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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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ten, statt mit wissenschaftlicher Strenge sie restlos kausal zu erklären.
So sind ihre Ergebnisse, methodologisch sehr weit auseinander liegend,
zur Weiterbenutzung für andere Wissenschaften von sehr verschiede-
nem Werte.

In ihrem Schoße haben sich mit der fortschreitenden Arbeitsteilung
die Spezialwissenschaften der Sprach-, Literatur-, Kirchen-, Kunst-,
Sitten-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte entwickelt, die man häufig
unter dem zusammenfassenden Namen der Kulturgeschichte der all-
gemeinen oder politischen Geschichte entgegensetzt. Sie sind in dem
Maße, als sie sich ausbildeten, aus bloßen Teilen der Geschichtswissen-
schaft zu selbständigen Mittelgliedern zwischen der Geschichte und den
betreffenden besonderen Wissenschaften der Sprache, Literatur etc.
geworden, haben in eigentümlicher Weise die Aufgaben und Methoden
der Geschichte mit denen der Philologie, der Rechtswissenschaft, der
politischen Ökonomie verbunden und so befruchtend nach rechts und
links gewirkt.

Sowohl die Ausbildung der allgemeinen Geschichte als die ihrer selb-
ständig gewordenen Tochterwissenschaften hat in den letzten hundert
Jahren die stärksten Impulse von Deutschland aus erhalten. In Niebuhr
und Ranke feiert man heute in der ganzen Welt die Begründer der
modernen Historie, in Savigny, Eichhorn und Waitz die der Rechts-
geschichte, in Böckh, Arnold, Maurer, Nitzsch die der Wirtschafts-
geschichte, während Fr. List, Roscher, Hildebrand und Knies die er-
sten Nationalökonomen waren, welche den Einfluß der ungeheuer ge-
wachsenen Bedeutung der Geschichte auf die Nationalökonomie zum
Ausdruck brachten. In den anderen Kulturstaaten konnte diese Wir-
kung erst viel langsamer eintreten, schon weil die höhere Ausbildung
der Geschichte dort eine viel spätere war, teilweise auch weil die
Geisteswissenschaften sich dort in einer gewissen Stagnation befanden.
Es gilt dies vor allem von England, das seine große wissenschaftliche
Zeit von Hobbes und Locke bis Hume und Ad. Smith gehabt, das von
1780 ab einige Menschenalter sterilen Epigonentums erlebte (vergl.
Jodl, Geschichte der Ethik II, S. 397 ff.), dessen spätere teilweise
platte nationalökonomische Bücher man im Auslande studierte, nicht
weil in England die Wissenschaft blühte, sondern die Praxis des Le-
bens wirtschaftlich den anderen Ländern voraus war. In Frankreich
war es Auguste Comte ,der mit Nachdruck die Basierung aller sozialen
Studien auf die Geschichte verlangte, aber lange mit dieser Forderung
isoliert stand.

Fragen wir nun, was die allgemeine Geschichte und ihre speziellen
Teile, vor allem die Wirtschafts-, Rechts- und Sittengeschichte, den
Wissenschaften vom Staate und von der Volkswirtschaft bieten, so ist
die oben schon vorweggenommene prinzipielle Antwort einfach: ein

ten, statt mit wissenschaftlicher Strenge sie restlos kausal zu erklären.
So sind ihre Ergebnisse, methodologisch sehr weit auseinander liegend,
zur Weiterbenutzung für andere Wissenschaften von sehr verschiede-
nem Werte.

In ihrem Schoße haben sich mit der fortschreitenden Arbeitsteilung
die Spezialwissenschaften der Sprach-, Literatur-, Kirchen-, Kunst-,
Sitten-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte entwickelt, die man häufig
unter dem zusammenfassenden Namen der Kulturgeschichte der all-
gemeinen oder politischen Geschichte entgegensetzt. Sie sind in dem
Maße, als sie sich ausbildeten, aus bloßen Teilen der Geschichtswissen-
schaft zu selbständigen Mittelgliedern zwischen der Geschichte und den
betreffenden besonderen Wissenschaften der Sprache, Literatur etc.
geworden, haben in eigentümlicher Weise die Aufgaben und Methoden
der Geschichte mit denen der Philologie, der Rechtswissenschaft, der
politischen Ökonomie verbunden und so befruchtend nach rechts und
links gewirkt.

