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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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Ri Ro

Dieses 16 Zeilen lang auf alle mögliche Art verän-
dert, ist ein Meisterstück des Bathos. Was
sind das für zwo Religionen? Hat die Gottheit
auch eine Religion? Nicht Religion mehr! d.
i. wohl eine garstige Religion mehr?

Riß.

Wann zwo von meinen Mägdchen, den
sterblichen Mägdchen, sterben: so heißt das letzte
der zweyte Riß.

"Mirza, der fünfzigste Riß von meinem hülf-
losen Leben. Noah, 30 S.
Rocken.

Endlich finden wir auch etwas für die al-
ten mütterlichen Klöße:
einen Rocken, einen
fliessenden Rocken; einen gehorchenden Ro-
cken.

"Lehrt uns mit streichelnden Fingern die
zarten Faden zu drehen,
"Die aus dem Rocken fließend der leitenden
Spindel gehorchen. Noah, 118 S.

Allerliebst! Sind das nicht drey unvergleichliche
Erfindungen? 1. streicheln die Finger das
Werk, damit es erlaube, seine Faden zu dre-
hen;
wir haben diese Demuth der Finger nie gese-
hen, wohl aber manch altes Weibchen am Werke
zupfen sehen. 2. fließen die Faden aus dem
Rocken:
viel Glücks zur Erfindung! Alle faule
Mägde werden Jhnen danken, Herr Rath!
3. sehen wir, wie die Spindel den Faden leitet.
Wie man nicht irren kann! Bisher glaubten wir,
die Hand thäte es. Aber es bleibt wohl wahr:
ein Philosoph ist ein Mensch, der nicht glau-
bet, was er siehet:
und das siehet, was wir

nicht
Ri Ro

Dieſes 16 Zeilen lang auf alle moͤgliche Art veraͤn-
dert, iſt ein Meiſterſtuͤck des Bathos. Was
ſind das fuͤr zwo Religionen? Hat die Gottheit
auch eine Religion? Nicht Religion mehr! d.
i. wohl eine garſtige Religion mehr?

Riß.

Wann zwo von meinen Maͤgdchen, den
ſterblichen Maͤgdchen, ſterben: ſo heißt das letzte
der zweyte Riß.

“Mirza, der fuͤnfzigſte Riß von meinem huͤlf-
loſen Leben. Noah, 30 S.
Rocken.

Endlich finden wir auch etwas fuͤr die al-
ten muͤtterlichen Kloͤße:
einen Rocken, einen
flieſſenden Rocken; einen gehorchenden Ro-
cken.

“Lehrt uns mit ſtreichelnden Fingern die
zarten Faden zu drehen,
“Die aus dem Rocken fließend der leitenden
Spindel gehorchen. Noah, 118 S.

Allerliebſt! Sind das nicht drey unvergleichliche
Erfindungen? 1. ſtreicheln die Finger das
Werk, damit es erlaube, ſeine Faden zu dre-
hen;
wir haben dieſe Demuth der Finger nie geſe-
hen, wohl aber manch altes Weibchen am Werke
zupfen ſehen. 2. fließen die Faden aus dem
Rocken:
viel Gluͤcks zur Erfindung! Alle faule
Maͤgde werden Jhnen danken, Herr Rath!
3. ſehen wir, wie die Spindel den Faden leitet.
Wie man nicht irren kann! Bisher glaubten wir,
die Hand thaͤte es. Aber es bleibt wohl wahr:
ein Philoſoph iſt ein Menſch, der nicht glau-
bet, was er ſiehet:
und das ſiehet, was wir

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[356/0382] Ri Ro Dieſes 16 Zeilen lang auf alle moͤgliche Art veraͤn- dert, iſt ein Meiſterſtuͤck des Bathos. Was ſind das fuͤr zwo Religionen? Hat die Gottheit auch eine Religion? Nicht Religion mehr! d. i. wohl eine garſtige Religion mehr? Riß. Wann zwo von meinen Maͤgdchen, den ſterblichen Maͤgdchen, ſterben: ſo heißt das letzte der zweyte Riß. “Mirza, der fuͤnfzigſte Riß von meinem huͤlf- loſen Leben. Noah, 30 S. Rocken. Endlich finden wir auch etwas fuͤr die al- ten muͤtterlichen Kloͤße: einen Rocken, einen flieſſenden Rocken; einen gehorchenden Ro- cken. “Lehrt uns mit ſtreichelnden Fingern die zarten Faden zu drehen, “Die aus dem Rocken fließend der leitenden Spindel gehorchen. Noah, 118 S. Allerliebſt! Sind das nicht drey unvergleichliche Erfindungen? 1. ſtreicheln die Finger das Werk, damit es erlaube, ſeine Faden zu dre- hen; wir haben dieſe Demuth der Finger nie geſe- hen, wohl aber manch altes Weibchen am Werke zupfen ſehen. 2. fließen die Faden aus dem Rocken: viel Gluͤcks zur Erfindung! Alle faule Maͤgde werden Jhnen danken, Herr Rath! 3. ſehen wir, wie die Spindel den Faden leitet. Wie man nicht irren kann! Bisher glaubten wir, die Hand thaͤte es. Aber es bleibt wohl wahr: ein Philoſoph iſt ein Menſch, der nicht glau- bet, was er ſiehet: und das ſiehet, was wir nicht

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/382>, abgerufen am 24.04.2024.