Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


Eyck in seinem bescheidnen Geburtsort die Jahre
der Kindheit und die der ersten Jugend. Es mag
wohl ein schönes genußreiches Leben gewesen seyn,
welches diese Geschwister bei der damaligen einfachen
Sitte des Mittelstandes, in gemeinschaftlicher Arbeit
und gemeinschaftlichem Gelingen mit einander führten,
bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal-
tende Genius des jüngern Bruders eines größeren
Raums bedurfte.

Brügge, diese große, jezt so tief gesunkne
und verödete Stadt, war damals durch ihren weit
ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll
Wohlleben und Pracht wie keine andere in den
damals so blühenden, glücklichen Niederlanden.
Wo jezt in der Todtenstille der weiten, mit Gras
bewachsnen Straßen der wankende Schritt eines
einsamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im
vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regste
Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden
Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen
Wirken fleißiger, aber nicht mühseliger, Arbeit der
minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern


Eyck in ſeinem beſcheidnen Geburtsort die Jahre
der Kindheit und die der erſten Jugend. Es mag
wohl ein ſchönes genußreiches Leben geweſen ſeyn,
welches dieſe Geſchwiſter bei der damaligen einfachen
Sitte des Mittelſtandes, in gemeinſchaftlicher Arbeit
und gemeinſchaftlichem Gelingen mit einander führten,
bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal-
tende Genius des jüngern Bruders eines größeren
Raums bedurfte.

Brügge, dieſe große, jezt ſo tief geſunkne
und verödete Stadt, war damals durch ihren weit
ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll
Wohlleben und Pracht wie keine andere in den
damals ſo blühenden, glücklichen Niederlanden.
Wo jezt in der Todtenſtille der weiten, mit Gras
bewachſnen Straßen der wankende Schritt eines
einſamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im
vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regſte
Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden
Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen
Wirken fleißiger, aber nicht mühſeliger, Arbeit der
minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0034" n="22"/><lb/>
Eyck in &#x017F;einem be&#x017F;cheidnen Geburtsort die Jahre<lb/>
der Kindheit und die der er&#x017F;ten Jugend. Es mag<lb/>
wohl ein &#x017F;chönes genußreiches Leben gewe&#x017F;en &#x017F;eyn,<lb/>
welches die&#x017F;e Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter bei der damaligen einfachen<lb/>
Sitte des Mittel&#x017F;tandes, in gemein&#x017F;chaftlicher Arbeit<lb/>
und gemein&#x017F;chaftlichem Gelingen mit einander führten,<lb/>
bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal-<lb/>
tende Genius des jüngern Bruders eines größeren<lb/>
Raums bedurfte.</p><lb/>
        <p>Brügge, die&#x017F;e große, jezt &#x017F;o tief ge&#x017F;unkne<lb/>
und verödete Stadt, war damals durch ihren weit<lb/>
ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll<lb/>
Wohlleben und Pracht wie keine andere in den<lb/>
damals &#x017F;o blühenden, glücklichen Niederlanden.<lb/>
Wo jezt in der Todten&#x017F;tille der weiten, mit Gras<lb/>
bewach&#x017F;nen Straßen der wankende Schritt eines<lb/>
ein&#x017F;amen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im<lb/>
vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das reg&#x017F;te<lb/>
Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden<lb/>
Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen<lb/>
Wirken fleißiger, aber nicht müh&#x017F;eliger, Arbeit der<lb/>
minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0034] Eyck in ſeinem beſcheidnen Geburtsort die Jahre der Kindheit und die der erſten Jugend. Es mag wohl ein ſchönes genußreiches Leben geweſen ſeyn, welches dieſe Geſchwiſter bei der damaligen einfachen Sitte des Mittelſtandes, in gemeinſchaftlicher Arbeit und gemeinſchaftlichem Gelingen mit einander führten, bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal- tende Genius des jüngern Bruders eines größeren Raums bedurfte. Brügge, dieſe große, jezt ſo tief geſunkne und verödete Stadt, war damals durch ihren weit ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll Wohlleben und Pracht wie keine andere in den damals ſo blühenden, glücklichen Niederlanden. Wo jezt in der Todtenſtille der weiten, mit Gras bewachſnen Straßen der wankende Schritt eines einſamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regſte Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen Wirken fleißiger, aber nicht mühſeliger, Arbeit der minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/34
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/34>, abgerufen am 18.04.2024.