. Als Re- präsentant dieser Bewegung ist er in die Geschichte der volkswirtschaft- lichen Lehrmeinungen eingegangen und als solcher wird er in ihr seinen Platz behaupten. Abfallen die Schlacken, die sich im Streit der Meinungen an seinem Namen gehängt haben. Was geblieben, um mit Schumpeter zu sprechen, ist das Bild „eines selbstverleugnenden Die- ners am ewig unserer Kraft entwachsenden Werke der Erfüllung, achtunggebietend für Freund und Feind, unerhöhbar durch Lob, un- verwundbar durch Tadel.“ Sk.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/12
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/12>, abgerufen am 29.03.2024.