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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
diese -- wenn nicht einzige*) -- so doch jedenfalls ursprüngliche und
hauptsächliche Quelle des Erkennens, als welche die Wahrnehmung,
Perzeption, hinzustellen ist.

Sie setzt auseinander, wie aus einzelnen, nötigenfalls sehr zahlreich
gemachten Wahrnehmungen**) von unter sich ähnlicher Art durch einen
kühnen Prozess der Verallgemeinerung -- den "Induktionsschluss", die
"Induktion" -- allgemeine Sätze (Regeln oder Gesetze) ableitbar sind,
welche auch die nicht mehr wahrgenommenen Fälle derselben Art in
den Bereich unsrer Erkenntniss ziehen, uns Aufklärung über dieselben
geben. Doch weist sie nach, dass dieser Aufschluss, diese Informa-
tion, nicht unfehlbare Sicherheit, dass sie nicht absolute Gewissheit
gewähren kann, wohl aber eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlich-
keit
, Probabilität beansprucht, deren Grad sich beurteilen oder taxiren,
sich abschätzen lässt.***)

Indem die induktive Logik auch auf diese Schätzung ausgeht, nach
welcher sich der den Induktionsergebnissen zu schenkende Glaube be-
misst, untersucht sie, wie einzelne Induktionen durch andere gestützt
und gekräftigt, eventuell auch abgeschwächt oder gar durch neue Wahr-
nehmungen völlig entkräftet, umgestossen werden, und sucht zu ergründen,
wie innerhalb der Schranken des menschlichen Könnens Induktionen
anzustellen sind, damit sie möglichst glaubwürdige Ergebnisse liefern.

Auf diese, die induktive Logik, so hochwichtig und interessant sie
auch ist, beabsichtige ich hier ganz und gar nicht einzugehen.+)

d) Wir wollen uns auf ein viel engeres Gebiet beschränken, um

*) Dass Wahrnehmung die Urquelle aller Erkenntniss sei, wird -- nachdem
die Verfechter "angeborner" Erkenntnisse aus dem Felde geschlagen sind --
nur noch von Denjenigen bestritten, die eine "göttliche Offenbarung" annehmen.
Als Wahrnehmung ist hier allerdings nicht blos die sog. "äussere" Wahr-
nehmung zu berücksichtigen, welche sich auf den Sinneseindruck stützt, sondern
auch die "innere". Z. B. dass ich fröhlich oder traurig bin, spaziren gehen will,
und dergleichen, nehme ich nicht durch die Sinne wahr, sondern werde dessen
unmittelbar inne. "Wir empfinden auch die Spannkraft unsres Willens und die
Anstrengung des Nachdenkens" (Lange).
Vergleiche hierzu noch g3) erste Fussnote.
**) Dieselben, wenn bis zur Bildung einer Vorstellung von dem wahr-
genommenen Gegenstande entwickelt, heissen "Apperzeptionen".
***) Immerhin mit Einschränkungen -- vergl. Herrn Johannes von Kries1
gediegene Arbeit über Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung -- siehe
Literaturverzeichniss.
+) Es sei darüber auf die Werke von Mill2, Sigwart2, Apelt1 u. A. ver-
wiesen. Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse, auf welches die im Text
als Exponenten angesetzten Chiffren sich jeweils beziehen.
1*

Einleitung.
diese — wenn nicht einzige*) — so doch jedenfalls ursprüngliche und
hauptsächliche Quelle des Erkennens, als welche die Wahrnehmung,
Perzeption, hinzustellen ist.

Sie setzt auseinander, wie aus einzelnen, nötigenfalls sehr zahlreich
gemachten Wahrnehmungen**) von unter sich ähnlicher Art durch einen
kühnen Prozess der Verallgemeinerung — den „Induktionsschluss“, die
Induktion“ — allgemeine Sätze (Regeln oder Gesetze) ableitbar sind,
welche auch die nicht mehr wahrgenommenen Fälle derselben Art in
den Bereich unsrer Erkenntniss ziehen, uns Aufklärung über dieselben
geben. Doch weist sie nach, dass dieser Aufschluss, diese Informa-
tion, nicht unfehlbare Sicherheit, dass sie nicht absolute Gewissheit
gewähren kann, wohl aber eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlich-
keit
, Probabilität beansprucht, deren Grad sich beurteilen oder taxiren,
sich abschätzen lässt.***)

Indem die induktive Logik auch auf diese Schätzung ausgeht, nach
welcher sich der den Induktionsergebnissen zu schenkende Glaube be-
misst, untersucht sie, wie einzelne Induktionen durch andere gestützt
und gekräftigt, eventuell auch abgeschwächt oder gar durch neue Wahr-
nehmungen völlig entkräftet, umgestossen werden, und sucht zu ergründen,
wie innerhalb der Schranken des menschlichen Könnens Induktionen
anzustellen sind, damit sie möglichst glaubwürdige Ergebnisse liefern.

