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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Neunte Vorlesung.
Venn's Ansicht zu verharren. Es frägt sich nur, wie man damit
durchkäme, ob etwa besser und bequemer?

Nicht der einzige, aber doch ein Hauptzweck unsres Kalkuls sind
jedenfalls die Anwendungen desselben. Bei diesen müssen wir Data
von Textaufgaben übertragen in die Zeichensprache des Kalkuls, in
Relationen oder Formeln, und haben deren rechnerisch gefundene
Lösungen alsdann wieder in die Wortsprache zurückzuübersetzen.

Die Brauchbarkeit des Kalkuls wird dabei im allgemeinen als
eine um so grössere erscheinen, je inniger derselbe sich an die Wort-
sprache anschmiegt; wenigstens soll er von den Gepflogenheiten der
letzteren nicht ohne Not, nicht ohne triftige, durch greifbaren Vorteil
sich rechtfertigende Gründe*) abweichen.

Ich werde nun durch ein paar Beispiele den Nachweis liefern,
dass die Wortsprache unsre identische Addition nicht nur zulässt,
sondern allerorten ganz ungenirt und wesentlich von derselben Gebrauch
macht -- in der Wissenschaft natürlich nicht weniger wie im gemeinen
Leben (doch genügt es schon, aus letzterm nur die Beispiele heraus-
zugreifen**)). Es erscheint schon deshalb nicht ratsam, jene Addition
aus unsrer Disziplin der Algebra der Logik auszuschliessen. Überdies
werden wir aber sehen, dass die Wortsprache auch wohl daran thut,
dieselbe zu verwenden.

b) Exempel. Die geographische Gesellschaft einer Universitäts-
stadt veranstaltete im Saale der Museumsgesellschaft einen öffentlichen
Vortrag, und schrieb in dessen Ankündigung im Tageblatt aus, dass
Studenten sowie Museumsmitglieder freien Eintritt hätten.

Es gab aber viele Studenten, die zugleich Mitglieder der Museums-
gesellschaft waren.

Sagen wir für "Studenten" a, für "Museumsmitglieder" b, so war
also die Klasse der durch freien Eintritt bevorzugten Personen in der
Ankündigung als "Studenten und Museumsmitglieder", mithin als a + b
bezeichnet.

Es ist augenscheinlich, dass die Klasse a · b der den beiden Kate-
gorieen gemeinschaftlich angehörenden Individuen auf diese Weise
zweimal aufgezählt wurde, und hätte im Sinne des Herrn Venn kor-

*) Rücksicht auf das Gebot der Konsequenz und Streben nach Allgemeinheit,
Sparsamkeit, gehören zu den vornehmsten solchen.
**) Auf Beispiele aus verschiedenen Wissenschaften verzichten wir, da
solche, um gemeinverständlich zu werden, in der Regel längere Vorbetrachtungen
erheischen.

Neunte Vorlesung.
Venn's Ansicht zu verharren. Es frägt sich nur, wie man damit
durchkäme, ob etwa besser und bequemer?

Nicht der einzige, aber doch ein Hauptzweck unsres Kalkuls sind
jedenfalls die Anwendungen desselben. Bei diesen müssen wir Data
von Textaufgaben übertragen in die Zeichensprache des Kalkuls, in
Relationen oder Formeln, und haben deren rechnerisch gefundene
Lösungen alsdann wieder in die Wortsprache zurückzuübersetzen.

Die Brauchbarkeit des Kalkuls wird dabei im allgemeinen als
eine um so grössere erscheinen, je inniger derselbe sich an die Wort-
sprache anschmiegt; wenigstens soll er von den Gepflogenheiten der
letzteren nicht ohne Not, nicht ohne triftige, durch greifbaren Vorteil
sich rechtfertigende Gründe*) abweichen.

Ich werde nun durch ein paar Beispiele den Nachweis liefern,
dass die Wortsprache unsre identische Addition nicht nur zulässt,
sondern allerorten ganz ungenirt und wesentlich von derselben Gebrauch
macht — in der Wissenschaft natürlich nicht weniger wie im gemeinen
Leben (doch genügt es schon, aus letzterm nur die Beispiele heraus-
zugreifen**)). Es erscheint schon deshalb nicht ratsam, jene Addition
aus unsrer Disziplin der Algebra der Logik auszuschliessen. Überdies
werden wir aber sehen, dass die Wortsprache auch wohl daran thut,
dieselbe zu verwenden.

