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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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"Kind! sprach er zur Tochter: wir wollen diesen
"erziehen; zeigt er sich deiner würdig: so soll er
"dich haben. Wo nicht: hast du doch das Horn;
"es werden wohl mehr kommen." Das Horn
ist also noch zu haben. Man ärgere sich nicht an
der Einfalt dieser Erzehlung. Zun Zeiten der
schwäbischen Kaiser sprach man noch nicht neue
Accente.

Schall;

ein andächtiger Schall: so giebt es denn
vieleicht auch einen gottlosen Schall; denn so
singet der jüdische Schäferdichter:

"Komm auch zu mir, u. stimme die leyer
zu meinem gesange
"Mit andaechtigem Schall. Jac. u. Jos. 6 S.

Sie kam, hat aber schlecht gestimmet.

Schall.

Ein lauter Schall, ein starker Schall, sind
keine Seltenheiten. Seltener findet man
einen stummen Schall, der sonst nichts als
die Ohren füllet.

Buttst. vern. Gedank. 6ter Band, Bl. 19.
Mein guter Freund hat sich über dieses Blümchen
gewaltig geärgert: weil er nicht so scharfsichtig
war, das Band dieses Ausdruckes einzusehen.
Ein Schall, sagte er, der stumm ist, und doch die
Ohren füllet,
widerspricht sich. Und soll denn
der Schall auch das Gesicht, den Geruch, und
die Zunge füllen? Aber mein Freund verstand
nicht, was zum Rednerhandwerke gehöret. Eine
Sache kann ja dem Redner schön und deutlich seyn,
wenn gleich der Zuhörer nichts davon verstehet.
Von bekannten Dingen zu reden, ist nicht überall

Mode.
A a 4

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“Kind! ſprach er zur Tochter: wir wollen dieſen
“erziehen; zeigt er ſich deiner wuͤrdig: ſo ſoll er
“dich haben. Wo nicht: haſt du doch das Horn;
“es werden wohl mehr kommen.” Das Horn
iſt alſo noch zu haben. Man aͤrgere ſich nicht an
der Einfalt dieſer Erzehlung. Zun Zeiten der
ſchwaͤbiſchen Kaiſer ſprach man noch nicht neue
Accente.

Schall;

ein andaͤchtiger Schall: ſo giebt es denn
vieleicht auch einen gottloſen Schall; denn ſo
ſinget der juͤdiſche Schaͤferdichter:

Komm auch zu mir, u. ſtimme die leyer
zu meinem geſange
“Mit andæchtigem Schall. Jac. u. Joſ. 6 S.

Sie kam, hat aber ſchlecht geſtimmet.

Schall.

Ein lauter Schall, ein ſtarker Schall, ſind
keine Seltenheiten. Seltener findet man
einen ſtummen Schall, der ſonſt nichts als
die Ohren fuͤllet.

Buttſt. vern. Gedank. 6ter Band, Bl. 19.
Mein guter Freund hat ſich uͤber dieſes Bluͤmchen
gewaltig geaͤrgert: weil er nicht ſo ſcharfſichtig
war, das Band dieſes Ausdruckes einzuſehen.
Ein Schall, ſagte er, der ſtumm iſt, und doch die
Ohren fuͤllet,
widerſpricht ſich. Und ſoll denn
der Schall auch das Geſicht, den Geruch, und
die Zunge fuͤllen? Aber mein Freund verſtand
nicht, was zum Rednerhandwerke gehoͤret. Eine
Sache kann ja dem Redner ſchoͤn und deutlich ſeyn,
wenn gleich der Zuhoͤrer nichts davon verſtehet.
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Mode.
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[375/0401] Sc “Kind! ſprach er zur Tochter: wir wollen dieſen “erziehen; zeigt er ſich deiner wuͤrdig: ſo ſoll er “dich haben. Wo nicht: haſt du doch das Horn; “es werden wohl mehr kommen.” Das Horn iſt alſo noch zu haben. Man aͤrgere ſich nicht an der Einfalt dieſer Erzehlung. Zun Zeiten der ſchwaͤbiſchen Kaiſer ſprach man noch nicht neue Accente. Schall; ein andaͤchtiger Schall: ſo giebt es denn vieleicht auch einen gottloſen Schall; denn ſo ſinget der juͤdiſche Schaͤferdichter: “Komm auch zu mir, u. ſtimme die leyer zu meinem geſange “Mit andæchtigem Schall. Jac. u. Joſ. 6 S. Sie kam, hat aber ſchlecht geſtimmet. Schall. Ein lauter Schall, ein ſtarker Schall, ſind keine Seltenheiten. Seltener findet man einen ſtummen Schall, der ſonſt nichts als die Ohren fuͤllet. Buttſt. vern. Gedank. 6ter Band, Bl. 19. Mein guter Freund hat ſich uͤber dieſes Bluͤmchen gewaltig geaͤrgert: weil er nicht ſo ſcharfſichtig war, das Band dieſes Ausdruckes einzuſehen. Ein Schall, ſagte er, der ſtumm iſt, und doch die Ohren fuͤllet, widerſpricht ſich. Und ſoll denn der Schall auch das Geſicht, den Geruch, und die Zunge fuͤllen? Aber mein Freund verſtand nicht, was zum Rednerhandwerke gehoͤret. Eine Sache kann ja dem Redner ſchoͤn und deutlich ſeyn, wenn gleich der Zuhoͤrer nichts davon verſtehet. Von bekannten Dingen zu reden, iſt nicht uͤberall Mode. A a 4

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/401>, abgerufen am 28.03.2024.