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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 15. Disjunktive Urteile von disjunktiv prädizirenden zu unterscheiden.
zu thun haben. Blos, wo sie singulär sind, erscheinen beide Auf-
fassungen gleichermassen zulässig.

Im Hinblick auf den Umstand, dass bei diesen Urteilen die Glieder
der Disjunktion schon vielfach in der Sprache des gemeinen Lebens,
desgleichen bei den in unsrer Theorie mit zuzulassenden Urteilen ein-
ander nicht notwendig auszuschliessen brauchen, dürfte es als ange-
messener erscheinen, das Wort "disjunktiv" durchweg durch ein anderes,
etwa durch "alternativ" zu ersetzen.

Anmerkung. Im Hinblick auf das unter e) Gesagte könnte man
auf die Vermutung kommen, als ob ähnlich auch das Urteil:
k) A oder B ist C,
in welchem das Bindewort "oder" anscheinend im Subjekt des Satzes
auftritt, zweierlei Deutungsmöglichkeiten darböte.

Bei korrekter Handhabung der Sprache ist dies nicht der Fall.
Das Urteil ist unter allen Umständen ein sekundäres, in Wirklichkeit
disjunktives, welches die zwei Urteile "A ist C" und "B ist C" der-
art von einander abhängig hinstellt, dass mindestens das eine derselben
gelten muss: Entweder A ist C, oder aber B ist C, oder auch (bei
der für uns maassgebenden Auffassung des "oder") beide, A und B,
sind C. Zu seiner Darstellung in der Formelsprache wird auch dieses
Urteil des Aussagenkalkuls bedürfen.

Dagegen würde ein Urteil
l) " A oder B " ist C
auszudrücken haben, dass das Gebiet A + B, der Inbegriff der Klassen A
und B in C enthalten ist, demnach sowol A als B selber sich unter C
subsumirt. Bereits unter i) des § 8 haben wir darauf aufmerksam ge-
macht, dass aber das Pluszeichen des identischen Kalkuls im Subjekte mit
"und" zu übersetzen ist, und hätte darnach in der Wortsprache der Sach-
verhalt, anstatt durch l) nur durch das Urteil
m) A und B ist C
ausgedrückt werden dürfen, wo Verwechselungen alsdann ausgeschlossen
erscheinen.

Die in diesem Paragraphen besprochenen Urteilsformen lassen
erkennen, dass es -- wie schon Jevons betont -- oft einen Unter-
schied macht, ob man von einer Klasse spricht, oder ob von den in
ihr enthaltenen Individuen. Will man von Klassen reden -- wie wir
es bis zur Erledigung der wissenschaftlichen Definition des Individuums
durchweg vorhaben -- so müssen disjunktiv (resp. alternativ) prädi-
zirende Urteile von den disjunktiven (resp. alternativen) und negativ
prädizirende Urteile von den Urteilsverneinungen sorgfältig unter-
schieden werden. --

§ 15. Disjunktive Urteile von disjunktiv prädizirenden zu unterscheiden.
zu thun haben. Blos, wo sie singulär sind, erscheinen beide Auf-
fassungen gleichermassen zulässig.

Im Hinblick auf den Umstand, dass bei diesen Urteilen die Glieder
der Disjunktion schon vielfach in der Sprache des gemeinen Lebens,
desgleichen bei den in unsrer Theorie mit zuzulassenden Urteilen ein-
ander nicht notwendig auszuschliessen brauchen, dürfte es als ange-
messener erscheinen, das Wort „disjunktiv“ durchweg durch ein anderes,
etwa durch „alternativ“ zu ersetzen.

Anmerkung. Im Hinblick auf das unter η) Gesagte könnte man
auf die Vermutung kommen, als ob ähnlich auch das Urteil:
ϰ) A oder B ist C,
in welchem das Bindewort „oder“ anscheinend im Subjekt des Satzes
auftritt, zweierlei Deutungsmöglichkeiten darböte.

Bei korrekter Handhabung der Sprache ist dies nicht der Fall.
Das Urteil ist unter allen Umständen ein sekundäres, in Wirklichkeit
disjunktives, welches die zwei Urteile „A ist C“ und „B ist C“ der-
art von einander abhängig hinstellt, dass mindestens das eine derselben
gelten muss: Entweder A ist C, oder aber B ist C, oder auch (bei
der für uns maassgebenden Auffassung des „oder“) beide, A und B,
sind C. Zu seiner Darstellung in der Formelsprache wird auch dieses
Urteil des Aussagenkalkuls bedürfen.

