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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Dritte Vorlesung.
arithmetischer, zur Pflicht machen, auf das wir nachher noch näher zu
sprechen kommen.

Lassen wir die etwa möglichen Anwendungen des identischen Kalkuls
auf arithmetische Untersuchungen vorerst beiseite, so wird aber der obige
Vorwurf einer ungebührlichen Zumutung von selbst hinfällig, indem es
ganz unmöglich wird, dem Malzeichen die gewohnheitmässige Bedeutung
unterzulegen. Man versuche doch einmal, wenn a die Klasse derjenigen
Dinge vorstellt, welchen das Epitheton "schwarz" zukommt, und b die
Klasse der "Pferde", das Produkt a · b im arithmetischen Sinn zu verstehen!
Abzustehen aber von einem ohnehin unmöglichen Vorhaben -- dies lässt
sich doch nicht als eine ungebührliche Zumutung hinstellen!

Bei dem Versuch, ihn im herkömmlichen, arithmetischen Sinn zu deuten,
gibt sich in unserm Beispiel der Name a · b als ein ganz und gar sinn-
loser sofort zu erkennen. Daher ist dieser Name als ein solcher, der über-
haupt eine vernünftige Erklärung noch nicht gefunden hat, zunächst zu
jeder beliebigen Verwendung disponibel. Welche Bedeutung wir ihm hin-
fort auch beilegen mögen -- was wie gesagt in unserm Belieben, Arbi-
trium steht -- so kann dies zu Missverständnissen überhaupt nicht führen,
ist unbedenklich und unverfänglich.

Das gleiche gilt, wenn a und b Punktgebiete, Flächen, -- und zwar
diese selbst, nicht aber deren Maasszahlen oder Inhalte, vorstellen (vergl.
S. 158). Es ist noch unausgemacht und kann deshalb beliebig ausgemacht
werden, was in diesem Falle a · b bedeuten solle.

Dass eine herkömmliche Verwendung von Namen und Zeichen auf
einem bestimmten Anwendungsfelde durchaus nicht deren selbständige Ver-
wendung auf andern, neuen Anwendungsgebieten präkludirt oder von vorn-
herein ausschliesst, dafür gibt es Präcedenzfälle genug in den Wissen-
schaften.

Es ist dem Chemiker auch nicht verboten worden, mit CO das Kohlen-
oxydgas zu bezeichnen, weil etwa durch den schon zwei Jahrtausende älteren
Usus des Geometers es sanktionirt war, unter CO die Verbindungsstrecke
zweier Punkte C und O zu verstehen. Um beide Deutungen zu verwech-
seln, müsste man im Unklaren darüber sein, ob es sich um Punkte han-
delt, oder um chemische Elemente, und füglich ist dem Leser eines Buches
doch wenigstens zuzutrauen, dass er wisse und sich im Bewusstsein lebendig
erhalte, wovon in dem Buch die Rede ist!

Was nun dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Um arith-
metisches und identisches Produkt zu verwechseln, müsste man auch nicht
wissen, ob die Rede ist von Zahlen, oder ob von Klassen, Gebieten.

Jedenfalls kann es nicht untersagt werden, unter einer besondern Über-
schrift
eine aparte -- sei es Bezeichnung bekannter Dinge, sei es Inter-
pretation bekannter Zeichen -- zu verwenden, und zwar immer demjenigen
Verfahren den Vorzug zu geben, welches sich dem zu betrachtenden Gegen-
stande am besten anbequemt.

Einfacher aber, übersichtlicher, kürzer und zweckmässiger, als mit a b,
lässt das Ergebniss der Operation, die wir identische Multiplikation der
Klassen a und b zu nennen haben, sich überhaupt nicht darstellen -- im
Hinblick auf die Anforderung, dass der Name dieses identischen Produktes,

Dritte Vorlesung.
arithmetischer, zur Pflicht machen, auf das wir nachher noch näher zu
sprechen kommen.

Lassen wir die etwa möglichen Anwendungen des identischen Kalkuls
auf arithmetische Untersuchungen vorerst beiseite, so wird aber der obige
Vorwurf einer ungebührlichen Zumutung von selbst hinfällig, indem es
ganz unmöglich wird, dem Malzeichen die gewohnheitmässige Bedeutung
unterzulegen. Man versuche doch einmal, wenn a die Klasse derjenigen
Dinge vorstellt, welchen das Epitheton „schwarz“ zukommt, und b die
Klasse der „Pferde“, das Produkt a · b im arithmetischen Sinn zu verstehen!
Abzustehen aber von einem ohnehin unmöglichen Vorhaben — dies lässt
sich doch nicht als eine ungebührliche Zumutung hinstellen!

Bei dem Versuch, ihn im herkömmlichen, arithmetischen Sinn zu deuten,
gibt sich in unserm Beispiel der Name a · b als ein ganz und gar sinn-
loser sofort zu erkennen. Daher ist dieser Name als ein solcher, der über-
haupt eine vernünftige Erklärung noch nicht gefunden hat, zunächst zu
jeder beliebigen Verwendung disponibel. Welche Bedeutung wir ihm hin-
fort auch beilegen mögen — was wie gesagt in unserm Belieben, Arbi-
trium steht — so kann dies zu Missverständnissen überhaupt nicht führen,
ist unbedenklich und unverfänglich.

Das gleiche gilt, wenn a und b Punktgebiete, Flächen, — und zwar
diese selbst, nicht aber deren Maasszahlen oder Inhalte, vorstellen (vergl.
S. 158). Es ist noch unausgemacht und kann deshalb beliebig ausgemacht
werden, was in diesem Falle a · b bedeuten solle.

