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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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Ku
Kuß.

Niemand küßt lieber, als Dichter: das
war längst wahr; unsere heilige Männer küßen
noch weit ärger, als Günther jemals geküßt hat.
Hier ist ein recht süßes Küßchen; die Thräne
küßt eines Geliebten Spuren;
denn, wenn sie
auf den Spuren aufgeküßt würde: so könnte leicht
ein bischen Koth mit unterlaufen. Wir rechnen
es zur süßen Schreibart.

Die Liebe weint in eure Lieder:
Jhr Sayten! ahmt ihr Schluchzen nach!
(Wessen? der Lieder?)
Haucht sanfte Töne
durch die Fluren!
(Töne hauchen; Athem singen.)
Wo sie bey des Geliebten Spuren,
Die ihre Thräne jammernd küßt,
Um sein Entfernen trostlos ist;
Der Nachhall wird zum Mitleid wach:
Und stammelt ihre Seufzer wieder.
v. a. Samml. Nicol. 152 S.

Das heiße ich zärtlich! der Nachhall muß stam-
meln: lallen?
das könnte er wohl im Schlafe
thun; darum wecken wir ihn auf: denn er hatte
den Kopf ins Küssen gestecket. Auf der f. S.
weinet die Liebe Zeugnisse.
Noch ein Küßchen!

-- "wo unsre Liebe
"Sich mit der Weisheit mütterlichem Kuß
"Jn deiner Redlichkeit gesetzten Kuß getheilt
"Von uns zu fernen Küssen eilt.

Dreyerley Küsse! Ein mütterlicher Kuß! ein
gesetzter Kuß; ferne Küsse: sind das nicht Küsse?
Ferner sagt er: kein Ocean rast so sehr, als

ein
Ku
Kuß.

Niemand kuͤßt lieber, als Dichter: das
war laͤngſt wahr; unſere heilige Maͤnner kuͤßen
noch weit aͤrger, als Guͤnther jemals gekuͤßt hat.
Hier iſt ein recht ſuͤßes Kuͤßchen; die Thraͤne
kuͤßt eines Geliebten Spuren;
denn, wenn ſie
auf den Spuren aufgekuͤßt wuͤrde: ſo koͤnnte leicht
ein bischen Koth mit unterlaufen. Wir rechnen
es zur ſuͤßen Schreibart.

Die Liebe weint in eure Lieder:
Jhr Sayten! ahmt ihr Schluchzen nach!
(Weſſen? der Lieder?)
Haucht ſanfte Toͤne
durch die Fluren!
(Toͤne hauchen; Athem ſingen.)
Wo ſie bey des Geliebten Spuren,
Die ihre Thraͤne jammernd kuͤßt,
Um ſein Entfernen troſtlos iſt;
Der Nachhall wird zum Mitleid wach:
Und ſtammelt ihre Seufzer wieder.
v. a. Samml. Nicol. 152 S.

Das heiße ich zaͤrtlich! der Nachhall muß ſtam-
meln: lallen?
das koͤnnte er wohl im Schlafe
thun; darum wecken wir ihn auf: denn er hatte
den Kopf ins Kuͤſſen geſtecket. Auf der f. S.
weinet die Liebe Zeugniſſe.
Noch ein Kuͤßchen!

— “wo unſre Liebe
“Sich mit der Weisheit muͤtterlichem Kuß
“Jn deiner Redlichkeit geſetzten Kuß getheilt
“Von uns zu fernen Kuͤſſen eilt.

Dreyerley Kuͤſſe! Ein muͤtterlicher Kuß! ein
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Ferner ſagt er: kein Ocean raſt ſo ſehr, als

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[256/0282] Ku Kuß. Niemand kuͤßt lieber, als Dichter: das war laͤngſt wahr; unſere heilige Maͤnner kuͤßen noch weit aͤrger, als Guͤnther jemals gekuͤßt hat. Hier iſt ein recht ſuͤßes Kuͤßchen; die Thraͤne kuͤßt eines Geliebten Spuren; denn, wenn ſie auf den Spuren aufgekuͤßt wuͤrde: ſo koͤnnte leicht ein bischen Koth mit unterlaufen. Wir rechnen es zur ſuͤßen Schreibart. Die Liebe weint in eure Lieder: Jhr Sayten! ahmt ihr Schluchzen nach! (Weſſen? der Lieder?) Haucht ſanfte Toͤne durch die Fluren! (Toͤne hauchen; Athem ſingen.) Wo ſie bey des Geliebten Spuren, Die ihre Thraͤne jammernd kuͤßt, Um ſein Entfernen troſtlos iſt; Der Nachhall wird zum Mitleid wach: Und ſtammelt ihre Seufzer wieder. v. a. Samml. Nicol. 152 S. Das heiße ich zaͤrtlich! der Nachhall muß ſtam- meln: lallen? das koͤnnte er wohl im Schlafe thun; darum wecken wir ihn auf: denn er hatte den Kopf ins Kuͤſſen geſtecket. Auf der f. S. weinet die Liebe Zeugniſſe. Noch ein Kuͤßchen! — “wo unſre Liebe “Sich mit der Weisheit muͤtterlichem Kuß “Jn deiner Redlichkeit geſetzten Kuß getheilt “Von uns zu fernen Kuͤſſen eilt. Dreyerley Kuͤſſe! Ein muͤtterlicher Kuß! ein geſetzter Kuß; ferne Kuͤſſe: ſind das nicht Kuͤſſe? Ferner ſagt er: kein Ocean raſt ſo ſehr, als ein

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/282>, abgerufen am 24.04.2024.