Sowohl die Ausbildung der allgemeinen Geschichte als die ihrer selb-
ständig gewordenen Tochterwissenschaften hat in den letzten hundert
Jahren die stärksten Impulse von Deutschland aus erhalten. In Niebuhr
und Ranke feiert man heute in der ganzen Welt die Begründer der
modernen Historie, in Savigny, Eichhorn und Waitz die der Rechts-
geschichte, in Böckh, Arnold, Maurer, Nitzsch die der Wirtschafts-
geschichte, während Fr. List, Roscher, Hildebrand und Knies die er-
sten Nationalökonomen waren, welche den Einfluß der ungeheuer ge-
wachsenen Bedeutung der Geschichte auf die Nationalökonomie zum
Ausdruck brachten. In den anderen Kulturstaaten konnte diese Wir-
kung erst viel langsamer eintreten, schon weil die höhere Ausbildung
der Geschichte dort eine viel spätere war, teilweise auch weil die
Geisteswissenschaften sich dort in einer gewissen Stagnation befanden.
Es gilt dies vor allem von England, das seine große wissenschaftliche
Zeit von Hobbes und Locke bis Hume und Ad. Smith gehabt, das von
1780 ab einige Menschenalter sterilen Epigonentums erlebte (vergl.
Jodl, Geschichte der Ethik II, S. 397 ff.), dessen spätere teilweise
platte nationalökonomische Bücher man im Auslande studierte, nicht
weil in England die Wissenschaft blühte, sondern die Praxis des Le-
bens wirtschaftlich den anderen Ländern voraus war. In Frankreich
war es Auguste Comte ‚der mit Nachdruck die Basierung aller sozialen
Studien auf die Geschichte verlangte, aber lange mit dieser Forderung
isoliert stand.

Fragen wir nun, was die allgemeine Geschichte und ihre speziellen
Teile, vor allem die Wirtschafts-, Rechts- und Sittengeschichte, den
Wissenschaften vom Staate und von der Volkswirtschaft bieten, so ist
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[40/0044] ten, statt mit wissenschaftlicher Strenge sie restlos kausal zu erklären. So sind ihre Ergebnisse, methodologisch sehr weit auseinander liegend, zur Weiterbenutzung für andere Wissenschaften von sehr verschiede- nem Werte. In ihrem Schoße haben sich mit der fortschreitenden Arbeitsteilung die Spezialwissenschaften der Sprach-, Literatur-, Kirchen-, Kunst-, Sitten-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte entwickelt, die man häufig unter dem zusammenfassenden Namen der Kulturgeschichte der all- gemeinen oder politischen Geschichte entgegensetzt. Sie sind in dem Maße, als sie sich ausbildeten, aus bloßen Teilen der Geschichtswissen- schaft zu selbständigen Mittelgliedern zwischen der Geschichte und den betreffenden besonderen Wissenschaften der Sprache, Literatur etc. geworden, haben in eigentümlicher Weise die Aufgaben und Methoden der Geschichte mit denen der Philologie, der Rechtswissenschaft, der politischen Ökonomie verbunden und so befruchtend nach rechts und links gewirkt. Sowohl die Ausbildung der allgemeinen Geschichte als die ihrer selb- ständig gewordenen Tochterwissenschaften hat in den letzten hundert Jahren die stärksten Impulse von Deutschland aus erhalten. In Niebuhr und Ranke feiert man heute in der ganzen Welt die Begründer der modernen Historie, in Savigny, Eichhorn und Waitz die der Rechts- geschichte, in Böckh, Arnold, Maurer, Nitzsch die der Wirtschafts- geschichte, während Fr. List, Roscher, Hildebrand und Knies die er- sten Nationalökonomen waren, welche den Einfluß der ungeheuer ge- wachsenen Bedeutung der Geschichte auf die Nationalökonomie zum Ausdruck brachten. In den anderen Kulturstaaten konnte diese Wir- kung erst viel langsamer eintreten, schon weil die höhere Ausbildung der Geschichte dort eine viel spätere war, teilweise auch weil die Geisteswissenschaften sich dort in einer gewissen Stagnation befanden. Es gilt dies vor allem von England, das seine große wissenschaftliche Zeit von Hobbes und Locke bis Hume und Ad. Smith gehabt, das von 1780 ab einige Menschenalter sterilen Epigonentums erlebte (vergl. Jodl, Geschichte der Ethik II, S. 397 ff.), dessen spätere teilweise platte nationalökonomische Bücher man im Auslande studierte, nicht weil in England die Wissenschaft blühte, sondern die Praxis des Le- bens wirtschaftlich den anderen Ländern voraus war. In Frankreich war es Auguste Comte ‚der mit Nachdruck die Basierung aller sozialen Studien auf die Geschichte verlangte, aber lange mit dieser Forderung isoliert stand. Fragen wir nun, was die allgemeine Geschichte und ihre speziellen Teile, vor allem die Wirtschafts-, Rechts- und Sittengeschichte, den Wissenschaften vom Staate und von der Volkswirtschaft bieten, so ist die oben schon vorweggenommene prinzipielle Antwort einfach: ein

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/44>, abgerufen am 19.04.2024.