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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Vierte Vorlesung.
gelten lassen wird?? Man könnte darüber streiten, und es wäre das
buchstäblich ein Streit "um nichts und wieder nichts", denn auch die
fragliche Aussage ist nichtssagend, sie bezieht sich auf nichts.

Wie man solches im gemeinen Leben halten mag, ist uns gleich-
gültig; ich meine, man sollte (auch da) sie gelten lassen, man sollte
ihr wenigstens eine sozusagen "formale Gültigkeit" zuerkennen, in An-
betracht, dass in ihr dem Subjekt, den gleichseitigen ebenen Rektangeln,
nur eine bei demselben schon vorausgesetzte Eigenschaft (der Gleich-
seitigkeit) zugesprochen, beigelegt wird.

Hier aber, in dem Rahmen unsrer Disziplin der Algebra der Logik,
sind wir jedenfalls verpflichtet, die gedachte Aussage als richtig anzu-
erkennen
.

Diese -- ja eine noch viel weitergehende -- Verpflichtung ist
eine Wirkung, notwendige Folge der seiner Zeit von uns vollzogenen
und durch die Vorteile, die sie gewährt, ja bereits motivirten Ad-
jungirung der Null
zu unsrer Mannigfaltigkeit, Folge der Aufnahme
des Nullgebietes unter die Gebiete, der Zulassung einer Nullklasse zu
den Klassen, der Hinzuziehung des Begriffs des "Nichts" zu den
sonstigen Begriffen des Menschengeistes.

Nach Def. (2x) ist 0 a, was auch a für ein Gebiet, für eine
Klasse bedeuten möge. Wenn also a b die 0 bedeutet, so ist in der
That a b a.

Das "Nichts" ist sogar Subjekt zu jedem Prädikate: das Nichts ist
schwarz; das Nichts ist zugleich auch nicht schwarz; denn die Null-
klasse ist in jeder Klasse mit enthalten. Wenn sie "nichts" betrifft,
kann eine Aussage niemals falsch sein, und wenn sich Aussagen auf
gar nichts beziehen, so ist auch kein Widerspruch zwischen diesen
Aussagen möglich.

Den in diesem Absatze ausgesprochenen allgemeinen Sätzen wird
später doch eine gewisse Einschränkung nachträglich zu geben sein;
indem es nötig fällt, die Mannigfaltigkeit 1, aus welcher jene Gebiete,
Klassen oder Prädikate nach Belieben herausgehoben werden dürfen,
in gewissem Sinne nach oben zu beschränken, indem sich herausstellt,
dass diese Mannigfaltigkeit eine "reine" bleiben, d. i. eine gewisse
Beschaffenheit bewahren muss, worüber ps, kh) zu vergleichen.

In Bezug auf unser typisches Exempel kann man sich nunmehr auch
vorstellen, dass etwa die Natur zu untersuchender Dreiecke -- ob sie ebene,
ob sphärische -- von vornherein unbekannt sei. Die in dem Exempel als
gültig hingestellte Aussage mag dann vielleicht ein Glied bilden in einer
Kette von Überlegungen, die den Zweck haben, zu ermitteln, von welcher
Natur die fraglichen Dreiecke wirklich sein müssen. Wird dabei nach hier

Vierte Vorlesung.
gelten lassen wird?? Man könnte darüber streiten, und es wäre das
buchstäblich ein Streit „um nichts und wieder nichts“, denn auch die
fragliche Aussage ist nichtssagend, sie bezieht sich auf nichts.

Wie man solches im gemeinen Leben halten mag, ist uns gleich-
gültig; ich meine, man sollte (auch da) sie gelten lassen, man sollte
ihr wenigstens eine sozusagen „formale Gültigkeit“ zuerkennen, in An-
betracht, dass in ihr dem Subjekt, den gleichseitigen ebenen Rektangeln,
nur eine bei demselben schon vorausgesetzte Eigenschaft (der Gleich-
seitigkeit) zugesprochen, beigelegt wird.

Hier aber, in dem Rahmen unsrer Disziplin der Algebra der Logik,
sind wir jedenfalls verpflichtet, die gedachte Aussage als richtig anzu-
erkennen
.

Diese — ja eine noch viel weitergehende — Verpflichtung ist
eine Wirkung, notwendige Folge der seiner Zeit von uns vollzogenen
und durch die Vorteile, die sie gewährt, ja bereits motivirten Ad-
jungirung der Null
zu unsrer Mannigfaltigkeit, Folge der Aufnahme
des Nullgebietes unter die Gebiete, der Zulassung einer Nullklasse zu
den Klassen, der Hinzuziehung des Begriffs des „Nichts“ zu den
sonstigen Begriffen des Menschengeistes.

