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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINER WÄRTERIN.
mehrgliederiger Geschwisterkreis fehlt, nehme man ja auf Ein-
leitung eines regelmässigen anderweiten Umganges Bedacht.
Er ist selbst, wo Geschwister nicht mangeln, wenigstens hin
und wieder ein Bedürfniss für die Allseitigkeit der Ausbildung.
Um alle die schönen Früchte des Umganges in vollem Maasse
zu erlangen, ist es freilich erforderlich, dass die Altersunter-
schiede nicht 2--3 Jahre übersteigen. Innerhalb dieser Grenze
ist der Vortheil begreiflicher Weise am meisten auf Seiten der
jüngeren Kinder. Doch sind ja die speciellen Verhältnisse
und Thunlichkeiten in dieser Beziehung so unendlich vielge-
staltig, dass man im einzelnen Falle mit dem eben Erreich-
baren sich begnügen muss. Nur lasse man in keinem Falle
ein Kind ganz ohne kindliche Genossenschaft auf-
wachsen
. Als ein Wunder wäre es zu betrachten, wenn ein
solches Kind nicht zu einem Sonderlinge, zu einem für das
praktische Leben untauglichen Menschen, oder zu einem be-
mitleidenswerthen Melancholiker würde.

3) Das Kind mit seiner Wärterin.

Das hier Bemerkte erstreckt sich auf das directe Pflege-
verhältniss, mag dieses die Mutter oder nächst ihr noch diese
oder jene andere Person betreffen, welche als Erzieherin, oder
als Wärterin, oder als eine Person von den Dienstleuten des
übrigen Hauswesens um das Kind regelmässig und dauernd
beschäftigt ist. Wir werden daher unter "Wärterin" hier die
pflegende Umgebung des Kindes überhaupt verstehen.

Die erste Bedingung, an welche die Wahl der Wärterin
zu knüpfen ist, besteht offenbar darin, dass sie die Gewähr
der strengsten Gewissenhaftigkeit bietet. Wir verste-
hen darunter nicht blos Das, womit sich die meisten Aeltern
begnügen, nicht blos jene liebende Sorgfalt für das Kind, ver-
möge welcher die Wärterin, sich selbst überlassen, nach ihren
eigenen immerhin gutgemeinten Gedanken mit dem Kinde ver-
fährt, sondern wir meinen die strengste Gewissenhaftigkeit hin-
sichtlich aller beim Wechselverkehre zwischen Wärterin und
Kind in Betracht kommenden Erziehungsgrundsätze, und zwar
genau derselben, wie sie von den Aeltern bestimmt sind und

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINER WÄRTERIN.
mehrgliederiger Geschwisterkreis fehlt, nehme man ja auf Ein-
leitung eines regelmässigen anderweiten Umganges Bedacht.
Er ist selbst, wo Geschwister nicht mangeln, wenigstens hin
und wieder ein Bedürfniss für die Allseitigkeit der Ausbildung.
Um alle die schönen Früchte des Umganges in vollem Maasse
zu erlangen, ist es freilich erforderlich, dass die Altersunter-
schiede nicht 2—3 Jahre übersteigen. Innerhalb dieser Grenze
ist der Vortheil begreiflicher Weise am meisten auf Seiten der
jüngeren Kinder. Doch sind ja die speciellen Verhältnisse
und Thunlichkeiten in dieser Beziehung so unendlich vielge-
staltig, dass man im einzelnen Falle mit dem eben Erreich-
baren sich begnügen muss. Nur lasse man in keinem Falle
ein Kind ganz ohne kindliche Genossenschaft auf-
wachsen
. Als ein Wunder wäre es zu betrachten, wenn ein
solches Kind nicht zu einem Sonderlinge, zu einem für das
praktische Leben untauglichen Menschen, oder zu einem be-
mitleidenswerthen Melancholiker würde.

3) Das Kind mit seiner Wärterin.

Das hier Bemerkte erstreckt sich auf das directe Pflege-
verhältniss, mag dieses die Mutter oder nächst ihr noch diese
oder jene andere Person betreffen, welche als Erzieherin, oder
als Wärterin, oder als eine Person von den Dienstleuten des
übrigen Hauswesens um das Kind regelmässig und dauernd
beschäftigt ist. Wir werden daher unter „Wärterin“ hier die
pflegende Umgebung des Kindes überhaupt verstehen.

Die erste Bedingung, an welche die Wahl der Wärterin
zu knüpfen ist, besteht offenbar darin, dass sie die Gewähr
der strengsten Gewissenhaftigkeit bietet. Wir verste-
hen darunter nicht blos Das, womit sich die meisten Aeltern
begnügen, nicht blos jene liebende Sorgfalt für das Kind, ver-
möge welcher die Wärterin, sich selbst überlassen, nach ihren
eigenen immerhin gutgemeinten Gedanken mit dem Kinde ver-
fährt, sondern wir meinen die strengste Gewissenhaftigkeit hin-
sichtlich aller beim Wechselverkehre zwischen Wärterin und
Kind in Betracht kommenden Erziehungsgrundsätze, und zwar
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[121/0125] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINER WÄRTERIN. mehrgliederiger Geschwisterkreis fehlt, nehme man ja auf Ein- leitung eines regelmässigen anderweiten Umganges Bedacht. Er ist selbst, wo Geschwister nicht mangeln, wenigstens hin und wieder ein Bedürfniss für die Allseitigkeit der Ausbildung. Um alle die schönen Früchte des Umganges in vollem Maasse zu erlangen, ist es freilich erforderlich, dass die Altersunter- schiede nicht 2—3 Jahre übersteigen. Innerhalb dieser Grenze ist der Vortheil begreiflicher Weise am meisten auf Seiten der jüngeren Kinder. Doch sind ja die speciellen Verhältnisse und Thunlichkeiten in dieser Beziehung so unendlich vielge- staltig, dass man im einzelnen Falle mit dem eben Erreich- baren sich begnügen muss. Nur lasse man in keinem Falle ein Kind ganz ohne kindliche Genossenschaft auf- wachsen. Als ein Wunder wäre es zu betrachten, wenn ein solches Kind nicht zu einem Sonderlinge, zu einem für das praktische Leben untauglichen Menschen, oder zu einem be- mitleidenswerthen Melancholiker würde. 3) Das Kind mit seiner Wärterin. Das hier Bemerkte erstreckt sich auf das directe Pflege- verhältniss, mag dieses die Mutter oder nächst ihr noch diese oder jene andere Person betreffen, welche als Erzieherin, oder als Wärterin, oder als eine Person von den Dienstleuten des übrigen Hauswesens um das Kind regelmässig und dauernd beschäftigt ist. Wir werden daher unter „Wärterin“ hier die pflegende Umgebung des Kindes überhaupt verstehen. Die erste Bedingung, an welche die Wahl der Wärterin zu knüpfen ist, besteht offenbar darin, dass sie die Gewähr der strengsten Gewissenhaftigkeit bietet. Wir verste- hen darunter nicht blos Das, womit sich die meisten Aeltern begnügen, nicht blos jene liebende Sorgfalt für das Kind, ver- möge welcher die Wärterin, sich selbst überlassen, nach ihren eigenen immerhin gutgemeinten Gedanken mit dem Kinde ver- fährt, sondern wir meinen die strengste Gewissenhaftigkeit hin- sichtlich aller beim Wechselverkehre zwischen Wärterin und Kind in Betracht kommenden Erziehungsgrundsätze, und zwar genau derselben, wie sie von den Aeltern bestimmt sind und

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/125>, abgerufen am 19.04.2024.