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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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weil ich vermuthe, daß euch ein übler Zufall im
Schlafe begegnet sey, denn ihr habt mich nun zwey-
mahl gerufen! Eberhard mein Sohn! die zu eu-
ren Füssen liegenden Knaben aber, schlafen wie die
Ratzen. Nein! mein Kind, versetzte der Altvater,
ich habe euch mit meinem Wissen nicht gerufen, son-
dern sehr vergnügt und wohl geruhet, es muß euch
geträumet haben, gehet in GOttes Nahmen wie-
derum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stun-
den noch nicht auf unsere Jnsul scheinen. Jch ge-
horsamete, iedoch etwa eine Stunde hernach, erweck-
te mich eben dieselbe Stimme zum drittenmahle.
Jch stund wieder auf, ging vor des Altvaters Bet-
te fand denselben im süssen Schlummer liegen, trat
derowegen an das Fenster, öffnete selbiges und sag-
te mit ängstlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich
denn heute gantz und gar bethöret, es ist ja unmöglich,
daß ich dreymahl hinter einander also geträumet ha-
be. Hierüber konte endlich der Altvater sein heim-
liches Lachen nicht länger verbergen, sondern sagte:
Mein Sohn! macht euch keine kümmerenden Ge-
dancken, ich bin wahrhafftig unschuldig, aber legt
euch noch einmahl stille hin und wachet, so werdet ihr
erfahren, wer der Stöhrer eurer Ruhe sey. Jch wuß-
te mich auf keinerley Weise aus dem Handel zu fin-
den, gehorsamete aber seinem Befehle, legte mich in
aller Stille nieder, und blieb munter.

Ehe ich mich nun dessen versahe, ließ sich ober-
wehnte Stimme mit eben denselben Worten zum
vierten mahle hören, und also kam es endlich her-
aus, daß mein schöner Vogel, den ich vor einigen
Wochen in des Altvaters Cammer-Fenster ge-

hängt

weil ich vermuthe, daß euch ein uͤbler Zufall im
Schlafe begegnet ſey, denn ihr habt mich nun zwey-
mahl gerufen! Eberhard mein Sohn! die zu eu-
ren Fuͤſſen liegenden Knaben aber, ſchlafen wie die
Ratzen. Nein! mein Kind, verſetzte der Altvater,
ich habe euch mit meinem Wiſſen nicht gerufen, ſon-
dern ſehr vergnuͤgt und wohl geruhet, es muß euch
getraͤumet haben, gehet in GOttes Nahmen wie-
derum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stun-
den noch nicht auf unſere Jnſul ſcheinen. Jch ge-
horſamete, iedoch etwa eine Stunde hernach, erweck-
te mich eben dieſelbe Stimme zum drittenmahle.
Jch ſtund wieder auf, ging vor des Altvaters Bet-
te fand denſelben im ſuͤſſen Schlummer liegen, trat
derowegen an das Fenſter, oͤffnete ſelbiges und ſag-
te mit aͤngſtlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich
denn heute gantz und gar bethoͤret, es iſt ja unmoͤglich,
daß ich dreymahl hinter einander alſo getraͤumet ha-
be. Hieruͤber konte endlich der Altvater ſein heim-
liches Lachen nicht laͤnger verbergen, ſondern ſagte:
Mein Sohn! macht euch keine kuͤmmerenden Ge-
dancken, ich bin wahrhafftig unſchuldig, aber legt
euch noch einmahl ſtille hin und wachet, ſo werdet ihr
erfahren, wer der Stoͤhrer eurer Ruhe ſey. Jch wuß-
te mich auf keinerley Weiſe aus dem Handel zu fin-
den, gehorſamete aber ſeinem Befehle, legte mich in
aller Stille nieder, und blieb munter.

Ehe ich mich nun deſſen verſahe, ließ ſich ober-
wehnte Stimme mit eben denſelben Worten zum
vierten mahle hoͤren, und alſo kam es endlich her-
aus, daß mein ſchoͤner Vogel, den ich vor einigen
Wochen in des Altvaters Cammer-Fenſter ge-

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[238/0252] weil ich vermuthe, daß euch ein uͤbler Zufall im Schlafe begegnet ſey, denn ihr habt mich nun zwey- mahl gerufen! Eberhard mein Sohn! die zu eu- ren Fuͤſſen liegenden Knaben aber, ſchlafen wie die Ratzen. Nein! mein Kind, verſetzte der Altvater, ich habe euch mit meinem Wiſſen nicht gerufen, ſon- dern ſehr vergnuͤgt und wohl geruhet, es muß euch getraͤumet haben, gehet in GOttes Nahmen wie- derum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stun- den noch nicht auf unſere Jnſul ſcheinen. Jch ge- horſamete, iedoch etwa eine Stunde hernach, erweck- te mich eben dieſelbe Stimme zum drittenmahle. Jch ſtund wieder auf, ging vor des Altvaters Bet- te fand denſelben im ſuͤſſen Schlummer liegen, trat derowegen an das Fenſter, oͤffnete ſelbiges und ſag- te mit aͤngſtlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich denn heute gantz und gar bethoͤret, es iſt ja unmoͤglich, daß ich dreymahl hinter einander alſo getraͤumet ha- be. Hieruͤber konte endlich der Altvater ſein heim- liches Lachen nicht laͤnger verbergen, ſondern ſagte: Mein Sohn! macht euch keine kuͤmmerenden Ge- dancken, ich bin wahrhafftig unſchuldig, aber legt euch noch einmahl ſtille hin und wachet, ſo werdet ihr erfahren, wer der Stoͤhrer eurer Ruhe ſey. Jch wuß- te mich auf keinerley Weiſe aus dem Handel zu fin- den, gehorſamete aber ſeinem Befehle, legte mich in aller Stille nieder, und blieb munter. Ehe ich mich nun deſſen verſahe, ließ ſich ober- wehnte Stimme mit eben denſelben Worten zum vierten mahle hoͤren, und alſo kam es endlich her- aus, daß mein ſchoͤner Vogel, den ich vor einigen Wochen in des Altvaters Cammer-Fenſter ge- haͤngt

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/252>, abgerufen am 25.04.2024.