β) Exempel. Die geographische Gesellschaft einer Universitäts-
stadt veranstaltete im Saale der Museumsgesellschaft einen öffentlichen
Vortrag, und schrieb in dessen Ankündigung im Tageblatt aus, dass
Studenten sowie Museumsmitglieder freien Eintritt hätten.

Es gab aber viele Studenten, die zugleich Mitglieder der Museums-
gesellschaft waren.

Sagen wir für „Studenten“ a, für „Museumsmitglieder“ b, so war
also die Klasse der durch freien Eintritt bevorzugten Personen in der
Ankündigung als „Studenten und Museumsmitglieder“, mithin als a + b
bezeichnet.

Es ist augenscheinlich, dass die Klasse a · b der den beiden Kate-
gorieen gemeinschaftlich angehörenden Individuen auf diese Weise
zweimal aufgezählt wurde, und hätte im Sinne des Herrn Venn kor-

*) Rücksicht auf das Gebot der Konsequenz und Streben nach Allgemeinheit,
Sparsamkeit, gehören zu den vornehmsten solchen.
**) Auf Beispiele aus verschiedenen Wissenschaften verzichten wir, da
solche, um gemeinverständlich zu werden, in der Regel längere Vorbetrachtungen
erheischen.
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[366/0386] Neunte Vorlesung. Venn's Ansicht zu verharren. Es frägt sich nur, wie man damit durchkäme, ob etwa besser und bequemer? Nicht der einzige, aber doch ein Hauptzweck unsres Kalkuls sind jedenfalls die Anwendungen desselben. Bei diesen müssen wir Data von Textaufgaben übertragen in die Zeichensprache des Kalkuls, in Relationen oder Formeln, und haben deren rechnerisch gefundene Lösungen alsdann wieder in die Wortsprache zurückzuübersetzen. Die Brauchbarkeit des Kalkuls wird dabei im allgemeinen als eine um so grössere erscheinen, je inniger derselbe sich an die Wort- sprache anschmiegt; wenigstens soll er von den Gepflogenheiten der letzteren nicht ohne Not, nicht ohne triftige, durch greifbaren Vorteil sich rechtfertigende Gründe *) abweichen. Ich werde nun durch ein paar Beispiele den Nachweis liefern, dass die Wortsprache unsre identische Addition nicht nur zulässt, sondern allerorten ganz ungenirt und wesentlich von derselben Gebrauch macht — in der Wissenschaft natürlich nicht weniger wie im gemeinen Leben (doch genügt es schon, aus letzterm nur die Beispiele heraus- zugreifen **)). Es erscheint schon deshalb nicht ratsam, jene Addition aus unsrer Disziplin der Algebra der Logik auszuschliessen. Überdies werden wir aber sehen, dass die Wortsprache auch wohl daran thut, dieselbe zu verwenden. β) Exempel. Die geographische Gesellschaft einer Universitäts- stadt veranstaltete im Saale der Museumsgesellschaft einen öffentlichen Vortrag, und schrieb in dessen Ankündigung im Tageblatt aus, dass Studenten sowie Museumsmitglieder freien Eintritt hätten. Es gab aber viele Studenten, die zugleich Mitglieder der Museums- gesellschaft waren. Sagen wir für „Studenten“ a, für „Museumsmitglieder“ b, so war also die Klasse der durch freien Eintritt bevorzugten Personen in der Ankündigung als „Studenten und Museumsmitglieder“, mithin als a + b bezeichnet. Es ist augenscheinlich, dass die Klasse a · b der den beiden Kate- gorieen gemeinschaftlich angehörenden Individuen auf diese Weise zweimal aufgezählt wurde, und hätte im Sinne des Herrn Venn kor- *) Rücksicht auf das Gebot der Konsequenz und Streben nach Allgemeinheit, Sparsamkeit, gehören zu den vornehmsten solchen. **) Auf Beispiele aus verschiedenen Wissenschaften verzichten wir, da solche, um gemeinverständlich zu werden, in der Regel längere Vorbetrachtungen erheischen.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/386>, abgerufen am 25.04.2024.