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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen,
so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht
gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren "Einleuchtens"
die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem
Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.

Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens
durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig-
keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all-
gemeine Gesetze für das im obigen Sinne "folgerichtige" Denken gibt,
und wie sie beschaffen sein müssen.

Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz,
welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine
Zuverlässigkeit -- und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit -- ist
ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der
Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller
Gewissheit überhaupt.
Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es
keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).

k) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über-
zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die
objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur
subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch
immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel-
baren Widersprüchen handelt.

Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:

"Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die
Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene
psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch
ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge-
leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle
hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu
einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent-
gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es
gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt
die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte
in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten
kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen-
teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der
Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden
Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-

Einleitung.
niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen,
so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht
gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „Einleuchtens“
die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem
Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.

Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens
durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig-
keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all-
gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „folgerichtige“ Denken gibt,
und wie sie beschaffen sein müssen.

Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz,
welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine
Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist
ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der
Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller
Gewissheit überhaupt.
Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es
keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).

ϰ) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über-
zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die
objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur
subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch
immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel-
baren Widersprüchen handelt.

Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:

„Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die
Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene
psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch
ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge-
leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle
hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu
einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent-
gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es
gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt
die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte
in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten
kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen-
teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der
Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden
Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-

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[13/0033] Einleitung. niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen, so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „Einleuchtens“ die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten. Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig- keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all- gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „folgerichtige“ Denken gibt, und wie sie beschaffen sein müssen. Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz, welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller Gewissheit überhaupt. Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15). ϰ) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über- zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel- baren Widersprüchen handelt. Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28: „Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge- leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent- gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen- teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/33>, abgerufen am 28.03.2024.