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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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Liebste und ich lieben euch als einen leiblichen Bru-
der. Auf dergleichen redliches Anerbieten, konte
ich mit nicht so viel Worten als Thränen antwor-
ten, küssete derowegen beyden Ehe-Leuten die Hand,
und nahm mit den hertzlichsten Glückwünschungen,
nebst dem offerirten Geschencke, danckbarlichen
Abschied.

Ob eine grosse Anzahl solcher redlichen Leute, auch
so gar unter den Geistlichen in der Welt anzutreffen,
will ich eben nicht aus calculiren, sondern folglich
berichten, daß meine Reise von daraus, zu meinem
ehemahligen Compagnon, dem Orgel-Bauer,
ging. Diesen ehrlichen Mann traff ich zwar seiner
Handthierung wegen, in sehr guten Stande an,
denn er hatte volle Arbeit und starcken Verdienst,
allein, was seine Ehre anbetraff, so lebte er im größ-
sten Unvergnügen, denn weil er, seiner Profession
gemäß, zum öfftern etliche Tage ausserhalb des
Hauses seyn mußte, hatte sich seine allzuhitzige
Frau, indessen andere Bedienung angeschafft, der
gute Mann hatte sie zwar zu verschiedenen mahlen
bey nahe auf der That erwischt, allein doch keine
hinlängliche Ursachen zur Ehescheidung und völli-
gen Beweis ihrer übeln Aufführung wegen bey-
bringen können. Derowegen ist leichtlich zu erach-
ten, was vor gut Geblüte aus dergleichen herrlichen
Lebens-Art entstehen kan? Ach, wie froh war ich,
daß die unerforschliche Fügung des Himmels mein
Hertze von dergleichen Kummer frey gehalten hat-
te, denn meiner Lucia wäre wegen dergleichen
um so viel desto weniger zu verdencken gewesen,
weil sie von Jugend auf zu allem Staat und Deli-

cates-

Liebſte und ich lieben euch als einen leiblichen Bru-
der. Auf dergleichen redliches Anerbieten, konte
ich mit nicht ſo viel Worten als Thraͤnen antwor-
ten, kuͤſſete derowegen beyden Ehe-Leuten die Hand,
und nahm mit den hertzlichſten Gluͤckwuͤnſchungen,
nebſt dem offerirten Geſchencke, danckbarlichen
Abſchied.

Ob eine groſſe Anzahl ſolcher redlichen Leute, auch
ſo gar unter den Geiſtlichen in der Welt anzutreffen,
will ich eben nicht aus calculiren, ſondern folglich
berichten, daß meine Reiſe von daraus, zu meinem
ehemahligen Compagnon, dem Orgel-Bauer,
ging. Dieſen ehrlichen Mann traff ich zwar ſeiner
Handthierung wegen, in ſehr guten Stande an,
denn er hatte volle Arbeit und ſtarcken Verdienſt,
allein, was ſeine Ehre anbetraff, ſo lebte er im groͤß-
ſten Unvergnuͤgen, denn weil er, ſeiner Profeſſion
gemaͤß, zum oͤfftern etliche Tage auſſerhalb des
Hauſes ſeyn mußte, hatte ſich ſeine allzuhitzige
Frau, indeſſen andere Bedienung angeſchafft, der
gute Mann hatte ſie zwar zu verſchiedenen mahlen
bey nahe auf der That erwiſcht, allein doch keine
hinlaͤngliche Urſachen zur Eheſcheidung und voͤlli-
gen Beweis ihrer uͤbeln Auffuͤhrung wegen bey-
bringen koͤnnen. Derowegen iſt leichtlich zu erach-
ten, was vor gut Gebluͤte aus dergleichen herrlichen
Lebens-Art entſtehen kan? Ach, wie froh war ich,
daß die unerforſchliche Fuͤgung des Himmels mein
Hertze von dergleichen Kummer frey gehalten hat-
te, denn meiner Lucia waͤre wegen dergleichen
um ſo viel deſto weniger zu verdencken geweſen,
weil ſie von Jugend auf zu allem Staat und Deli-

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[360/0374] Liebſte und ich lieben euch als einen leiblichen Bru- der. Auf dergleichen redliches Anerbieten, konte ich mit nicht ſo viel Worten als Thraͤnen antwor- ten, kuͤſſete derowegen beyden Ehe-Leuten die Hand, und nahm mit den hertzlichſten Gluͤckwuͤnſchungen, nebſt dem offerirten Geſchencke, danckbarlichen Abſchied. Ob eine groſſe Anzahl ſolcher redlichen Leute, auch ſo gar unter den Geiſtlichen in der Welt anzutreffen, will ich eben nicht aus calculiren, ſondern folglich berichten, daß meine Reiſe von daraus, zu meinem ehemahligen Compagnon, dem Orgel-Bauer, ging. Dieſen ehrlichen Mann traff ich zwar ſeiner Handthierung wegen, in ſehr guten Stande an, denn er hatte volle Arbeit und ſtarcken Verdienſt, allein, was ſeine Ehre anbetraff, ſo lebte er im groͤß- ſten Unvergnuͤgen, denn weil er, ſeiner Profeſſion gemaͤß, zum oͤfftern etliche Tage auſſerhalb des Hauſes ſeyn mußte, hatte ſich ſeine allzuhitzige Frau, indeſſen andere Bedienung angeſchafft, der gute Mann hatte ſie zwar zu verſchiedenen mahlen bey nahe auf der That erwiſcht, allein doch keine hinlaͤngliche Urſachen zur Eheſcheidung und voͤlli- gen Beweis ihrer uͤbeln Auffuͤhrung wegen bey- bringen koͤnnen. Derowegen iſt leichtlich zu erach- ten, was vor gut Gebluͤte aus dergleichen herrlichen Lebens-Art entſtehen kan? Ach, wie froh war ich, daß die unerforſchliche Fuͤgung des Himmels mein Hertze von dergleichen Kummer frey gehalten hat- te, denn meiner Lucia waͤre wegen dergleichen um ſo viel deſto weniger zu verdencken geweſen, weil ſie von Jugend auf zu allem Staat und Deli- cateſ-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/374>, abgerufen am 19.04.2024.