Nach Def. (2×) ist 0 ⋹ a, was auch a für ein Gebiet, für eine
Klasse bedeuten möge. Wenn also a b die 0 bedeutet, so ist in der
That a ba.

DasNichtsist sogar Subjekt zu jedem Prädikate: das Nichts ist
schwarz; das Nichts ist zugleich auch nicht schwarz; denn die Null-
klasse ist in jeder Klasse mit enthalten. Wenn sie „nichts“ betrifft,
kann eine Aussage niemals falsch sein, und wenn sich Aussagen auf
gar nichts beziehen, so ist auch kein Widerspruch zwischen diesen
Aussagen möglich.

Den in diesem Absatze ausgesprochenen allgemeinen Sätzen wird
später doch eine gewisse Einschränkung nachträglich zu geben sein;
indem es nötig fällt, die Mannigfaltigkeit 1, aus welcher jene Gebiete,
Klassen oder Prädikate nach Belieben herausgehoben werden dürfen,
in gewissem Sinne nach oben zu beschränken, indem sich herausstellt,
dass diese Mannigfaltigkeit eine „reine“ bleiben, d. i. eine gewisse
Beschaffenheit bewahren muss, worüber ψ, χ) zu vergleichen.

In Bezug auf unser typisches Exempel kann man sich nunmehr auch
vorstellen, dass etwa die Natur zu untersuchender Dreiecke — ob sie ebene,
ob sphärische — von vornherein unbekannt sei. Die in dem Exempel als
gültig hingestellte Aussage mag dann vielleicht ein Glied bilden in einer
Kette von Überlegungen, die den Zweck haben, zu ermitteln, von welcher
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[238/0258] Vierte Vorlesung. gelten lassen wird?? Man könnte darüber streiten, und es wäre das buchstäblich ein Streit „um nichts und wieder nichts“, denn auch die fragliche Aussage ist nichtssagend, sie bezieht sich auf nichts. Wie man solches im gemeinen Leben halten mag, ist uns gleich- gültig; ich meine, man sollte (auch da) sie gelten lassen, man sollte ihr wenigstens eine sozusagen „formale Gültigkeit“ zuerkennen, in An- betracht, dass in ihr dem Subjekt, den gleichseitigen ebenen Rektangeln, nur eine bei demselben schon vorausgesetzte Eigenschaft (der Gleich- seitigkeit) zugesprochen, beigelegt wird. Hier aber, in dem Rahmen unsrer Disziplin der Algebra der Logik, sind wir jedenfalls verpflichtet, die gedachte Aussage als richtig anzu- erkennen. Diese — ja eine noch viel weitergehende — Verpflichtung ist eine Wirkung, notwendige Folge der seiner Zeit von uns vollzogenen und durch die Vorteile, die sie gewährt, ja bereits motivirten Ad- jungirung der Null zu unsrer Mannigfaltigkeit, Folge der Aufnahme des Nullgebietes unter die Gebiete, der Zulassung einer Nullklasse zu den Klassen, der Hinzuziehung des Begriffs des „Nichts“ zu den sonstigen Begriffen des Menschengeistes. Nach Def. (2×) ist 0 ⋹ a, was auch a für ein Gebiet, für eine Klasse bedeuten möge. Wenn also a b die 0 bedeutet, so ist in der That a b ⋹ a. Das „Nichts“ ist sogar Subjekt zu jedem Prädikate: das Nichts ist schwarz; das Nichts ist zugleich auch nicht schwarz; denn die Null- klasse ist in jeder Klasse mit enthalten. Wenn sie „nichts“ betrifft, kann eine Aussage niemals falsch sein, und wenn sich Aussagen auf gar nichts beziehen, so ist auch kein Widerspruch zwischen diesen Aussagen möglich. Den in diesem Absatze ausgesprochenen allgemeinen Sätzen wird später doch eine gewisse Einschränkung nachträglich zu geben sein; indem es nötig fällt, die Mannigfaltigkeit 1, aus welcher jene Gebiete, Klassen oder Prädikate nach Belieben herausgehoben werden dürfen, in gewissem Sinne nach oben zu beschränken, indem sich herausstellt, dass diese Mannigfaltigkeit eine „reine“ bleiben, d. i. eine gewisse Beschaffenheit bewahren muss, worüber ψ, χ) zu vergleichen. In Bezug auf unser typisches Exempel kann man sich nunmehr auch vorstellen, dass etwa die Natur zu untersuchender Dreiecke — ob sie ebene, ob sphärische — von vornherein unbekannt sei. Die in dem Exempel als gültig hingestellte Aussage mag dann vielleicht ein Glied bilden in einer Kette von Überlegungen, die den Zweck haben, zu ermitteln, von welcher Natur die fraglichen Dreiecke wirklich sein müssen. Wird dabei nach hier

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/258>, abgerufen am 19.04.2024.