Dass eine herkömmliche Verwendung von Namen und Zeichen auf
einem bestimmten Anwendungsfelde durchaus nicht deren selbständige Ver-
wendung auf andern, neuen Anwendungsgebieten präkludirt oder von vorn-
herein ausschliesst, dafür gibt es Präcedenzfälle genug in den Wissen-
schaften.

Es ist dem Chemiker auch nicht verboten worden, mit CO das Kohlen-
oxydgas zu bezeichnen, weil etwa durch den schon zwei Jahrtausende älteren
Usus des Geometers es sanktionirt war, unter CO die Verbindungsstrecke
zweier Punkte C und O zu verstehen. Um beide Deutungen zu verwech-
seln, müsste man im Unklaren darüber sein, ob es sich um Punkte han-
delt, oder um chemische Elemente, und füglich ist dem Leser eines Buches
doch wenigstens zuzutrauen, dass er wisse und sich im Bewusstsein lebendig
erhalte, wovon in dem Buch die Rede ist!

Was nun dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Um arith-
metisches und identisches Produkt zu verwechseln, müsste man auch nicht
wissen, ob die Rede ist von Zahlen, oder ob von Klassen, Gebieten.

Jedenfalls kann es nicht untersagt werden, unter einer besondern Über-
schrift
eine aparte — sei es Bezeichnung bekannter Dinge, sei es Inter-
pretation bekannter Zeichen — zu verwenden, und zwar immer demjenigen
Verfahren den Vorzug zu geben, welches sich dem zu betrachtenden Gegen-
stande am besten anbequemt.

Einfacher aber, übersichtlicher, kürzer und zweckmässiger, als mit a b,
lässt das Ergebniss der Operation, die wir identische Multiplikation der
Klassen a und b zu nennen haben, sich überhaupt nicht darstellen — im
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[192/0212] Dritte Vorlesung. arithmetischer, zur Pflicht machen, auf das wir nachher noch näher zu sprechen kommen. Lassen wir die etwa möglichen Anwendungen des identischen Kalkuls auf arithmetische Untersuchungen vorerst beiseite, so wird aber der obige Vorwurf einer ungebührlichen Zumutung von selbst hinfällig, indem es ganz unmöglich wird, dem Malzeichen die gewohnheitmässige Bedeutung unterzulegen. Man versuche doch einmal, wenn a die Klasse derjenigen Dinge vorstellt, welchen das Epitheton „schwarz“ zukommt, und b die Klasse der „Pferde“, das Produkt a · b im arithmetischen Sinn zu verstehen! Abzustehen aber von einem ohnehin unmöglichen Vorhaben — dies lässt sich doch nicht als eine ungebührliche Zumutung hinstellen! Bei dem Versuch, ihn im herkömmlichen, arithmetischen Sinn zu deuten, gibt sich in unserm Beispiel der Name a · b als ein ganz und gar sinn- loser sofort zu erkennen. Daher ist dieser Name als ein solcher, der über- haupt eine vernünftige Erklärung noch nicht gefunden hat, zunächst zu jeder beliebigen Verwendung disponibel. Welche Bedeutung wir ihm hin- fort auch beilegen mögen — was wie gesagt in unserm Belieben, Arbi- trium steht — so kann dies zu Missverständnissen überhaupt nicht führen, ist unbedenklich und unverfänglich. Das gleiche gilt, wenn a und b Punktgebiete, Flächen, — und zwar diese selbst, nicht aber deren Maasszahlen oder Inhalte, vorstellen (vergl. S. 158). Es ist noch unausgemacht und kann deshalb beliebig ausgemacht werden, was in diesem Falle a · b bedeuten solle. Dass eine herkömmliche Verwendung von Namen und Zeichen auf einem bestimmten Anwendungsfelde durchaus nicht deren selbständige Ver- wendung auf andern, neuen Anwendungsgebieten präkludirt oder von vorn- herein ausschliesst, dafür gibt es Präcedenzfälle genug in den Wissen- schaften. Es ist dem Chemiker auch nicht verboten worden, mit CO das Kohlen- oxydgas zu bezeichnen, weil etwa durch den schon zwei Jahrtausende älteren Usus des Geometers es sanktionirt war, unter CO die Verbindungsstrecke zweier Punkte C und O zu verstehen. Um beide Deutungen zu verwech- seln, müsste man im Unklaren darüber sein, ob es sich um Punkte han- delt, oder um chemische Elemente, und füglich ist dem Leser eines Buches doch wenigstens zuzutrauen, dass er wisse und sich im Bewusstsein lebendig erhalte, wovon in dem Buch die Rede ist! Was nun dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Um arith- metisches und identisches Produkt zu verwechseln, müsste man auch nicht wissen, ob die Rede ist von Zahlen, oder ob von Klassen, Gebieten. Jedenfalls kann es nicht untersagt werden, unter einer besondern Über- schrift eine aparte — sei es Bezeichnung bekannter Dinge, sei es Inter- pretation bekannter Zeichen — zu verwenden, und zwar immer demjenigen Verfahren den Vorzug zu geben, welches sich dem zu betrachtenden Gegen- stande am besten anbequemt. Einfacher aber, übersichtlicher, kürzer und zweckmässiger, als mit a b, lässt das Ergebniss der Operation, die wir identische Multiplikation der Klassen a und b zu nennen haben, sich überhaupt nicht darstellen — im Hinblick auf die Anforderung, dass der Name dieses identischen Produktes,

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/212>, abgerufen am 28.03.2024.