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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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Schlusswort an die Aeltern.

Edle Früchte zu ernten ist eine Aufgabe langjähriger
Mühen und Sorgen. Nur aus Scheu vor letzteren auf die
Güte oder überhaupt auf den Genuss der Früchte verzichten
zu wollen, kann nur dem siechen Schwächlinge als Entschuldi-
gung dienen, ist aber des seiner Kraft sich bewussten Menschen
unwürdig. Er würde sich selbst ja um den schönsten Preis,
um die süssesten Freuden des Lebens bringen. Wie aber die
Beschaffenheit des herangezogenen Fruchtbaumes und die
grössere oder geringere Güte der Früchte stets sicheres Zeug-
niss ablegen von der vorausgegangenen grösseren oder gerin-
geren Sorgfalt des Gärtners trotz der ausser seiner Macht lie-
genden mitwirkenden Einflüsse, so wird auch an der ganzen
Beschaffenheit des herangebildeten Zöglinges das Verfahren
des Erziehers unverkennbar sich abspiegeln. Ist es eine Miss-
ernte geworden, die Euch, Aeltern, anstatt der Freude Kum-
mer bringt und Eure Kinder mehr oder weniger als unglück-
liche Wesen erscheinen lässt, so werdet Ihr meistens Ursache
haben, nicht das Schicksal, nicht Eure Kinder, sondern Euch
selbst deshalb anzuklagen. Doch hinweg mit diesem trüben
Bilde, wir wollen mit Hoffnung unseren Blick in die Zukunft
beleben!

Das Erziehungsgeschäft ist allerdings ein schwieriges und
mühevolles. Soll es zu seinem wahren Ziele führen, so muss
es auf einer Erziehungswissenschaft fussen, wie ja alle höheren
Richtungen des praktischen Lebens erst aus wissenschaftlicher
Erkenntniss der wesentlichen Verhältnisse gedeihlich hervor-
gehen können. Damit ist aber natürlich nicht gemeint, dass

Schlusswort an die Aeltern.

Edle Früchte zu ernten ist eine Aufgabe langjähriger
Mühen und Sorgen. Nur aus Scheu vor letzteren auf die
Güte oder überhaupt auf den Genuss der Früchte verzichten
zu wollen, kann nur dem siechen Schwächlinge als Entschuldi-
gung dienen, ist aber des seiner Kraft sich bewussten Menschen
unwürdig. Er würde sich selbst ja um den schönsten Preis,
um die süssesten Freuden des Lebens bringen. Wie aber die
Beschaffenheit des herangezogenen Fruchtbaumes und die
grössere oder geringere Güte der Früchte stets sicheres Zeug-
niss ablegen von der vorausgegangenen grösseren oder gerin-
geren Sorgfalt des Gärtners trotz der ausser seiner Macht lie-
genden mitwirkenden Einflüsse, so wird auch an der ganzen
Beschaffenheit des herangebildeten Zöglinges das Verfahren
des Erziehers unverkennbar sich abspiegeln. Ist es eine Miss-
ernte geworden, die Euch, Aeltern, anstatt der Freude Kum-
mer bringt und Eure Kinder mehr oder weniger als unglück-
liche Wesen erscheinen lässt, so werdet Ihr meistens Ursache
haben, nicht das Schicksal, nicht Eure Kinder, sondern Euch
selbst deshalb anzuklagen. Doch hinweg mit diesem trüben
Bilde, wir wollen mit Hoffnung unseren Blick in die Zukunft
beleben!

Das Erziehungsgeschäft ist allerdings ein schwieriges und
mühevolles. Soll es zu seinem wahren Ziele führen, so muss
es auf einer Erziehungswissenschaft fussen, wie ja alle höheren
Richtungen des praktischen Lebens erst aus wissenschaftlicher
Erkenntniss der wesentlichen Verhältnisse gedeihlich hervor-
gehen können. Damit ist aber natürlich nicht gemeint, dass

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. [304]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/308>, abgerufen am 29.03.2024.