Auf diese, die induktive Logik, so hochwichtig und interessant sie
auch ist, beabsichtige ich hier ganz und gar nicht einzugehen.†)

δ) Wir wollen uns auf ein viel engeres Gebiet beschränken, um

*) Dass Wahrnehmung die Urquelle aller Erkenntniss sei, wird — nachdem
die Verfechter „angeborner“ Erkenntnisse aus dem Felde geschlagen sind —
nur noch von Denjenigen bestritten, die eine „göttliche Offenbarung“ annehmen.
Als Wahrnehmung ist hier allerdings nicht blos die sog. „äussere“ Wahr-
nehmung zu berücksichtigen, welche sich auf den Sinneseindruck stützt, sondern
auch die „innere“. Z. B. dass ich fröhlich oder traurig bin, spaziren gehen will,
und dergleichen, nehme ich nicht durch die Sinne wahr, sondern werde dessen
unmittelbar inne. „Wir empfinden auch die Spannkraft unsres Willens und die
Anstrengung des Nachdenkens“ (Lange).
Vergleiche hierzu noch γ3) erste Fussnote.
**) Dieselben, wenn bis zur Bildung einer Vorstellung von dem wahr-
genommenen Gegenstande entwickelt, heissen „Apperzeptionen“.
***) Immerhin mit Einschränkungen — vergl. Herrn Johannes von Kries1
gediegene Arbeit über Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung — siehe
Literaturverzeichniss.
†) Es sei darüber auf die Werke von Mill2, Sigwart2, Apelt1 u. A. ver-
wiesen. Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse, auf welches die im Text
als Exponenten angesetzten Chiffren sich jeweils beziehen.
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[3/0023] Einleitung. diese — wenn nicht einzige *) — so doch jedenfalls ursprüngliche und hauptsächliche Quelle des Erkennens, als welche die Wahrnehmung, Perzeption, hinzustellen ist. Sie setzt auseinander, wie aus einzelnen, nötigenfalls sehr zahlreich gemachten Wahrnehmungen **) von unter sich ähnlicher Art durch einen kühnen Prozess der Verallgemeinerung — den „Induktionsschluss“, die „Induktion“ — allgemeine Sätze (Regeln oder Gesetze) ableitbar sind, welche auch die nicht mehr wahrgenommenen Fälle derselben Art in den Bereich unsrer Erkenntniss ziehen, uns Aufklärung über dieselben geben. Doch weist sie nach, dass dieser Aufschluss, diese Informa- tion, nicht unfehlbare Sicherheit, dass sie nicht absolute Gewissheit gewähren kann, wohl aber eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlich- keit, Probabilität beansprucht, deren Grad sich beurteilen oder taxiren, sich abschätzen lässt. ***) Indem die induktive Logik auch auf diese Schätzung ausgeht, nach welcher sich der den Induktionsergebnissen zu schenkende Glaube be- misst, untersucht sie, wie einzelne Induktionen durch andere gestützt und gekräftigt, eventuell auch abgeschwächt oder gar durch neue Wahr- nehmungen völlig entkräftet, umgestossen werden, und sucht zu ergründen, wie innerhalb der Schranken des menschlichen Könnens Induktionen anzustellen sind, damit sie möglichst glaubwürdige Ergebnisse liefern. Auf diese, die induktive Logik, so hochwichtig und interessant sie auch ist, beabsichtige ich hier ganz und gar nicht einzugehen. †) δ) Wir wollen uns auf ein viel engeres Gebiet beschränken, um *) Dass Wahrnehmung die Urquelle aller Erkenntniss sei, wird — nachdem die Verfechter „angeborner“ Erkenntnisse aus dem Felde geschlagen sind — nur noch von Denjenigen bestritten, die eine „göttliche Offenbarung“ annehmen. Als Wahrnehmung ist hier allerdings nicht blos die sog. „äussere“ Wahr- nehmung zu berücksichtigen, welche sich auf den Sinneseindruck stützt, sondern auch die „innere“. Z. B. dass ich fröhlich oder traurig bin, spaziren gehen will, und dergleichen, nehme ich nicht durch die Sinne wahr, sondern werde dessen unmittelbar inne. „Wir empfinden auch die Spannkraft unsres Willens und die Anstrengung des Nachdenkens“ (Lange). Vergleiche hierzu noch γ3) erste Fussnote. **) Dieselben, wenn bis zur Bildung einer Vorstellung von dem wahr- genommenen Gegenstande entwickelt, heissen „Apperzeptionen“. ***) Immerhin mit Einschränkungen — vergl. Herrn Johannes von Kries1 gediegene Arbeit über Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung — siehe Literaturverzeichniss. †) Es sei darüber auf die Werke von Mill2, Sigwart2, Apelt1 u. A. ver- wiesen. Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse, auf welches die im Text als Exponenten angesetzten Chiffren sich jeweils beziehen. 1*

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/23>, abgerufen am 29.03.2024.