Dagegen würde ein Urteil
λ) » A oder B « ist C
auszudrücken haben, dass das Gebiet A + B, der Inbegriff der Klassen A
und B in C enthalten ist, demnach sowol A als B selber sich unter C
subsumirt. Bereits unter ι) des § 8 haben wir darauf aufmerksam ge-
macht, dass aber das Pluszeichen des identischen Kalkuls im Subjekte mit
„und“ zu übersetzen ist, und hätte darnach in der Wortsprache der Sach-
verhalt, anstatt durch λ) nur durch das Urteil
μ) A und B ist C
ausgedrückt werden dürfen, wo Verwechselungen alsdann ausgeschlossen
erscheinen.

Die in diesem Paragraphen besprochenen Urteilsformen lassen
erkennen, dass es — wie schon Jevons betont — oft einen Unter-
schied macht, ob man von einer Klasse spricht, oder ob von den in
ihr enthaltenen Individuen. Will man von Klassen reden — wie wir
es bis zur Erledigung der wissenschaftlichen Definition des Individuums
durchweg vorhaben — so müssen disjunktiv (resp. alternativ) prädi-
zirende Urteile von den disjunktiven (resp. alternativen) und negativ
prädizirende Urteile von den Urteilsverneinungen sorgfältig unter-
schieden werden. —

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[341/0361] § 15. Disjunktive Urteile von disjunktiv prädizirenden zu unterscheiden. zu thun haben. Blos, wo sie singulär sind, erscheinen beide Auf- fassungen gleichermassen zulässig. Im Hinblick auf den Umstand, dass bei diesen Urteilen die Glieder der Disjunktion schon vielfach in der Sprache des gemeinen Lebens, desgleichen bei den in unsrer Theorie mit zuzulassenden Urteilen ein- ander nicht notwendig auszuschliessen brauchen, dürfte es als ange- messener erscheinen, das Wort „disjunktiv“ durchweg durch ein anderes, etwa durch „alternativ“ zu ersetzen. Anmerkung. Im Hinblick auf das unter η) Gesagte könnte man auf die Vermutung kommen, als ob ähnlich auch das Urteil: ϰ) A oder B ist C, in welchem das Bindewort „oder“ anscheinend im Subjekt des Satzes auftritt, zweierlei Deutungsmöglichkeiten darböte. Bei korrekter Handhabung der Sprache ist dies nicht der Fall. Das Urteil ist unter allen Umständen ein sekundäres, in Wirklichkeit disjunktives, welches die zwei Urteile „A ist C“ und „B ist C“ der- art von einander abhängig hinstellt, dass mindestens das eine derselben gelten muss: Entweder A ist C, oder aber B ist C, oder auch (bei der für uns maassgebenden Auffassung des „oder“) beide, A und B, sind C. Zu seiner Darstellung in der Formelsprache wird auch dieses Urteil des Aussagenkalkuls bedürfen. Dagegen würde ein Urteil λ) » A oder B « ist C auszudrücken haben, dass das Gebiet A + B, der Inbegriff der Klassen A und B in C enthalten ist, demnach sowol A als B selber sich unter C subsumirt. Bereits unter ι) des § 8 haben wir darauf aufmerksam ge- macht, dass aber das Pluszeichen des identischen Kalkuls im Subjekte mit „und“ zu übersetzen ist, und hätte darnach in der Wortsprache der Sach- verhalt, anstatt durch λ) nur durch das Urteil μ) A und B ist C ausgedrückt werden dürfen, wo Verwechselungen alsdann ausgeschlossen erscheinen. Die in diesem Paragraphen besprochenen Urteilsformen lassen erkennen, dass es — wie schon Jevons betont — oft einen Unter- schied macht, ob man von einer Klasse spricht, oder ob von den in ihr enthaltenen Individuen. Will man von Klassen reden — wie wir es bis zur Erledigung der wissenschaftlichen Definition des Individuums durchweg vorhaben — so müssen disjunktiv (resp. alternativ) prädi- zirende Urteile von den disjunktiven (resp. alternativen) und negativ prädizirende Urteile von den Urteilsverneinungen sorgfältig unter- schieden werden. —

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/361>, abgerufen am 29.03.2024.