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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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Mode. Vieleicht ist es mit dem Schalle, wie mit
den Tönen, beschaffen. Haben wir nicht goldene
Töne?
ja was noch unbegreiflicher ist, gefär-
bete Töne?
Sagts uns nicht ein großer Dich-
ter,
daß
Castelli Töne färbt, und Körber Seelen
mißt.

Eine ausgemeßene Seele ist mir eben so unbe-
greiflich, als ein stummer Schall, der sonst
nichts als die Ohren füllet.
Und dennoch hat
der erste Begriff seinen Grund: denn Körber hat
uns ja den Maaßstab, in seinen Abhandlungen
von der Ausmeßung der Seele, angegeben. Es
erhellet hieraus, daß man mit den ästhetischen
Rednern
und Dichtern sehr unbillig verfahre,
wann man ihre Schriften deßwegen tadelt, weil
man sie nicht verstehet. Die Verfasser derselben
werden doch das verstanden haben, was sie in die
Welt hinein schreiben? und haben sie nicht die mei-
sten Schriften um ihrer selbst willen drucken las-
sen? Es stand also allerdings bey ihnen, ob sie es
uns erlauben wollen, daß wir ihre Schriften ver-
stehen, oder nicht verstehen.

Schalymo;

so wird gar zierlich eine Schallmey ge-
nennet. Es war die Lockpfeife, mit der Jacob
seine Söhne zusammenrief; denn wenn der Laut
floß,
oder fliessend lief: so kamen sie, wie die
Hunde kommen, wann der Jäger pfeifet.

"Als durch den woelbenden wald des scha-
lymos fliessender laut lief,

"In

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Mode. Vieleicht iſt es mit dem Schalle, wie mit
den Toͤnen, beſchaffen. Haben wir nicht goldene
Toͤne?
ja was noch unbegreiflicher iſt, gefaͤr-
bete Toͤne?
Sagts uns nicht ein großer Dich-
ter,
daß
Caſtelli Toͤne faͤrbt, und Koͤrber Seelen
mißt.

Eine ausgemeßene Seele iſt mir eben ſo unbe-
greiflich, als ein ſtummer Schall, der ſonſt
nichts als die Ohren fuͤllet.
Und dennoch hat
der erſte Begriff ſeinen Grund: denn Koͤrber hat
uns ja den Maaßſtab, in ſeinen Abhandlungen
von der Ausmeßung der Seele, angegeben. Es
erhellet hieraus, daß man mit den aͤſthetiſchen
Rednern
und Dichtern ſehr unbillig verfahre,
wann man ihre Schriften deßwegen tadelt, weil
man ſie nicht verſtehet. Die Verfaſſer derſelben
werden doch das verſtanden haben, was ſie in die
Welt hinein ſchreiben? und haben ſie nicht die mei-
ſten Schriften um ihrer ſelbſt willen drucken laſ-
ſen? Es ſtand alſo allerdings bey ihnen, ob ſie es
uns erlauben wollen, daß wir ihre Schriften ver-
ſtehen, oder nicht verſtehen.

Schalymo;

ſo wird gar zierlich eine Schallmey ge-
nennet. Es war die Lockpfeife, mit der Jacob
ſeine Soͤhne zuſammenrief; denn wenn der Laut
floß,
oder flieſſend lief: ſo kamen ſie, wie die
Hunde kommen, wann der Jaͤger pfeifet.

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lymos flieſſender laut lief,

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[376/0402] Sc Mode. Vieleicht iſt es mit dem Schalle, wie mit den Toͤnen, beſchaffen. Haben wir nicht goldene Toͤne? ja was noch unbegreiflicher iſt, gefaͤr- bete Toͤne? Sagts uns nicht ein großer Dich- ter, daß Caſtelli Toͤne faͤrbt, und Koͤrber Seelen mißt. Eine ausgemeßene Seele iſt mir eben ſo unbe- greiflich, als ein ſtummer Schall, der ſonſt nichts als die Ohren fuͤllet. Und dennoch hat der erſte Begriff ſeinen Grund: denn Koͤrber hat uns ja den Maaßſtab, in ſeinen Abhandlungen von der Ausmeßung der Seele, angegeben. Es erhellet hieraus, daß man mit den aͤſthetiſchen Rednern und Dichtern ſehr unbillig verfahre, wann man ihre Schriften deßwegen tadelt, weil man ſie nicht verſtehet. Die Verfaſſer derſelben werden doch das verſtanden haben, was ſie in die Welt hinein ſchreiben? und haben ſie nicht die mei- ſten Schriften um ihrer ſelbſt willen drucken laſ- ſen? Es ſtand alſo allerdings bey ihnen, ob ſie es uns erlauben wollen, daß wir ihre Schriften ver- ſtehen, oder nicht verſtehen. Schalymo; ſo wird gar zierlich eine Schallmey ge- nennet. Es war die Lockpfeife, mit der Jacob ſeine Soͤhne zuſammenrief; denn wenn der Laut floß, oder flieſſend lief: ſo kamen ſie, wie die Hunde kommen, wann der Jaͤger pfeifet. “Als durch den wœlbenden wald des ſcha- lymos flieſſender laut lief, “In

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/402>, abgerufen am 28.03.2024.