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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE.
Gegebenen das Nichtgegebene suchen und schaffen zu können
muss natürlich das erstere vorhanden sein. Mit dem mitthei-
lenden Unterrichte soll der entwickelnde Hand in Hand gehen
und nur das festgehalten werden, dass der erstere soviel wie
möglich mit dem letzteren vereinigt werde, nie ganz ohne
denselben erfolge, eben weil nur die Gewinnung der Selbst-
erzeugungskraft wahren Bildungswerth hat und im Kinde den
Muth und das Selbstvertrauen zum Weiterschreiten belebt.
Demgemäss dürfte wohl beim mündlichen Unterrichte (selbst
dem elementaren) die richtig angepasste katechetische Form,
die zum Selbstdenken anregende Fragen und Aufgaben schnell
aufeinander folgen lässt, zündende Gedanken und fortreissende
Uebung liebt, den schleppenden Lehrgang und die rein exa-
minatorische Form, die sich nur an das Gedächtniss wendet,
mehr und mehr verdrängen.

Endlich noch

d) zwei specielle Wünsche,

welche der Verfasser sich erlaubt, Denen, welche dem hohen
Berufe des Lehramtes angehören, vom ärztlichen Standpunkte
aus an's Herz zu legen.

Die beim Schulunterrichte unserer Zeit so dringend noth-
wendige Rücksicht auf körperliche Haltung, Ausbildung und
allgemeine Gesundheit der Kinder führt uns nämlich auf die
überhaupt festzuhaltende Regel: dass kein Kind länger als
höchstens zwei Stunden
ununterbrochen sitzend und
geistig beschäftigt bleiben sollte
. Anhaltendes, durch
keine körperliche Abwechselung unterbrochenes und bis über
den Eintritt der Rückenermüdung hinaus fortgeführtes Sitzen
ist bei Kindern unter Anderem eine der häufigsten Ursachen
von Formfehlern des Rückgrates und Beckens, mithin nament-
lich für die Zukunft der Mädchen von dem verderblichsten
Einflusse. Sodann ist überhaupt die ununterbrochene geistige
Anspannung für Kinder offenbar erschöpfend. Die gewöhn-
liche Ausfüllung der 10minütigen oder viertelstündigen Zwi-
schenpausen in den Schulen kann für die hier gemeinten Ge-
sundheitsrücksichten keineswegs genügen. Nur eine dazwi-
schen fallende ausgleichende Körperthätigkeit kann diesem

8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE.
Gegebenen das Nichtgegebene suchen und schaffen zu können
muss natürlich das erstere vorhanden sein. Mit dem mitthei-
lenden Unterrichte soll der entwickelnde Hand in Hand gehen
und nur das festgehalten werden, dass der erstere soviel wie
möglich mit dem letzteren vereinigt werde, nie ganz ohne
denselben erfolge, eben weil nur die Gewinnung der Selbst-
erzeugungskraft wahren Bildungswerth hat und im Kinde den
Muth und das Selbstvertrauen zum Weiterschreiten belebt.
Demgemäss dürfte wohl beim mündlichen Unterrichte (selbst
dem elementaren) die richtig angepasste katechetische Form,
die zum Selbstdenken anregende Fragen und Aufgaben schnell
aufeinander folgen lässt, zündende Gedanken und fortreissende
Uebung liebt, den schleppenden Lehrgang und die rein exa-
minatorische Form, die sich nur an das Gedächtniss wendet,
mehr und mehr verdrängen.

Endlich noch

d) zwei specielle Wünsche,

welche der Verfasser sich erlaubt, Denen, welche dem hohen
Berufe des Lehramtes angehören, vom ärztlichen Standpunkte
aus an's Herz zu legen.

Die beim Schulunterrichte unserer Zeit so dringend noth-
wendige Rücksicht auf körperliche Haltung, Ausbildung und
allgemeine Gesundheit der Kinder führt uns nämlich auf die
überhaupt festzuhaltende Regel: dass kein Kind länger als
höchstens zwei Stunden
ununterbrochen sitzend und
geistig beschäftigt bleiben sollte
. Anhaltendes, durch
keine körperliche Abwechselung unterbrochenes und bis über
den Eintritt der Rückenermüdung hinaus fortgeführtes Sitzen
ist bei Kindern unter Anderem eine der häufigsten Ursachen
von Formfehlern des Rückgrates und Beckens, mithin nament-
lich für die Zukunft der Mädchen von dem verderblichsten
Einflusse. Sodann ist überhaupt die ununterbrochene geistige
Anspannung für Kinder offenbar erschöpfend. Die gewöhn-
liche Ausfüllung der 10minütigen oder viertelstündigen Zwi-
schenpausen in den Schulen kann für die hier gemeinten Ge-
sundheitsrücksichten keineswegs genügen. Nur eine dazwi-
schen fallende ausgleichende Körperthätigkeit kann diesem

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[233/0237] 8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE. Gegebenen das Nichtgegebene suchen und schaffen zu können muss natürlich das erstere vorhanden sein. Mit dem mitthei- lenden Unterrichte soll der entwickelnde Hand in Hand gehen und nur das festgehalten werden, dass der erstere soviel wie möglich mit dem letzteren vereinigt werde, nie ganz ohne denselben erfolge, eben weil nur die Gewinnung der Selbst- erzeugungskraft wahren Bildungswerth hat und im Kinde den Muth und das Selbstvertrauen zum Weiterschreiten belebt. Demgemäss dürfte wohl beim mündlichen Unterrichte (selbst dem elementaren) die richtig angepasste katechetische Form, die zum Selbstdenken anregende Fragen und Aufgaben schnell aufeinander folgen lässt, zündende Gedanken und fortreissende Uebung liebt, den schleppenden Lehrgang und die rein exa- minatorische Form, die sich nur an das Gedächtniss wendet, mehr und mehr verdrängen. Endlich noch d) zwei specielle Wünsche, welche der Verfasser sich erlaubt, Denen, welche dem hohen Berufe des Lehramtes angehören, vom ärztlichen Standpunkte aus an's Herz zu legen. Die beim Schulunterrichte unserer Zeit so dringend noth- wendige Rücksicht auf körperliche Haltung, Ausbildung und allgemeine Gesundheit der Kinder führt uns nämlich auf die überhaupt festzuhaltende Regel: dass kein Kind länger als höchstens zwei Stunden ununterbrochen sitzend und geistig beschäftigt bleiben sollte. Anhaltendes, durch keine körperliche Abwechselung unterbrochenes und bis über den Eintritt der Rückenermüdung hinaus fortgeführtes Sitzen ist bei Kindern unter Anderem eine der häufigsten Ursachen von Formfehlern des Rückgrates und Beckens, mithin nament- lich für die Zukunft der Mädchen von dem verderblichsten Einflusse. Sodann ist überhaupt die ununterbrochene geistige Anspannung für Kinder offenbar erschöpfend. Die gewöhn- liche Ausfüllung der 10minütigen oder viertelstündigen Zwi- schenpausen in den Schulen kann für die hier gemeinten Ge- sundheitsrücksichten keineswegs genügen. Nur eine dazwi- schen fallende ausgleichende Körperthätigkeit kann diesem

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/237>, abgerufen am 29.03.2024.